Pumpen von Netzsch fördern Gas, Abwässer, Lebensmittel, Chemikalien, Pharmazeutika und Rohstoffe. Entsprechend groß ist die Teilevielfalt. Wichtig ist nicht nur Versorgungssicherheit. Auch die Lieferkette soll bis 2045 klimaneutral werden. Wie Einkauf und Entwicklung dahingehend zusammenarbeiten, verraten Rudolf Hargasser, Leiter Einkauf und Beschaffungslogistik, und Stefan Weigl, Entwicklung Verdrängerpumpen bei Netzsch.
TECHNIK+EINKAUF: Herr Hargasser, was ist die Besonderheit im Netzsch-Einkauf?
Rudolf Hargasser: Wir haben über 400.000 aktive Materialstämme im System, entsprechend viel ist in Bewegung. Um unnötige Lagerbestände zu vermeiden, fahren wir eine ausgeklügelte Dispositionsstrategie, die über alle Materialien ausgerollt ist. So stellen wir sicher, dass wir die Materialien haben, die wir brauchen, und vermeiden Langdreher.
Herr Weigl, warum brauchen Sie eine solche Vielfalt?
Stefan Weigl: Wir beliefern mit unseren Produkten sehr viele, sehr unterschiedliche Industrien. Unsere Pumpen arbeiten in Biogas- und Kläranlagen, wir beliefern die chemische Industrie, die Lebensmittel- und pharmazeutische Industrie. Wo Strömungsmaschinen an ihre Grenzen stoßen, kommen unsere Verdrängerpumpen zum Einsatz. Im Bereich der Exzenterschneckenpumpen sind wir seit Jahrzehnten Weltmarktführer. Netzsch bietet seinen Kunden speziell auf ihre Anwendungen zugeschnittene Lösungen. Wir bauen jede Pumpe im Schnitt nur 1,4- Mal, produzieren also fast Losgröße eins. Diese extreme Flexibilität hebt uns von unseren Marktbegleitern ab.
Wie haben Sie unter diesen Bedingungen die Lieferkrise erlebt?
Hargasser: Obwohl wir in einem starken Verkäufermarkt unterwegs waren, Materialien kontingentiert wurden, kam es nie zum Produktionsstillstand. Gut gelebte Partnerschaften waren in dieser schwierigen Situation der Schlüssel zum Erfolg. Geholfen hat uns auch, dass wir ein globales Unternehmen sind. Unser Headquarter befindet sich in Deutschland, daneben haben wir Standorte in China, Brasilien, Indien und den USA. Wir sourcen aus den Regionen für die Regionen. Dadurch konnten wir uns gegenseitig aushelfen, wenn dies notwendig war.
Wie wichtig ist die Nähe des Einkaufs zur Entwicklung bei Ihnen?
Weigl: Der Einkauf ist kontinuierlich in die Entwicklung eingebunden. Die Zusammenarbeit ist herausfordernd, aber wir brauchen die Nähe, um Kontakte zu pflegen, um uns immer wieder neue Fertigungsmöglichkeiten, neue Technologien zu erschließen und in Krisen handlungsfähig zu bleiben. Das gilt insbesondere im Rahmen der agilen Arbeitsweise in den Projektteams. Die Teams setzen sich je nach Reife des Endprodukts immer wieder neu zusammen.
Hargasser: Wir können sehr kostengünstig sourcen, wenn wir am Anfang einer Produktentwicklung wissen, wo die Herausforderungen und Veränderungen hinsichtlich der Zukaufteile liegen und verfolgen das Prinzip Design-to-Cost. Aus diesem Aspekt heraus können wir uns rechtzeitig auf die Suche nach den richtigen Partnern machen und diese bereits in diesem Stadium aktiv einbinden.
Die Materialpreise sind zum Teil enorm gestiegen. Welche Rolle spielt der Kostenaspekt in Gesprächen mit Lieferanten?
Hargasser: Wir leben intensive, enge Partnerschaften, die in der Krise unsere Versorgung sichergestellt haben. Trotzdem haben wir klare Vorgaben, die es zu erfüllen gilt, weil wir wettbewerbsfähig bleiben wollen und müssen. Da ist auch der Lieferant gefordert, aber auf eine Art und Weise, bei der wir uns auf Augenhöhe begegnen. Das ist uns sehr wichtig.
Wer größere Stückzahlen kauft, hat es in Verhandlungen leichter. Gibt es Bestrebungen für eine gewisse Standardisierung?
