Interview mit Gunnar Gburek von Timocom

Transportmarkt unter Druck

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Gunnar Gburek, Company Spokesman und Head of Business Affairs bei Timocom.
Gunnar Gburek, Company Spokesman und Head of Business Affairs bei Timocom.

Das aktuelle Timocom-Barometer zeigt eine angespannte Marktlage und ein Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage. Ein Gespräch mit Gunnar Gburek von Timocom, über die Herausforderungen und Lösungsansätze für Unternehmen.

Die Digitalisierung transformiert sämtliche Bereiche der Logistikbranche. Das aktuelle Timocom-Barometer dokumentiert einen signifikanten Anstieg der Frachtangebote – ein Indikator für die zunehmend angespannte Marktlage und das Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage. Ein Gespräch mit Gunnar Gburek, Company Spokesman und Head of Business Affairs bei Timocom, über die strukturellen Herausforderungen und strategische Lösungsansätze für Unternehmen.

TECHNIK+EINKAUF: Herr Gburek, das aktuelle Barometer dokumentiert einen dramatischen Anstieg der Frachtangebote. Handelt es sich hierbei primär um ein konjunkturelles Phänomen?

Gunnar Gburek: Es handelt sich durchaus um ein konjunkturelles Phänomen, jedoch nicht in dem Sinne, dass die Nachfrage außergewöhnlich hoch oder niedrig wäre. Wir verzeichnen eher eine Stagnation. Die Problematik liegt darin, dass bei konstanter Nachfrage das verfügbare Angebot an Frachtraum kontinuierlich abnimmt, was sich entsprechend auf die Preisgestaltung und die Marktsituation auswirkt.

Welche Faktoren sind für diese Investitionszurückhaltung maßgeblich?

Unternehmer stehen vor der Unsicherheit, ob zusätzlich angeschaffte Fahrzeuge bei der aktuellen Marktlage ausreichend ausgelastet werden können. Unsere Datenanalyse zeigt, dass nur noch wenige deutsche Unternehmen sowie andere mittel- und osteuropäische Marktteilnehmer zu Investitionen bereit sind. Zusätzlich erschwert die Ungewissheit bezüglich der zukünftigen Antriebstechnologien – Diesel, Elektro- oder Wasserstoff-Lkw – die Investitionsentscheidungen erheblich. Diese komplexe Gemengelage führt dazu, dass Unternehmer beim altersbedingten Ausscheiden von Fahrpersonal die Neubesetzung kritisch hinterfragen. Zum einen gestaltet sich die Rekrutierung qualifizierter Fahrer zunehmend schwierig, zum anderen herrscht die Tendenz vor, Investitionen bis zu einer konjunkturellen Erholung aufzuschieben. Wenn jedes der hunderttausenden Transportunternehmen in Deutschland auch nur ein Fahrzeug weniger einsetzt oder auf Ersatzbeschaffungen verzichtet, so entsteht die aktuell beobachtbare Situation: konstante Nachfrage bei schrittweise abnehmendem Angebot.

Wie adaptieren Unternehmen ihre Strategien an diese veränderte Marktsituation?

Die Auftragslage bleibt trotz der konjunkturellen Stagnation bestehen. Unternehmen kompensieren fehlende Eigenkapazitäten verstärkt durch die Inanspruchnahme des Spotmarkts. Diese Praxis war in den vergangenen Jahrzehnten durchaus üblich und problemlos umsetzbar. Die gegenwärtig erhöhte Nachfrage nach externen Kapazitäten spiegelt sich entsprechend in unserem Barometer wider.

Welche Auswirkungen hat diese Entwicklung auf die Planungssicherheit der Industrieunternehmen?

Die steigenden Beschaffungskosten und der erhöhte Aufwand bei der Partnerfindung beeinträchtigen die Planbarkeit erheblich. Während früher kurzfristige Transportbedarfe unkompliziert abgewickelt werden konnten, erfordert die aktuelle Marktsituation eine intensivierte Prüfung der Kapazitätsverfügbarkeit, Preisgestaltung und Realisierbarkeit. Dies erfordert eine verstärkte Koordination zwischen Einkaufs- und Vertriebsabteilungen sowie eine langfristigere Planungsperspektive, da Beschaffungsprozesse zeitintensiver geworden sind.

