Daniel Demuth und Nicolas Neubauer, Ivoflow

Daniel Demuth und Nicolas Neubauer sind die Gründer von Ivoflow, der Softwarelösung mit der Procurement-Abteilungen ihren Spend strategisch managen können. (Bild: Ivoflow)

Herr Neubauer, Sie bieten eine Procurement Intelligence Software für den strategischen Einkauf an. Was steckt dahinter?

Neubauer: Ich war selbst jahrelang im strategischen Einkauf tätig, zum größten Teil in der Automobilzulieferer-Industrie. Zwar gab es schon einige unterstützende Systeme im Einkauf, aber ein Spend-Analytics-Tool, das neben den Einkaufsdaten auch externe Daten miteinbezieht, hat noch gefehlt. Dabei ist alles, was am Markt eine Dynamik hat, relevant für den Einkauf, da es diesen maßgeblich beeinflusst: Materialpreisentwicklungen, Wechselkurse, Strafzölle oder Energiepreise, um einige Beispiele zu nennen. Mit ivoflow bringen wir diese Informationen mit den internen Daten der Unternehmen zusammen und verheiraten somit die interne Datenwelt mit der externen Marktwirtschaft. Das ermöglicht den Einkäufern, Auswertungen zu fahren und Handlungsempfehlungen abzuleiten.

Wird das so genau für den einzelnen Fall zugeschnitten?

Neubauer: Unsere Software liefert den Einkäufern personalisierte Analysen und Berichte in Echtzeit, diverse KPI und zeigt automatisiert Einsparpotenziale auf. Ohne den Einsatz einer Software sind diese Auswertungen wahnsinnig zeitfressend, da jede Menge Arbeit in die Datenrecherche und -aufbereitung gesteckt werden muss. Jetzt, wo sämtliche Datenquellen ineinanderfließen, kann sich der Einkäufer Auswertungen auf Warengruppen-, Lieferanten- und sogar Teilenummern-Ebene anschauen. Die künstliche Intelligenz unserer Software erkennt zum Beispiel auch, ob es sinnvoll wäre, einen bestimmten Vertrag mit einem Lieferanten nachzuverhandeln, weil sich zum Beispiel die Rohstoffkosten gerade nach unten entwickeln oder die Energiepreise ein niedriges Marktniveau erreichen, diese Veränderungen jedoch nicht im Vertrag berücksichtigt waren.

Sie greifen dann direkt auf das ERP-System der Unternehmen zu. Wie schwierig ist es, das zu implementieren?

Neubauer: Das ist eine der typischen Fragen, die zu Beginn eines Projektes gestellt wird, insbesondere was die Qualität der eigenen Stammdaten betrifft. Geht das mit meinen Daten? Ist meine Datenqualität ausreichend? Bevor über eine Implementierung und Schnittstellenanbindung gesprochen wird, bieten wir unseren Kunden deshalb immer einen sogenannten Proof-of-Concept an, eine Art Machbarkeitsprüfung. Dabei schauen wir uns einen abgespeckten Datensatz des Kunden an, um zu beurteilen, ob die Daten von unserer Software analysiert werden können. Damit können wir in der Regel ein wenig die Angst nehmen, dass die Stammdatenqualität nicht ausreichend ist. Sind die nötigen Weichen gestellt, läuft die anschließende Implementierung eigentlich auch immer reibungslos.

Was unterscheidet Sie von anderen Procurement Plattformen?

Neubauer: Unsere Lösung ist zu einem gewissen Teil zwar auch ein Spend-Cube, mit der Integration externer Marktdaten gehen wir jedoch die sprichwörtliche Extrameile. Während andere Lösungen lediglich die ERP-Daten visualisieren und Transparenz schaffen, beantworten wir dem Kunden die Frage nach dem „So What?“ Was bedeutet es für meine Warengruppe, wenn der Stahlpreis fällt? Auch wenn es sich um einen Artikel mit einem Teilepreis von lediglich 2 Cent handelt, kann eine Nachverhandlung mit dem Lieferanten einen großen Unterschied machen. Mit der richtigen Verhandlungsstrategie lassen sich hier schnell mal Einsparungen in Millionen-Höhe erzielen. Anhand unserer Auswertungen kann der Einkäufer unmittelbar nachvollziehen, was externe Faktoren für seine Warengruppen bedeutet, welche Maßnahmen er einleiten muss und wie sich beispielsweise mithilfe von Multiple-Sourcing-Strategien die Abhängigkeit von einem Lieferanten minimieren lässt. Immerhin geht es auch in den Jahren nach der Krise wieder darum, die eigene Supply Chain möglichst resilient zu gestalten.

