Der Begriff „Digitalisierung“ des deutschen Mittelstands fällt derzeit oft als reines Buzzword, denn kaum ein Unternehmen beginnt derzeit mit der digitalen Transformation auf der grünen Wiese. Schon gar nicht, wenn es wie KTR Systems mit knapp 500 Mitarbeitenden am Stammhaus in Rheine (NRW) und insgesamt 1.100 in 24 eigenen Tochtergesellschaften weltweit verschiedene Arten von Antriebskomponenten, Bremssystemen, Hydraulik-Komponenten und Kühlsystemen produziert und vertreibt.
Am digitalen Wandel arbeitet der Hidden Champion (2021 durch das Forschungszentrum Mittelstand in NRW so betitelt) schon viele Jahre. Nach Umsetzung verschiedener Prozessoptimierungen nahm KTR auch die Arbeitsabläufe im Bereich des indirekten Einkaufs unter die Lupe und stellte fest: Papier, Excel-Listen, Telefonate, Abtippvorgänge, Lieferantenausschreibungen und Preisvergleiche kosteten die Abteilung rund eine Stunde Zeit pro Bestellvorgang. Viel zu viel, entschied man.
Wie die Einkaufsabteilung durch die richtigen digitalen Werkzeuge messbar Ressourcen einspart und so neues Potenzial für strategische Weiterentwicklung freisetzen konnte, wissen Chris Trommer, Head of Procurement, und Olga Holthaus, Fachfrau für indirekte Beschaffung bei KTR Systems, zu berichten. Dabei geht es längst nicht nur um Kosteneinsparungen.
Chris Trommer bricht eine Lanze dafür, durch Automatisierung Zeit zu gewinnen für strategische, zukunftsorientierte Aufgaben seines Teams, das er mit knapp einem Dutzend qualifizierter Fachleute besetzt hat. Schließlich holt man mit altbackenen, papiergebundenen Prozessschlachten im weltweiten Kampf um Unternehmensnachwuchs kein Talent mehr hinter dem Ofen hervor. Spart man jedoch wertvolle Zeit bei „leeren“ Prozessen, kann man diese nutzen, um die Aufgaben der Mitarbeitenden im Einkauf inhaltlich aufzuladen, strategisch zu entwickeln und aufzuwerten.
Bestellen kostete zu viel Zeit
“Der Digitalisierung nähert man sich häufig von der operativen Ebene, indem man sich fragt, welche immer wiederkehrenden Prozesse und Arbeitsabläufe man effizienter – also leichter, zeit- und kostenschonender – digital erledigen (lassen) könnte. Bei der Analyse unserer Betriebsabläufe Ende 2019 ist aufgefallen, dass die Bestellvorgänge einfach zu viel Zeit kosten, im Schnitt eine Stunde pro Bestellung“, berichtet Einkaufsleiter Chris Trommer.
Eine Zentralisierung und Automatisierung der Beschaffungsvorgänge könne die Lösung sein. KTR hatte dabei einige ganz spezielle Anforderungen, sowohl im technischen als auch im Service-Bereich. Aufgrund der historisch gewachsenen Unternehmensstruktur waren unterschiedliche Kontierungsmöglichkeiten sowie eine Schnittstelle ins Warenwirtschaftssystem SAP gefragt, die eine Spiegelung der Bestellungen auch für die spätere digitale Rechnungsprüfung ermöglicht. „Damit fielen Standardanbieter direkt weg, in einem Pitch wurde sich schnell für die E-Procurement-Plattform Simple System entschieden“, berichtet Trommer.
Mit der Nutzung von Simple System wurden Mitarbeitende an Schlüsselbedarfsstellen der einzelnen Abteilungen befähigt, selbstständig über die Plattform und anhand von Lieferantenkatalogen Bestellvorgänge auszulösen, ohne zuvor noch zeitraubende Anträge bei der Einkaufsabteilung einreichen zu müssen. Diese koordiniert heute nur noch die Konditionen und kann bei Unregelmäßigkeiten im Bestellverhalten eingreifen.
