
Silke Vogler-Nitsche (rechts) und Matthias Ennulat (links) von SKF sprechen über die Vorteile von Multisourcing. (Bild: Anand Anders)
SKF benötigt für die Herstellung von Wälzlagern Stahl und Energie. Beides ist knapp und teuer. Silke Vogler-Nitsche (Einkauf) und Matthias Ennulat (Technik) berichten über Lösungen, ihre Zusammenarbeit und das konsequente Multisourcing, das den Konzern bislang gut durch die Krise gebracht hat.
TECHNIK+EINKAUF: Frau Vogler-Nitsche, wo lagen für Sie als Einkaufs-Controllerin 2022 die größten Herausforderungen?
Silke Vogler-Nitsche: Im Einkaufscontrolling stehen die Themen Cashflow, Savings, Zuschläge, Zahlungsziele und Kennzahlen im Vordergrund. Angesichts der Turbulenzen sind unsere Forecasts nicht nur für den Einkauf, sondern auch für Vertrieb und Werke essenziell. Wir erstellen zudem Businesspläne abhängig von Beschaffungsvolumen, Währungseffekten und Preisentwicklungen. Wir unterstützen fast 90 Fabriken. Angesichts der aktuellen Verwerfungen auf den Beschaffungsmärkten ist dieser Support unverzichtbar.
Herr Ennulat, Sie verantworten die globale Projektorganisation, wo liegt Ihr Schwerpunkt?
Matthias Ennulat: Im Projektmanagement Office betreuen wir mehrere Werke, unterstützen sie in der Methode und sind selbst in die Umsetzung einbezogen. Aktuell haben wir rund 1 000 Projekte im Portfolio. Investitionen, Engineering, Supply Chain sowie Kundenprojekte, die angesichts neuer Rahmenbedingungen verändert werden müssen.
Wo im Alltag berühren sich Ihre Aufgabenbereiche?
Ennulat: Wir denken in der kompletten Wertschöpfungskette, vom Kunden, über Verkauf, Logistik, Fertigung und Einkauf bis zum Lieferanten. Flankiert wird dies durch Produktentwicklung, Produkt Engineering und die Produktlinie. All diese Rollen sind in unseren Prozessen vereint. Geht es zum Beispiel um ein neues Produkt, wird die ganze Kette einbezogen. Da ist die Expertise des Einkaufs von Anfang an gefragt und wird immer wieder eingefordert.

Vita: Silke Vogler-Nitsche
Silke Vogler-Nitsche leitet bei SKF das globale Einkaufscontrolling. Zuvor war die Betriebswirtin im Controlling für verschiedene Business Units und Märkte tätig, dort mit dem Fokus Marketing, Vertrieb, Customer Service.
2020 war für den Einkauf eine Zeitwende. Hat das Ihre Zusammenarbeit verändert?
Ennulat: Früher hat jeder in seinem Silo gearbeitet. Seit wir in einer Projektstruktur arbeiten, sind immer mehr Mitarbeiter in übergreifende Teams eingebunden. Die Abteilungen gibt es weiterhin, aber wir sind es gewohnt über die Silos hinauszudenken und zusammenzuarbeiten.
Frau Vogler-Nitsche, Sie nicken bestätigend. Erleben Sie dies ähnlich?
Vogler-Nitsche: Ja, das kann ich nur bestätigen. Die Technik hatte oftmals nur die technisch optimale Lösung im Blick, nicht die kommerzielle Seite. Der Einkauf betrachtet die Total Cost of Ownership. Mittlerweile hat sich das Zusammenspiel deutlich verbessert und vertieft. Besonders beim Multi Sourcing oder Risikomanagement ist der gemeinsame Blick enorm wichtig.
Ennulat: Wir wollen interne End-to-End-Verantwortlichkeiten vom Lieferanten bis zum Kunden.
Können Sie dies näher erklären?