Hargasser: Wir haben zwar eine große Materialvielfalt an Produkten und Qualitäten, die wir einsetzen, aber nur 300 aktive Lieferanten. Das heißt, die Lieferbeziehungen an sich sind überschaubar. Natürlich ist Standardisierung für den Einkauf immer von Vorteil. Daran arbeiten wir auch.
Weigl: Die Anforderungen an eine Pumpe in einer Kläranlage sind andere, als wenn in der Lebensmittelproduktion Joghurt gefördert wird. Trotzdem sind wir dabei, unseren etablierten Produktbaukasten immer weiterzuentwickeln, um mit der gleichen Technologie verschiedene Anwendungsfelder abdecken zu können.
Wie sichern Sie Ihre Lieferkette ab? Gibt es für Bauteile Alternativen?
Weigl: Technisch sind wir hier natürlich etwas eingeschränkt. Wenn es zum Beispiel darum geht, ein Gussteil durch eine Fräs- oder Schweißkomponente zu ersetzen, laufen diese Überlegungen von Beginn an mit. Nicht alles lässt sich auf zwei Füße stellen. Aber wir stützen uns immer auf mehrere Lieferanten.
Funktioniert Multisourcing bei so kleinen Stückzahlen?
Hargasser: Wir wollen immer mindestens zwei Lieferanten für ein Material haben. Die Grundfrage lautet, was kostet die Risikoabsicherung und kann sich der Lieferant bei einer bestimmten Jahresmenge vorstellen, mit uns zusammenzuarbeiten. Die jüngste Vergangenheit hat gezeigt, dass Lieferströme jederzeit in Mitleidenschaft gezogen werden können und man einen guten Mix aus Regionalität und Internationalität im Produktionsverbund braucht. Gute Partner zu haben bedingt eine Langfristplanung, auch was die Mengen betrifft. Der Lieferant muss wissen, dass wir weiterhin bei ihm bestellen. Nur dann stellt er sich auf unsere Bedürfnisse ein. Dieses Zusammenspiel will und muss aktiv gelebt werden.
Wie sieht Ihr Risikomanagement aus?
Hargasser: Künftig wollen wir die Lieferkette bis zum Rohstoff verfolgen. Wir brauchen einen gewissen Vorlauf, um Dinge im Problemfall verschieben zu können. Kautschuk ist ein Beispiel. Dieser Rohstoff war in unserem Fall mehreren Force-Majeure-Vorfällen ausgesetzt. Sollten künftig Probleme auftreten, wollen wir schneller umdisponieren können, damit Lieferketten nicht abreißen. Das gilt für alle wichtigen Rohstoffe und Vorprodukte.
Haben Risikoinformationen auch Einfluss auf das Design?
Weigl: Wir haben Konzepte und Studien entwickelt, um Bauteile oder Funktionen mit anderen Werkstoffen oder Verfahren umzusetzen zu können.
Netzsch fällt seit dem 1. Januar 2024 unter das Lieferkettengesetz. Wie setzen Sie die Sorgfaltspflicht um?
Hargasser: Für das Lieferkettengesetz arbeiten wir mit EcoVadis. Wir lassen uns von EcoVadis als Unternehmen seit 2018 selbst bewerten und nutzen die Plattform nun auch zur Umsetzung des LkSG. Das heißt, wir erwarten von unseren Lieferanten ein entsprechendes Ranking oder das Monitoring über eine vergleichbare Plattform. Bereits Ende 2023 kamen 65 Prozent unseres Wareneingangs von entsprechend zertifizierten Lieferanten. Seit 2023 sind wir vom BME außerdem als nachhaltige Einkaufsorganisation mit dem Goldstatus (Level 3) zertifiziert. Nachhaltigkeit in der Lieferkette ist uns extrem wichtig.
Worauf kam es an, um diese Zertifizierungen zu erhalten?
Hargasser: Wir haben unter anderem unsere Beschaffungsstrategien in den Warengruppen angepasst. Wir überdenken Anlieferungzyklen, haben bei Verpackungen Mehrweglösungen eingeführt, um den Ressourceneinsatz, wo immer möglich, zu reduzieren. Auch international strapazieren wir das Thema. So stehen wir derzeit in einem positiven Dialog mit unseren chinesischen Lieferanten, um von Einweg- auf Europaletten umzusteigen, die wir im Kreislauf führen können. Dass Nachhaltigkeit mittlerweile bei vielen Unternehmen auf der Agenda steht, auch im internationalen Kontext, hilft uns bei den Veränderungen.
Weigl: In der Entwicklung führen wir für unsere Pumpen Lebenszyklus-Analysen (LCA) durch. Das heißt, wir brechen unsere Emissionswerte bis auf die Produktebene herunter und berechnen hierfür unter anderem den CO₂-Fußabdruck von Bauteilen.
