Mann mit Energiesparlampe und Taschenrechner auf einem Schreibtisch

Der Einkauf sitz an den Schalthebeln für Nachhaltigkeit im Unternehmen. (Bild: onephoto - stock.adobe.com)

Rund 361 Milliarden Euro verwalteten nachhaltige Fonds Ende Juni 2021 in Deutschland. Demnach ist jeder Deutsche rein rechnerisch im Durchschnitt mit knapp 4.500 Euro in Nachhaltigkeitsfonds investiert – entweder direkt oder indirekt, zum Beispiel mittels Lebensversicherungen oder Renten. Sogar Fonds, die nicht als nachhaltig klassifiziert sind, berücksichtigen mittlerweile bei ihren Anlagen oft ökologische und soziale Kriterien sowie Prozesse verantwortungsvoller Unternehmensführung.

Die Bedeutung von sogenannten ESG-Kriterien (Environment, Social, Governance) wird weiter wachsen: Im nächsten Jahr will die EU-Finanzmarktaufsicht schärfere Mindeststandards für das Label "Nachhaltigkeit" veröffentlichen. Zudem wird das Lieferkettengesetz 2024 auf kleinere Unternehmen ausgeweitet. Für die EU-Taxonomie gilt ab Anfang 2022 eine erweiterte Offenlegungspflicht für Umweltziele.

Darüber, wie Unternehmen ESG-Standards seriös nachweisen können, wird trefflich gestritten. Selbsterstellten Nachhaltigkeitsberichten begegnet eine gewisse Skepsis. Aber auch externe Ratings basieren überwiegend auf internen Angaben. Eines ist jedoch sicher: Investoren werden Mittel und Wege finden, jeden Winkel ihrer Engagements auszuleuchten.

CO₂-Reduktion – der Lackmustest

Der CO₂-Footprint ist eine Art Lackmustest dafür, ob es gelingt, eine Organisation auf eine Roadmap zur Nachhaltigkeit festzulegen. „Auch wenn es je nach Branche sehr unterschiedlich ist: Typischerweise wird der größte Teil der Emissionen über die Lieferkette eingekauft. In der Regel managen die Einkaufsabteilungen unserer Kunden über drei Viertel des CO₂-Fußabdrucks ihrer Endprodukte. Bei elektronischen Erzeugnissen sind dies 77 Prozent, bei Mode 85 Prozent und bei Konsumgütern insgesamt sogar 90 Prozent“, so Carl Punkenburg, Principal und Experte für Nachhaltigkeit bei Inverto, der auf Einkauf und Supply Chain Management spezialisierten Beratungsgesellschaft der Boston Consulting Group.

Den Dekarbonisierungs-Status einer Lieferkette zu kontrollieren, ist eine Herkulesaufgabe. „Außerdem sind die Unternehmen oft Lieferketten mit stark variierender Komplexität und Tiefe ausgesetzt“, so Dr. Bernhard Bartels, Executive-Director von Scope ESG Analytics.  Während in der Nahrungsmittel- oder der Chemieindustrie praktisch tausende von Vorproduzenten überprüft werden müssten, seien die Verflechtungen der Baubranche oder in der Möbelindustrie übersichtlicher. Aber selbst Unternehmen, die nur mit wenigen direkten Zulieferern arbeiten, können durch deren Vorlieferanten mit Zwischenprodukten kontaminiert werden, die mit hohen ESG-Risiken behaftet sind.

Definition: Was sind ESG-Kriterien?

Als Standard für nachhaltige Anlagen hat sich die Abkürzung ESG etabliert. Sie beschreibt drei nachhaltigkeitsbezogene Verantwortungsbereiche von Unternehmen:

  1. Environment (Umwelt): Hier liegt der Fokus zum Beispiel auf Umweltverschmutzung und -gefährdung, Energieeffizienz, CO₂- und andere Schadstoff-Emissionen in Luft und Wasser, Rohstoff- und Ressourceneffizienz oder Artenvielfalt.
  2. Social (Soziales): Dieser Aspekt beinhaltet die Sicherheit und Gesundheit von Mitarbeitern, Arbeitsrechte, Versammlungs- und Gewerkschaftsfreiheit, Nachhaltigkeitsstandards bei Zulieferern, Diversity oder gesellschaftliches Engagement (CSR - Corporate Social Responsibility).
  3. Governance (Unternehmensführung): Hier fließen ethische Themen wie Korruption, Compliance, der Umgang mit Whistleblowing oder auch Risiko- und Reputationsmanagement ein.

