VW-Werk in Wolfsburg: Der Automobilhersteller setzt auf Bauteile mit "Nexperia inside", ist also auch vom Lieferstopp betroffen.(Bild: Volkswagen AG)
Der Handelsstreit der USA mit China führt dazu, dass die hierzulande Versorgung mit wichtigen Halbleitern gefährdet ist. Warum konnte es so weit kommen?
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Die europäische Automobilindustrie, allen voran Volkswagen, steht vor ihrer zweiten Chipkrise innerhalb von fünf Jahren. Das Wolfsburger Werk hat bereits einen Produktionsstopp angekündigt. Allerdings ist der Auslöser in diesem Fall keine Pandemie. Stattdessen liegt der Ursprung der Krise im Handelskonflikt zwischen den USA und China. Zudem hat sie einen Namen: Nexperia. Wie hängt das alles also nun zusammen? Eine Erklärung.
Wo liegt das Problem?
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Volkswagen bezieht einen Großteil seiner Halbleiter vom Chiphersteller Nexperia. Dieser kann nicht mehr die benötigten Halbleiter herstellen und liefern, da es ihm an Rohstoffen und Vormaterialien fehlt.
Bei den benötigten Chips handelt es sich um sogenannte diskrete Halbleiter. Dazu zählen Dioden, Transistoren und ESD-Schutzelemente. Sie sind zwar eher einfache Bauteile, keine Raketenwissenschaft, dafür jedoch unverzichtbar für die Fertigung vieler Produkte. In Autos verarbeiten sie beispielsweise Signale in Steuergeräten, regeln und stabilisieren die Spannung und sprechen Sensoren an. Wie viele dieser diskreten Halbleiter in einem Auto verbaut werden, hängt nach Angaben des ZVEI vom jeweiligen Hersteller und Modell ab.
Nexperia ist nach eigenen Angaben Weltmarktführer in der Herstellung dieser diskreten Halbleiter. Entstanden ist das Unternehmen als eine Ausgliederung des niederländischen Chip-Herstellers NXP Semiconductors. Im Jahr 2019 wurde das Unternehmen vom chinesischen Unternehmen Wingtech Technology gekauft. Seinen Sitz in den Niederlanden (Nijmegen) behielt die Ex-Tochtergesellschaft aber bei.
Zu den Kunden zählten Stand August Automobilhersteller wie Volkswagen, BMW, Mercedes, Tesla und Zulieferer wie Bosch.
Weltweit arbeiten etwa 15.000 Menschen in Asien, Europa und den USA für das Unternehmen. Es unterhält Produktionsstandorte in Hamburg, im britischen Manchester, im chinesischen Guangdong, in Seremban (Malaysia) und in Cabuyao (Philippinen). Forschungs- und Entwicklungszentren betreibt Nexperia in Nijmegen, Penang (Malaysia) und Dallas (USA). In der Liste der größten Halbleiterhersteller taucht Nexperia jedoch nicht auf.
Die Ursache der Probleme liegt im Handelskonflikt zwischen den USA und China. Auslöser war jedoch die niederländische Regierung, die ein uraltes Gesetz aus dem Kalten Krieg reaktivierte. Danach ist es möglich, Unternehmen im eigenen Land zu übernehmen, wenn nationale Interessen gefährdet sind.
Der niederländische Wirtschaftsminister Vincent Karremans hatte dem chinesischen Eigentümer von Nexperia die Kontrolle entziehen lassen und setzte den chinesischen Leiter Zhang Xuezheng vor die Tür. Grundlage dafür war ein Beschluss des Amsterdamer Wirtschaftsgerichts.
Zwar hatte Karremans erklärt, dass der Handelsstreit zwischen den USA und China nichts mit dem Konflikt um Nexperia zu tun habe. Offiziell heißt es, man habe befürchtet, dass technisches Know-how nach China abfließen könnte. Doch aus Gerichtsakten geht hervor, dass die US-Regierung die niederländische Regierung zu dem Schritt gedrängt hat.
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Für seine Produktion ist Nexperia auf die Zulieferung von Materialien aus China abhängig. Diese Lieferungen sind aktuell gestoppt, sodass sowohl die Herstellung als auch die Auslieferung der Halbleiter nicht möglich ist. Einige Medien berichten, dass Chinas Regierung als Reaktion auf den Rausschmiss Exportkontrollen erlassen habe, die faktisch wie Lieferstopps wirken. Doch es könnte auch eine Reaktion des chinesischen Unternehmens selbst sein.
Wer nutzt Bauteile von Nexperia?
Unter anderem produziert Nexperia sogenannte Metall-Oxid-Halbleiter-Feldeffekttransistoren (Mosfets). Diese schalten und verstärken elektrische Signalen und Ströme. Diese Bauteile fallen in die Kategorie Brot-und-Butter-Chips. Das heißt: Ohne sie läuft nichts, sie sind selbst aber auch keine ausgefeilte Technik.
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Die Autoindustrie nutzt Chips von Nexperia in elektronischen Steuergeräten (ECUs) für Sensoren und verbaut sie in anderen elektronischen Systemen. Zu den Kunden von Nexperia gehören daher große Automobilhersteller wie BMW, VW und Stellantis. Diese sind jedoch meist indirekt betroffen, da vor allem Tier-1-Zulieferer wie Bosch die Bauteile verbauen.