Bekommen Sie schon Primärdaten aus der Lieferkette?
Weigl: Primärdaten zu den Emissionen von den Lieferanten zu erhalten, ist noch schwierig. Aber wir wissen, welche Herstellungsverfahren in welchen Regionen mit welchen Emissionen verbunden sind und wohin wir unsere Aktivitäten verschieben müssen. Ein Beispiel ist der 3D-Druck. Wir haben eigene Anlagen und produzieren hiermit Bauteile für die Serie. Wenn wir diese Emissionen mit anderen Fertigungsverfahren vergleichen, sehen wir deutliche Unterschiede und viel Potenzial. Beim additiven Verfahren brauchen wir für die Kleinstmengen keine Werkzeuge und sparen außerdem die Emissionen und Kosten für die Logistik.
Sie holen Wertschöpfung zurück ins Unternehmen, weil das Kosten und CO₂ einspart?
Weigl: In diesem Fall, ja. Wir wollen bestimmte Kernkompetenzen aber auch nicht außer Haus geben. Deshalb arbeiten wir direkt mit den Herstellern von 3D-Drucksystemen, um die Maschinen auf unsere Bedürfnisse hin zu konfigurieren. Der Werkstoff Stahl ist ein unglaublicher CO₂-Emittent. Es ist nicht leicht davon wegzukommen, aber wir entwickeln uns dahin, Bauteile durch andere Werkstoffsysteme zu ersetzen. Das hat einen großen Einfluss auf die Emissionen, ist aber ein langer Weg.
Das Unternehmen: Netzsch
Netzsch Pumpen & Systeme ist eine Tochterfirma der Netzsch Group. Das Unternehmen beschäftigt 2.300 Mitarbeitende an fünf Entwicklungs- und Produktionsstandorten. Headquarter ist Waldkraiburg. Der Pumpenhersteller ist Weltmarktführer für Exzenterschneckenpumpen. Daneben entwickelt und produziert er Schraubenspindelpumpen, Drehkolbenpumpen, Schlauchpumpen und Zerkleinerer. Eingesetzt werden die Produkte in der Lebensmittel-, Pharma- und Chemieindustrie, in der Abwasser-, Öl- und Gasförderung sowie im Bergbau.
Welche Klimaziele haben Sie für die Lieferkette?
Hargasser: Unser Ziel lautet, bis 2030 im Rahmen unseres Programms ‚Green Growth‘ jährlich 3,5 Prozent CO₂ im Scope-1 und Scope-2 zu reduzieren. Bis 2045 will Netzsch als Unternehmen klimaneutral sein. Für die konkrete Ausgestaltung dieses Ziels in der Lieferkette sind wir gerade in der Diskussion. Eine wichtige Überlegung ist: Was können wir aktuell wirtschaftlich unseren Kunden vermitteln, wenn wir sagen, Nachhaltigkeit geht vor Preis. Allerdings stellen wir fest, dass unsere Kunden ebenfalls sehr genau beobachten, wie wir mit dem Thema umgehen. Das heißt, eine gewisse Zahlungsbereitschaft kann man voraussetzen.
Ist die CO₂-Reduktion der Haupttreiber für den nachhaltigen Wandel der Industrie?
Weigl: Ja, das würde ich zunächst schon sagen. Auch wenn sich die Nachfragen nach den produktbezogenen Emissionen beziehungsweise den Lebenszyklus-Analysen für unsere Produkte seitens unserer Kunden noch in Grenzen halten. An dieser Stelle gehen wir jedoch bewusst in Vorleistung.
Geht die Entwicklung also von Design-to-Cost zum Design-to-Sustainability?
Weigl: Es ist eine Kombination. Wir haben technologische Alternativen, die effizienter als bestehende Technologien sind. Diese nutzenorientierten Vorteile müssen jedoch für den Kunden transparent gemacht werden. Dann fällt eine Entscheidung im Sinne der Nachhaltigkeit oft nicht schwer, auch wenn hierfür bauliche Veränderungen in den Anlagen nötig sein können.
Auch Ihre Lieferanten müssen Sie für die Transformation gewinnen…
Hargasser: Der Einkauf muss die Firmen davon überzeugen, dass dies auch für sie Vorteile bringt. Das ist definitiv eine Anstrengung und ein Prozess zugleich, bis die Philosophie verinnerlicht ist. Wir wollen unser Know-how weitergeben und gleichzeitig mehr Ideen vom Lieferantenmarkt in unsere Produkte einfließen lassen.
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