Quelle: Gabler Wirtschaftslexikon, Hypovereinsbank

Den Einkauf autorisieren

Der Einkauf kann seine Aufgabe nur im Zusammenwirken mit der Unternehmensleitung und weiteren internen Partnern Erfolg versprechend angehen. Das beginnt bei den Basics: vor allem mit Transparenz über den CO₂-Output, der in der Lieferkette entsteht, damit die Einsparpotenziale in einzelnen Warengruppen oder bei Lieferanten überhaupt identifiziert werden können.

Zudem bedarf es einheitlicher Standards für die Messung des CO₂-Ausstoßes, solche gibt es bis heute nicht. „Oft schaffen Unternehmen aber auch selbst Hürden, indem sie Nachhaltigkeitsziele zwar in ihrer Strategie verankern, der Einkauf aber nicht auf diese Ziele verpflichtet wird oder nicht das Mandat erhält, sie durchzusetzen“, so Berater Punkenburg.

Um eine konsistente Strategie zu formen, müssten für alle direkt und indirekt involvierten Abteilungen von der Gesamtstrategie abgeleitete Ziele definiert und durch entsprechende KPIs abgebildet werden: für F&E, die Produktion und den Vertrieb gleichermaßen, einschließlich Incentives an die Mitarbeiter bei Zielerreichung. "Belohnt" werden können auch Lieferanten, die besonders nachhaltig sind, etwa mit besseren Konditionen.

Damit eine CO₂-Reduktion bei Vergabeentscheidungen berücksichtigt werden kann, muss sie Bestandteil der Bewertungskriterien sein, aber dann auch konsequent verfolgt werden.

Konsequent handeln

Der Einstieg in die CO₂-Reduktion gelingt dort am leichtesten, wo die damit verbundenen Kosten in einem guten Verhältnis zum CO₂-Einsparpotenzial stehen. Punkenburg: „Zuerst werden die Warengruppen mit den geringsten CO2-Vermeidungskosten bei einem hohen Reduktionsimpact angegangen.

Es kann sogar einzelne Maßnahmen in Warengruppen geben, die Kosten­einsparungen und CO₂-Vermeidung kombinieren. Beispiele hierfür sind Anpassungen der Travel Policy oder Optimierungen des Logistik-Netzwerkes.“ Inverto nutzt ein Ampel-Modell, um die Realisierung von ESG-Mindeststandards bei Lieferanten zu analysieren. Anbieter, die nach einer gewissen Zeit die definierten Ziele immer noch nicht erreichen, werden auf "Rot" gesetzt, also blockiert.

Mehr Nachhaltigkeit lässt sich allerdings nicht verordnen, sondern ist immer das Ergebnis von Dialog und gemeinsamer Entwicklung. Dabei kann ein Unternehmen auch von Lieferanten lernen, die bereits Fortschritte erzielt haben. Neben den am Markt angebotenen ESG-Ratings, welche üblicherweise auch Kriterien wie zum Beispiel nachhaltige Einkaufsrichtlinien in die Bewertung einfließen lassen, gibt es auch spezialisierte Lösungsanbieter wie EcoVadis oder IntegrityNext. Diese bieten Unternehmen gezielte ESG-Ratings für ihre Lieferantenlandschaft an.

Alles ist relativ – auch Nachhaltigkeit. Bernhard Bartels von Scope: „Anleihen können beispielsweise auch dann als nachhaltig eingestuft werden, wenn der Emittent selbst kein oder ein niedriges ESG-Rating aufweist. Für Investoren ist der Vergleich auf Branchenebene besonders relevant. Wenn das Rating oberhalb des Branchendurchschnitts liegt, ist dies oftmals entscheidender als die absolute Einstufung.“  

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In fünf Schritten zum nachhaltigen Einkauf

1. Transparenz schaffen

... und die treibenden und/oder hemmenden Faktoren der Nachhaltigkeit identifizieren.

2. Den Zweck (Purpose) der Nachhaltigkeit definieren

Jede Brance hat ihre eigenen Herausforderungen im Hinblick auf Nachhaltigkeit und jedes Unternehmen hat seine eigene Vision und Mission.

3. Initiativ werden

Auf Basis der eigenen Nachhaltigkeitsstrategie werden im Dialog mit Lieferanten Nachhaltigkeitskriterien entwickelt und vorangetrieben.

4. Externe Kompetenz nutzen

Unternehmen finden nicht immer selbst die besten Lösungen. Forschungsinstitute, Universitäten und NGOs, sowie Industrieforen können wichtige Impulse geben.

5. Messen und berichten

Regelmäßige Analysen messen den Forschritt, Reportings kommunizieren ihn. Aussagekräftig sind Vergleiche mit Best-in-Class-Initiativen. Beispiel: Global Reporting Initiative.

Quelle: Inverto

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