Zwar ist die Autoindustrie einer der wichtigsten Kunden für Nexperia, bei weitem aber nicht der einzige. Auch in der Fabrikautomation, in kollaborativen Robotern (Cobots), Gabelstaplern, Pumpensteuerungen, Klimaanlagen und intelligenter Straßenbeleuchtung werden sie verbaut. Daher zählen Hersteller von tragbarer Elektronik wie Smartwatches und die Computerbranche ebenfalls zu den Kunden des Chip-Herstellers.
Welche Folgen hat die erneute Chip-Krise?
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Wie dramatisch sich die Chip-Krise 2.0 auswächst, kann zurzeit niemand sagen. Teilte der Autoverband VDA zunächst mit, dass „die Situation schon in naher Zukunft zu erheblichen Produktionseinschränkungen, gegebenenfalls sogar zu Produktionsstopps führen könnte“, sieht es mittlerweile konkreter aus.
Da die Bauteile selbst keine hochwertige Entwicklung erfordern, wäre es möglich, Alternativlieferanten zu finden – allerdings nicht so schnell. Denn auch die anderen Produzenten können ihre Fertigung nicht so schnell an die neuen Bestellungen anpassen.
Olaf Lies, Ministerpräsident Niedersachsens und qua Amt im Aufsichtsrat von Volkswagen plädiert für eine diplomatische Lösung und „darüber hinaus ein Stück weniger Abhängigkeit“. Man müsse mehr diversifizieren, so Lies im Morgenmagazin des ZDF. (27. Oktober 2025)
(Bild: mi connect)
Die Autorin: Dörte Neitzel
Dörte Neitzel ist Wissens- und Infografik-Junkie vom Dienst. Dinge und Zusammenhänge zu erklären ist ihr Ding, daher beschreibt sie sich selbst auch gern als Erklärbärin mit Hang zur Wirtschaft – was einem lange zurückliegenden VWL-Studium geschuldet ist. Nach einigen Stationen im Fachjournalismus lebt sie dieses Faible bevorzugt auf der Webseite der TECHNIK+EINKAUF aus und taucht besonders gern ab in die Themen Rohstoffe und erneuerbare Energien.
Privat ist Südfrankreich für sie zur zweiten Heimat geworden, alternativ ist sie in der heimischen Werkstatt beim Schleifen, Ölen und Malern alter Möbel zu finden oder in südbayerischen Berg-und-See-Gefilden mit Hund im Gepäck unterwegs.
Hausgemachte Chipkrise?
Es scheint ein Déjà vu zu sein: Schon wieder fehlen Chips, schon wieder droht die Produktion der Automobilhersteller ins Stocken zu geraten oder sogar ganz zum Halt zu kommen. Hat die Automobilbranche also nichts aus der letzten Chipkrise gelernt?
Die Situation ist eigentlich nichts anderes als das klassische Horrorszenario einer jeden Einkaufsabteilung: ein strategisch wichtiger Lieferant fällt aus. Mit mehr Lagerhaltung oder Multi-Sourcing gibt es mindestens zwei (Lehrbuch-)Strategien gegen mögliche Ausfälle von essenziellen Lieferanten. „Man muss mehr diversifizieren“, analysiert Lies, „und wir sehen, dass genau dieser Schritt nicht passiert ist“. Zumindest nicht in der letzten Konsequenz, den Stimmen aus der Branche sagen sehr wohl, dass man aus der vergangenen Krise gelernt habe und mehr Lagerhaltung und Alternativlieferanten aufgebaut habe.
Trotz Selbstkritik steht für Ministerpräsident Lies der Hauptschuldige fest: der hohe Preisdruck in der Automobilindustrie. Dieser hindere die Unternehmen daran, alternative – und womöglich teurere – Lieferketten aus Europa aufzubauen.
Lies sieht die Verantwortung also beim Bund und bei der EU, die die Verantwortung hätten, dafür zu sorgen, dass hierzulande eine wettbewerbsfähige Produktion von produktionsrelevanten Bauteilen möglich ist. Eine komplette Autarkie sei zwar utopisch, aber einen nennenswerten Anteil müsse man hierzulande produzieren können.
Chip-Produktion in Europa
Mit dem European Chips Act soll die heimische Halbleiterproduktion gefördert werden. Laut Gernany Trade & Invest (gtai) verfügt die EU bereits über starke Ökosysteme für die Halbleiterindustrie – besonders in den Kernländern Deutschland, Frankreich und Italien. Bei vielen Ausrüstungen für die Produktion von Mikroelektronik sei der Kontinent sogar weltweit führend.
Doch neben den massiven Subventionen für große Chipfabriken müsse Europa mehr tun für die Ausbildung von Fachkräften, für eine marktnahe Forschungslandschaft und für eine stärkere Nachfrage nach hochmodernen Halbleitern. Außerdem müssen die Standortbedingungen verbessert werden. Dazu gehören
schnellere Genehmigungsverfahren,
günstigere Energiekosten und
eine technische Infrastruktur auf Spitzenniveau.
Wenn das gelingt, hat die EU eine gute Chance, im Wettrennen der Halbleiterindustrie nicht den Anschluss zu verlieren.
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