Weißer VW in einer chinesischen Produktionsstraße

Volkswagen ist einer der großen deutschen Investoren in China. (Bild: Volkswagen)

Es ist das Schreckensszenario schlechthin: China marschiert in Taiwan und annektiert den Inselstaat. Die Folge ist klar: ein internationales politisches und wirtschaftliches Erdbeben. Nun soll dem Bundeswirtschaftsministerium ein Papier vorliegen, das bis spätestens 2027 mit einer Annexion Taiwans durch China zu rechnen sei. 2027 jährt sich die Gründung der Volksbefreiungsarmee zum 100sten Mal. Zuerst hatte die Webseite The Pioneer darüber berichtet und zitiert aus einer vertraulichen China-Strategie, die der Redaktion vorliegen soll. Allerdings sei das Papier noch nicht mit der Bundesregierung abgestimmt.

Angesichts der intensiven wirtschaftlichen Verflechtungen sei das Erpressungspotenzial hoch. „Während China seine Abhängigkeit verringert, nimmt die wirtschaftliche Bedeutung Chinas für die EU und Deutschland weiter zu“, zitiert The Pioneer aus dem Papier.

Daher werde das Ziel ausgegeben, die deutsche Wirtschaft unabhängiger zu machen. Beispielsweise sollen Unternehmen, die stark in China investiert sind, neue Berichtspflichten auferlegt bekommen. Auch werden deutsch-chinesische Wirtschaftsprojekte künftig weniger unterstützt bzw. abgesichert. Ab 2023 würden deutsche Investitionen in China stärker geprüft, zudem soll China keine Entwicklungskredite mehr erhalten.

Auch sollen Freihandelsabkommen mit anderen Ländern des Asien-Pazifik-Raums vorangetrieben werden. Aber auch Afrika und Südamerika seien vielversprechende Partnerregionen.

Deutsche Investitionen in China steigen unbeeindruckt

Trotz aller Warnungen scheint die deutsche Wirtschaft unbeeindruckt von dem, was sich in China zusammenbrauen könnte. Nach rund 5,7 Milliarden Euro im Jahr 2021 investierten VW, BASF & Co. allein im ersten Halbjahr 2022 satte zehn Milliarden Euro im Reich der Mitte. Während die Exporte sinken, steigen die Importe stetig an, hat das Institut der deutschen Wirtschaft in Köln ermittelt. Der Handelsbilanzsaldo wuchs von -9,1 Milliarden Euro (2020) auf -40,8 Milliarden Euro (1. Halbjahr 2022). Noch nie zuvor hatte Deutschland eine derart negative Handelsbilanz mit China.

Doch Konzerne wie Volkswagen oder BASF ficht das nicht an. So liegen VW und Mercedes-Benz stetig vorn, wenn es um Investitionen im Reich der Mitte geht. So planen die Wolfsburger ein großes Software-Joint-Venture über eine Milliarde Euro. Allerdings - so hieß es im Mai 2022 als Reaktion auf die Xinjiang Police Files, könnte VW bei Investitionen in China keine staatlichen Investitionsgarantien mehr erhalten. Der Spiegel hatte berichtet, dass das Bundeswirtschaftsministerium vier Anträge eines nicht genannten Unternehmens auf Verlängerung seiner Investitionsgarantien nicht stattgegeben hätte. Laut Spiegel soll es sich dabei um Volkswagen handeln. Der Konzern selbst gab dazu keine Stellung ab.

Auch der Chemieriese BASF will bis 2030 in China bis zu zehn Milliarden Euro investieren. Im Gegenzug sollen in Europa, insbesondere in Deutschland, jährlich rund 500 Millionen Euro eingespart werden. Wie viele Millionen Euro seiner China-Investition staatlich abgesichert sind, ist nicht bekannt. Entsprechend kritisiert CEO Martin Brudermüller das angebliche China-Bashing aus Berlin. Für ihn seien die Abhängigkeiten von Russland und China auch nicht zu vergleichen.