Sie fokussieren sich dabei auf den direkten Einkauf?

Neubauer: Ja, wir fokussieren uns auf den direkten Einkauf in der produzierenden Industrie, weil es dort die klassischen Warengruppen wie Metall, Kunststoff, Chemikalien, Baugruppen, elektronische Komponenten usw. gibt. Hier sind wir zuhause. Erfahrungen haben gezeigt, dass wir bei Unternehmen mit einem Umsatz ab 500 Millionen Euro das meiste aus dem direkten Einkauf herausholen können. Dann ist es ein solider Business Case.

Sie kombinieren also die ERP-Daten mit allem, was der Markt an Infos noch hergibt?

Neubauer: Genau. Wir haben sämtliche Einkaufshebel in den Kern unserer Software, die sogenannte Cost-Saving-Toolbox, integriert. Gestiegene oder gesunkene Vormaterialpreise, aber auch Energie- und Lohnkosten – all das kann im Einkauf ein Hebel sein. Nehmen wir als Beispiel ein Aluminium-Druckguss-Gehäuse: Für diesen Artikel wird im Tool eine gewisse Kostenstruktur hinterlegt, welche beschreibt, dass dieser Artikel zu 60% von Aluminium, zu 10% von Energie und zu 15% von Lohnkosten getrieben ist. Im nächsten Schritt greift unsere Software die Informationen aus den Rahmenverträgen ab und erkennt, in unserem Beispiel, dass der Lieferant in China sitzt. Hat zum Beispiel der Kunde Ende 2023 einen Rahmenvertrag mit dem Lieferanten abgeschlossen, als die Kosten noch höher waren, erkennt unser Tool automatisiert, wenn sich die Kosten für Material, Energie und Lohn ändern. Aus diesen Informationen ergibt sich für den Einkäufer also die Handlungsempfehlung, den Artikelpreis nachzuverhandeln. Das berechnen wir auf die letzte Nachkommastelle.

Sie übernehmen sozusagen die Marktbeobachtung?

Neubauer: So kann man es sagen. Unsere Software behält quasi die Märkte im Blick. Wie verhalten sie sich? Sind die Preise gefallen oder gestiegen? Welche Auswirkungen hat das auf die eigene Supply Chain? Natürlich ist das zu einem gewissen Grad auch nur dank unserer Partner möglich. Verlässliche Daten zu Marktpreisen, ESG-Performance und sonstige relevante Nachhaltigkeitskennzahlen greifen wir über Schnittstellen zu unseren Partnern, darunter IntegrityNext, ab.

Das klingt so, als wenn es die Arbeit eines Einkäufers sehr erleichtert…

Neubauer: Tools wie ivoflow hätte ich mir in meiner Zeit als Einkäufer gewünscht. Ich habe auch eine Warengruppe im Bereich Metalle verantwortet. Wenn der Stahlpreis gefallen ist, lautete die Devise in der Regel Kosten sparen und Verträge neu verhandeln. Bei 10.000 verschiedenen Artikelnummern von 400 verschiedenen Lieferanten in 30 verschiedenen Ländern gestaltet sich das jedoch als nicht so einfach. Das ist eine Komplexität, die man manuell nicht auswerten kann. Zuerst galt es, nachzuschauen, wann und zu welchen Konditionen Verträge überhaupt abgeschlossen wurden. Mit unserer Lösung sind all diese Informationen unmittelbar verfügbar. Einfach ausgedrückt: Der Einkäufer kommt morgens ins Büro, schaltet den Rechner an und ivoflow zeigt an, mit welchen 50 Maßnahmen sich Einsparungen erzielen, und Risiken vermeiden lassen können – über Nachverhandlungen mit Lieferanten, Dual-Sourcing-Strategien oder auch mittels Aussteuerung finanziell instabiler Lieferanten.