Ennulat: Ja gerne. Ziel ist, gemeinsam eine Lösung zu finden, eine gemeinsame Verantwortlichkeit herzustellen, statt die Schuld bei einzelnen Personen oder Abteilungen zu suchen. Dafür braucht man gemeinsame Ziele und Kennzahlen, die sich nicht widersprechen. Zudem sollten alle vom Gleichen sprechen, wenn sie identische Begriffe nutzen.
Inwiefern hat sich Ihr Projektmanagement dadurch verändert?
Ennulat: Wir haben einen Weg gefunden, den Wasserfall-Ansatz mit einer agilen Vorgehensweise zu verbinden. Man könnte sagen, wir arbeiten hybrid. Das bedeutet, es gibt 4-Wochen-Sprints, kleine Arbeitspakete, die die Beteiligten eigenverantwortlich abarbeiten und dann kommen wir wieder zusammen. Dadurch, dass auf diese Weise alle entlang der Wertschöpfungskette miteinander agieren, ergeben sich völlig neue Blickwinkel. Wir fragen uns gemeinsam: Wer kann einen Beitrag leisten, wenn es um Kostenreduktion im Einkauf geht? Worauf kommt es an, wenn wir mit einem neuen Produkt eine Lücke im Sortiment füllen wollen? Was brauchen wir an unseren Standorten, um wettbewerbsfähig produzieren zu können? Überall sprechen alle mit. Der gemeinsame Blick aufs Ganze macht den Unterschied.
Vogler-Nitsche: Wir haben uns von einer Organisation in einen Organismus verwandelt. Aus dem Starren ist also etwas Lebendiges geworden!

Vita: Matthia Ennulat
Matthias Ennulat leitet seit 2018 das globale Projektmanagement Office bei SKF in Schweinfurt. Zuvor war der Elektroingenieur in verschiedenen Funktionen in den Bereichen Projekt, Entwicklung, Energiemanagement und Sales tätig.
Welche Vorteile ergeben sich dadurch für SKF, für die Beteiligten selbst?
Ennulat: Durch kleinere Arbeitspakete vereinfachen wir das große Ganze. Und wir haben nur Leute in den Projekten, die zu einem Thema wirklich etwas beitragen können. So kann jeder an seinen eigenen Ideen arbeiten. Das ist der Schlüssel für die Motivation und den Erfolg der Projekte.
Sind Sie auch schneller geworden?
Ennulat: Agil heißt nicht unbedingt schneller, es bedeutet eher, dass man nie lange in die falsche Richtung läuft. Agilität bringt damit Sicherheit und reduziert die Risiken. Die Arbeitsweise ist unabhängig von der Linie, die ist geblieben. Die Methodik und das Mindset verbreiten sich über die rollierende Teilnahme in der Organisation. Unsere Produkte werden immer komplexer. Ein Beispiel: Die Wälzlager für Windkraftanlagen werden immer größer, die Belastungen immer höher. Die Bahn wird immer schneller, Automobilkomponenten müssen stetig weiter kostenoptimiert hergestellt werden. Um in diesem Wettbewerb zu bestehen, ist der enge Dialog entlang der gesamten Wertschöpfungskette unabdingbar.
In der Energie- und Stahlkrise stehen die Kosten im Fokus. Hat das Einkaufs-Controlling dadurch an Bedeutung gewonnen?
Vogler-Nitsche: Mit der Verknappung am Markt und dem immensen Kostendruck durch die gestiegenen Energiepreise gewinnt ein aussagekräftiges Controlling natürlich an Bedeutung. Wir haben sehr viele Projekte, für die unsere Prognosen und die finanzielle Bewertung zentral sind. Die Anfragen kommen nicht nur aus dem Einkauf. Isoliert kann man heute kaum noch etwas betrachten, wenn man gute Entscheidungen treffen will. Etwa bei der Frage der Lokalisierung oder der Reduktion des CO2-Footprints. Auch für Kostenoptimierungen muss man die komplette Struktur hinterfragen und das Management muss auf Einflüsse von außen schnell reagieren.