Mittelständler werden bereits vorsichtiger mit China-Kunden

Im Gegensatz zu den Konzernen werden Mittelständler vorsichtiger im Umgang mit dem östlichen Handelspartner. So produzierte das Münchner Unternehmen Systec Controls jahrelang Sensoren für chinesische Motorenhersteller. 65 Prozent der Exporte gingen nach China. Nun bricht der Umsatz ein, um rund drei Viertel, so Geschäftsführer Oliver Betz zum Wirtschaftsmagazin Capital. Für ihn sei eine Expansion in China kein Thema mehr. Deutsche Mittelständler könnten sich nicht mehr wie früher auf chinesische Gewinne verlassen, so Jörg Wuttke, Präsident des EU Chamber od Commerce in China. Es sei eine gescheiterte Liebesaffäre.

Auch der hessische Elektrokomponentenhersteller Magnetec hat die Pläne für ein zweites Werk in China beerdigt. Seit 13 produziert das Unternehmen dort, nun hat Geschäftsführer Marc Nicolaudius Befürchtungen wegen möglicher Sanktionen. Viele Kunden gäben Bestellungen mit der Bedingung auf, dass die Komponenten nicht in China gefertigt seien. Er hat sich jetzt entschieden, in Vietnam zu investieren.

Chinesische Investitionen in Deutschland abwehren?

Aber nicht nur deutsche Investitionen in China, auch der umgekehrte Weg soll strenger reguliert werden. Nach dem Investitionsboom zwischen 2016 und 2018 ist es relativ still geworden um chinesische Übernahmen deutscher Unternehmen. Der Augsburger Roboterhersteller Kuka war eines der prominentesten Beispiele. Zu Spitzenzeiten (2017) betrug der Wert chinesischer Übernahmen hierzulande 12,113 Milliarden Euro. Erst 2019 sank das Volumen rapide auf 1,3 Milliarden ab und bleibt seither weitgehend stabil auf dem Niveau.

Für Wirbel sorgte dann wieder die Übernahme des Hamburger Hafen-Terminals Tollerort. Die Ablehnung, einen Teil der deutschen kritischen Infrastruktur zu verkaufen, war durch die Bank weg groß. Vom Bundeswirtschafts- und Außenministerium bis zum Verfassungsschutz und der EU sprachen sich alle gegen die Beteiligung von COSCO an Tollerort aus. Nur der Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sah es anders und sprach ein Machtwort und das lautetet "Ja, die Chinesen dürfen kaufen, aber weniger".

Andere SPD-Politiker wollen daher schärfere wirtschaftspolitische Maßnahmen, um den chinesischen Einfluss in Deutschland zu mindern. „Wir müssen unsere kritische Infrastruktur und entscheidende Sektoren besser schützen und zukunftsfest machen“, so Cansel Kiziltepe, Staatssekretärin im Bundesbauministerium gegenüber dem Handelsblatt. Sie geht davon aus, dass der Staat zukünftig „immer häufiger Unternehmen direkt unterstützen und auch temporär einsteigen müssen“. Dafür könnte der in der Corona-Pandemie geschaffene Wirtschaftsstabilisierungsfonds wiederbelebt werden. SPD-Bundesvize Thomas Kutschaty schlägt einen Transformationsfonds vor, um Zukunftstechnologien im Land zu halten und neu aufzubauen.

Peking gibt sich derweil verschnupft: Die chinesische Regierung wirft der Ampelkoalition vor, China als „Wettbewerber“ und „systemischen Rivalen“ zu betrachten und fühlt sich verunglimpft.

Portrait Dörte Neitzel Redakteurin Technik+Einkauf
(Bild: mi connect)

Die Autorin: Dörte Neitzel

Dörte Neitzel ist Wissens- und Infografik-Junkie vom Dienst. Dinge und Zusammenhänge zu erklären ist ihr Ding, daher beschreibt sie sich selbst auch gern als Erklärbärin mit Hang zur Wirtschaft – was einem lange zurückliegenden VWL-Studium geschuldet ist. Nach einigen Stationen im Fachjournalismus lebt sie dieses Faible bevorzugt auf der Webseite der TECHNIK+EINKAUF aus und taucht besonders gern ab in die Themen Rohstoffe und erneuerbare Energien.

Privat ist Südfrankreich für sie zur zweiten Heimat geworden, alternativ ist sie in der heimischen Werkstatt beim Schleifen, Ölen und Malern alter Möbel zu finden oder in südbayerischen Berg-und-See-Gefilden mit Hund im Gepäck unterwegs.

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