An den Endgeräten brauchen die User weder VPN noch SAP-Schnittstelle. „Während des Auftragsvorgangs wird über die Webplattform automatisch eine technische Kopie der Bestellung angelegt. Dies geschieht über die Anbindung von Simple System an SAP, was durch die Integration des Simple System Cockpit erst möglich ist. Das erhöht die Usability im Betriebsalltag erheblich und führte schnell zu einer breiten Akzeptanz in der Belegschaft“, erläutert Olga Holthaus und führt fort: „Nicht nur das manuelle Bestellen entfällt, auch die Warenausgabe läuft nicht mehr über eine persönliche Abholung der Bestellungen in der Einkaufsabteilung. Endlich muss man nicht mehr für jedes Päckchen Kugelschreiber eine Stunde investieren, sondern hat mehr Zeit für die wesentlichen Aufgaben“.
Denn vor allem im Longtail-Bereich, also Bestellungen von gering-preisigen Nischenprodukten, kosteten zeitaufwändige Preisvergleiche, Einholung von Vergleichsangeboten und die Prüfung von Bestellanliegen im Einkauf jede Menge Zeit, Nerven und Geld.
Das Unternehmen: KTR
Die KTR Systems GmbH entwickelt und produziert mechanische Kupplungen, Bremsen, Kühler und Hydraulik-Komponenten für den Maschinen- und Anlagenbau. Das Unternehmen wurde 1959 im westfälischen Rheine gegründet und beschäftigt weltweit mehr als 1.100 Mitarbeiter, davon nahezu 500 in Deutschland. Das globale KTR-Netzwerk umfasst 24 Tochtergesellschaften und 90 Vertriebspartner sowie Fertigungsstandorte in Brasilien, China, Deutschland, Indien, Taiwan und den USA.
Zeit als neue Währung
Im November 2021 wurde die technische Implementierungsphase bei KTR Systems offiziell abgeschlossen. Seitdem wickelt der Maschinenbauer bereits etwa ein Drittel der indirekten Beschaffungsvorgänge über Simple System ab, Tendenz steigend. Die gehandelten Produktgruppen reichen von Hand- und Messwerkzeugen über PSA und Hilfsbetriebsstoffe bis hin zu klassischen Büromaterialien und Betriebs- und Geschäftsausstattung.
Derzeit umfasst das über die Plattform abgewickelte Bestellvolumen knapp 100.000 Euro. Als Ziel ist in der kommenden Zeit eine Verdopplung dieses Volumens. „Unser Plan der Prozessoptimierung ging voll auf: All diese selbstständigen Bestellungen kommen bei uns im Einkauf schon gar nicht mehr an, denn der Prozess läuft vollständig automatisiert über die Angestellten in den Abteilungen“, so Trommer. Aufgrund der wegfallenden Verwaltungsaufgaben spart KTR über alle Abteilungen hinweg pro Bestellung etwa eine Stunde Arbeitszeit.
Durch die verschlankte Zentralisierung und Prozessoptimierung der indirekten Beschaffungsvorgänge entstand fruchtbarer Boden für neue Aufgaben: Es bleibe viel mehr Zeit für detaillierte Prozessbetrachtung, Kostenverhandlungen und strategische Planung zum Beispiel für den wichtigen Investitionsbereich. Hier können die Verhandlungen und Bestellvorgänge viel intensiver vorbereitet und geführt werden, heute überwiege der inhaltliche, strategische Aspekt. „Die Verschiebung des Aufgabenspektrums tut gut und wertet auf“, berichtet Olga Holthaus. Die clevere digitale Transformation ist für den Einkaufsbereich noch lange nicht zu Ende: Es sollen in naher Zukunft noch mehr Lieferanten auf dem Marktplatz onboarden, um wirklich alle Bestellwünsche der verantwortlichen Abteilungsmitarbeitenden erfüllen zu können, und eigene Kataloge zu integrieren, stehe auch noch auf der Wunschliste.
Chris Trommer fasst abschließend zusammen: „Die Minimierung der alltäglichen Verwaltungsaufgaben, Freigabeschleifen und Prüfungsprozesse schafft neue Freiräume und sorgt für ein verändertes Rollenbild: Wir verwalten nicht mehr nur, sondern können Strukturen und Konzepte in der gewonnenen Zeit gezielt strategisch hinterfragen. Man sieht viel deutlicher, was alles möglich ist. Zudem kommt man so als Gesamtorganisation miteinander zielgerichteter und lösungsorientiert ins Gespräch und die User profitieren von den schlanken und schnellen Abläufen.“
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