Inwiefern helfen Ihre unterschiedlichen Sichtweisen?
Ennulat: Beim strategischem Einkauf stehen Kostenoptimierung, Liefertreue, langfristige Partnerschaften mit Lieferanten, bei der Technik die Qualität im Vordergrund. Erfolgreich ist man nur, wenn man beides zusammenführt. Wenn das richtige Produkt, in der richtigen Menge, in der richtigen Qualität, zum richtigen Zeitpunkt zu vertretbaren Kosten geliefert wird. Es geht um das Miteinander, um Transparenz. Das heißt, jeder sieht alles, auch die Daten der anderen. Das ist der Schlüssel, wenngleich nicht alle mit dieser Offenheit umgehen können.
Controlling schafft diese Transparenz, macht man Ihnen gerne die Tür auf?
Vogler-Nitsche: Controlling hat viel mit Kommunikation zu tun. Transparenz ist kein Selbstzweck, sie hat gute Gründe. Und diese Gründe muss man erläutern. Warum brauchen wir diese Informationen? Wofür ist das wichtig? Dann erkennen die Kolleginnen und Kollegen die Notwendigkeit, sehen den Support, den wir für die operativen Einheiten leisten. Transparenz ist ein Win-Win, von dem alle profitieren.
Auf welche Kennzahlen kommt es im Einkauf besonders an?
Vogler-Nitsche: Bei der Analyse des Einkaufsvolumens liegt aktuell der Fokus auf Kostenveränderungen und Verbräuchen. Beim direkten Material ist dies einfacher, beim indirekten Material ist die Ermittlung etwas komplexer. Etwa bei der Energie Klarheit zu schaffen und eine Vergleichbarkeit. Ähnlich sieht es bei den Logistikkosten aus. Was haben wir von welcher Leistung verbraucht bzw. zu welchen Konditionen genau abgerufen aus einem Vertrag? Was haben wir jeweils bezahlt? Der Markt wird immer schnelllebiger. Deshalb ist die weitere Flexibilisierung der Lieferkette wichtig. Um kurzfristig die richtigen Entscheidungen treffen zu können, brauchen wir Klarheit für die wesentlichen Kennzahlen.
Kommen wir zum Risikomanagement, wo setzen Sie hier an?
Ennulat: Proaktiv. Bereits im Produktentstehungsprozess denken wir an die verschiedenen Risiken. Natürlich kann man Ereignisse wie den Krieg in der Ukraine nicht vorhersagen. Dafür hat man auch keinen Plan B. Aber wir überlegen von Anfang an, was könnte passieren und wenn ja, wie gehen wir damit um. Welche Alternativen haben wir? Wir haben ein Werk in der Ukraine und haben einen Großteil unseres Stahls aus Russland bezogen. Da kam auf den Einkauf eine Schlüsselrolle zu, um Stahl aus russischer Produktion zu ersetzen, damit die Werke weiter produzieren konnten, was uns gut gelungen ist.
Das Unternehmen: SKF
Der schwedische Konzern SFK beschäftigt weltweit rund 42.000 Mitarbeitende, davon ca. 6.000 in Deutschland. Größter Fertigungsstandort der Gruppe ist Schweinfurt mit rund 4.000 Mitarbeitenden. In 15 Technologiezentren und 87 Werken entwickelt und fertigt SKF Wälzlager, Dichtungen, Schmiersysteme und Mechatronik sowie Systeme zur Zustandsüberwachung. 2021 erwirtschaftete der Konzern 81,7 Milliarden schwedische Kronen (SEK) Umsatz.
Wie haben Sie das ohne Produktionsausfälle geschafft?
Vogler-Nitsche: Wir haben so gut wie kein Single Sourcing, außer unsere Kunden legen bestimmte Lieferanten für ein Projekt fest. Das konsequente Multi Sourcing, das wir schon länger verfolgen, hat uns geholfen.