 

Damit ermöglicht die KI eine viel effizientere Arbeitsweise?

Neubauer: Richtig. Die KI prüft und sammelt fortlaufend Daten und bringt sie in Korrelation zueinander. Das vermeidet Systembrüche und lässt uns effizienter arbeiten. Wir wollen den Einkäufer von repetitiven, administrativen Aufgaben befreien, damit er sich wieder auf strategische Kernkompetenzen konzentrieren kann. Unser Tool liefert zwar eine Maßnahmenliste, die verschiedene Potenziale und Risiken aufzeigt, die Entscheidung, was im Endeffekt umgesetzt wird, liegt aber nach wie vor beim Einkäufer.  Manchmal kann es auch sinnig sein, keine schlafenden Hunde zu wecken – in dem Fall kann man sich in acht Wochen erneut an das Thema erinnern lassen. Beispielsweise weil man abwarten möchte, wie sich der Markt entwickelt, um auszuschließen, dass es sich nur um einen kurzen Effekt handelt. Möglicherweise ist eine Einsparungsmaßnahme, die das Tool vorschlägt, auch schlichtweg nicht umsetzbar – aufgrund einer Abhängigkeit von einem Lieferanten oder sonstiger Themen.

Die Verantwortung bleibt als weiterhin beim Einkäufer…

Neubauer: Natürlich. Die Verantwortung für Entscheidungen über einzelne Maßnahmen liegt in den Händen der Einkäufer, da nicht alle Entscheidungen rein datengetrieben getroffen werden können und auch weiterhin Soft- und Hard-Facts berücksichtigt werden müssen; zudem hat sich der Markt in den letzten Jahren stark gewandelt – weg von rein kommerziellen Entscheidungen hin zu einem stärkeren Fokus auf Kosten und Nachhaltigkeit.

Können Sie auch den CO2-Footprint hinterlegen?

Neubauer: Ja, das ist eine ganz neue Funktion. Wir haben eine Schnittstelle zu Sustamize, über die wir sämtliche CO2-Emissionen in der Lieferkette berechnen können. In die Berechnung des CO₂-Fußabdrucks eines Produkts – oder in Summe für einen Lieferanten – fließen Faktoren wie Material, Herstellprozess und Transport ein. Wir können all diese Informationen darstellen, ohne umfangreiche Fragebögen an die Lieferanten zu senden, sondern lediglich über eine Schnittstelle und ERP-Daten.

Wie lange gibt es Sie schon und wie soll Ihre Reise noch hin gehen?

Neubauer: Uns gibt es seit circa 4 Jahren und aktuell haben wir 30 Mitarbeiter, die meisten an unserem Standort Koblenz. Unsere Vision ist: Wir wollen der Co-Pilot der Einkaufsabteilungen sein, der Hinweisgeber, der digitale Assistent. Aber die Entscheidungen liegen weiterhin beim Einkäufer.

Firmenporträt ivoflow

ivoflow, mit Hauptsitz in Deutschland, hat eine Procurement-Intelligence-Plattform für die strategische Beschaffungsfunktion in globalen Fertigungsunternehmen entwickelt. Die Plattform bietet vollständige Transparenz, identifiziert neue Möglichkeiten zur Kostensenkung und bietet Einblicke in sich ständig verändernde Märkte. Durch den Einsatz von KI und intelligenten Algorithmen visualisiert ivoflow alle Daten aus den ERP-Systemen seiner Kunden und kombiniert sie mit externen Marktdaten, um automatisch neue Kosteneinsparungspotenziale zu identifizieren und Kunden dabei zu unterstützen, ihre Beschaffungs- und Kostensenkungsprojekte kollaborativ zu steuern.

So deckt ivoflow automatisch Möglichkeiten auf, Kosten zu sparen, Preiserhöhungen zu verhindern und die Inflation auszugleichen. Die Software ermöglicht Unternehmen außerdem die Widerstandsfähigkeit ihrer Lieferanten zu verbessern, Warengruppenstrategien zu formulieren und sich intelligent auf Verhandlungen vorzubereiten.

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