… und die erwähnten Kundenprojekte?
Ennulat: Dort geht es um die Freigabe für alternative Lieferanten. Diese schnell hinzubekommen, um liefern zu können. Das wickeln wir über gesonderte Projekte ab.
Inwiefern hilft Controlling beim Risikomanagement?
Vogler-Nitsche: Wir haben im SKF-Einkauf eine eigene Abteilung, die sich um die Risiken kümmert. Im Controlling monitoren wir die finanziellen Risiken der Lieferanten. Aktuell leiden gerade die europäischen Zulieferer unter den extrem hohen Energiekosten. Hier behalten wir die für uns kritischen Partner im Auge. Hat der Lieferant einen Backup-Plan? Haben wir einen? Wie sieht es mit der generellen Liefertreue aus, mit der Qualität, gibt es Schwankungen, die uns Sorgen machen müssen? Das sind Fragen, die wir uns stellen.
Sie kaufen Logistik, Stahl, Energie: Wie gehen Sie mit den Preissteigerungen um?
Vogler-Nitsche: Es ist herausfordernd, der Dynamik zu folgen und die Steigerungen in dieser Geschwindigkeit preisseitig abzubilden. Zumal wir parallel die Versorgung aufrechterhalten müssen. Entscheidend ist, dass unsere Lieferanten weiterbestehen. Für viele in Europa ist die Energiekrise ein großes Risiko. Trotzdem gibt es den Trend zur weiteren Regionalisierung, aus Gründen der Versorgung und Nachhaltigkeit – dies bei in Europa vielfach höheren Energiepreisen als in Asien oder den USA. Das ist der Balance-Akt, den jedes Unternehmen abwägen und immer wieder nachjustieren muss.
Ennulat: Andererseits hat in der Vergangenheit Knappheit immer dazu geführt, dass sich die Effizienz erhöht. So überdenken wir unsere gasabhängigen Härteverfahren. Können wir die Öfen effizienter machen? Was können wir gegebenenfalls zusammenführen, dass nicht alle Öfen gleichzeitig laufen müssen. Für manche Prozesse nutzen wir Induktion statt Gas. Hinzu kommt der weitere Ausbau der erneuerbaren Energien, Solarpanels die wir installiert haben und installieren werden. Energiesparende Beleuchtung. Energiesparende Maschinen. Bessere Prozesse. Das war schon immer unser Streben und wird jetzt noch einmal vorangetrieben.
Werden Sie in dieser Hinsicht von Ihren Lieferanten unterstützt?
Vogler-Nitsche: Genau wie wir unsere Kunden hier unterstützen, erwarten wir das auch von unseren Lieferanten.
Inwiefern haben Sie Klima- und Nachhaltigkeitsziele in Ihre Lieferkette implementiert?
Vogler-Nitsche: Alle Lieferanten unterzeichnen unseren Code of Conduct beziehungsweise haben einen eigenen, mit der SKF vergleichbaren im Einsatz; das wird von uns abgeprüft. Weiterhin auditieren und verpflichten wir sie, sich ISO 50001 zu zertifizieren, also ein systematisches Energiemanagement einzuführen. Für vieles muss man aber weiter vorne ansetzen. Zum Beispiel bei der Logistik und damit der Regionalisierung. Wir produzieren weltweit, unsere Kunden sind weltweit. Local-for-Local für Beschaffung, Werke und Märkte ist ein wichtiger Ansatz. Neben dem globalen Warengruppenmanagement hat SKF deshalb wieder verstärkt lokale Warengruppenmanager.
Ennulat: Die Beschaffungswege sind sehr viel sensibler geworden. Das spricht ebenfalls für mehr Regionalisierung. Wenn ein Hafen schließt oder im Suezkanal ein Schiff feststeckt, stört das massiv unsere komplexen Lieferketten. Mit solchen Störungen werden wir weiterhin leben müssen.
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