Sie befürworten geschlossene Frachtenbörsen für Verlader. Wie gestaltet sich deren praktische Implementierung?

Geschlossene Frachtenbörsen funktionieren nach dem Prinzip der großen Frachtenbörse – bei uns mit circa 55000 registrierten Kunden – jedoch in reduzierter Form mit ausgewählten Kooperationspartnern. Dies optimiert den Lieferantenregistrierungsprozess erheblich. Die Anlage neuer Lieferanten ist erfahrungsgemäß mit erheblichem Zeit- und Kostenaufwand verbunden und erfordert umfangreiche ERP-Integration. In geschlossenen Systemen erfolgt diese einmalig für die ausgewählten Partner. Dies setzt voraus, dass ein qualitativ hochwertiges Portfolio leistungsfähiger Transporteure aufgebaut wird, was angesichts aktueller Compliance- und Sicherheitsanforderungen zusätzliche Vorteile bietet.

Vita Gunnar Gburek

Der Diplom-Kaufmann mit den Schwerpunkten Handel und Logistik blickt auf mehrjährige Erfahrungen in der Logistikbranche zurück, unter anderem als Geschäftsführer des auf Handels- und Privatkundenbelieferung spezialisierten Logistikdienstleisters Hasenkamp und als Bereichsleiter Logistik beim Bundesverband Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik e.V. (BME). Seit Ende 2016 ist er Unternehmenssprecher sowie Head of Business Affairs von Timocom.

Welche konkreten Vorteile bietet die digitale Prozessabwicklung?

Die Systemnutzung minimiert Sicherheitsrisiken der E-Mail-Kommunikation, da ausschließlich geprüfte und registrierte Partner kommunizieren. Externe Manipulation wird dadurch erheblich erschwert. Ein wesentlicher Vorteil liegt in der digitalen Dokumentation der Dienstleisterkommunikation. Während telefonische Absprachen – beispielsweise bezüglich Anlieferzeiten oder Tauschpaletten – zu Diskrepanzen führen können, schafft die digitale Chatfunktion eindeutige Dokumentation. Diese Informationen sind auftragsbezogen gespeichert und ermöglichen der Buchhaltung eine eigenständige Klärung von Rechnungsdifferenzen, ohne Rückfragen an das operative Personal. Durch ERP- oder TMS-Schnittstellenintegration erfolgt die automatische Auftragsübertragung ohne manuelle Erfassung. Dies eliminiert typische Eingabefehler wie Postleitzahlen- oder Mengenverwechslungen und optimiert sowohl Zeitaufwand als auch Datenqualität.

Welche Bedeutung hat Live-Tracking in der aktuellen Marktentwicklung?

Die Implementierung wird zunehmend ausgeweitet, da Unternehmen den strategischen Mehrwert erkennen. Bei Kundenanfragen bezüglich Lieferstatus können Disponenten präzise Auskunft erteilen, was die Servicequalität erheblich verbessert. Zusätzlich ermöglicht präzise Lieferzeitprognose eine optimierte Rampensteuerung. Bei verspäteten Anlieferungen können Arbeitszeiten entsprechend angepasst werden, wodurch Wartezeiten und damit verbundene Kosten vermieden werden. Unser Fokus liegt nicht auf lückenloser Überwachung, sondern auf gezielte Status-Updates mit praktischer Relevanz: Abfahrt, Ankunft an Be- und Entladestelle sowie Abschluss der jeweiligen Prozesse. Diese fünf Informationen decken den praktischen Bedarf ab, ohne datenschutzrechtliche Bedenken des Fahrpersonals zu tangieren.

Welche strategischen Empfehlungen sprechen Sie momentan aus?

Die Digitalisierung und Automatisierung von Geschäftsprozessen sowie datenbasierte Steuerungsmechanismen sind unverzichtbar. KI-basierte Lösungsansätze können die Marktübersicht erheblich verbessern. Diese technologische Adaptation ist angesichts der zunehmenden Komplexität und des Kompetenzmangels essenziell.

Von fundamentaler Bedeutung ist jedoch der Aufbau strategischer Partnerschaften mit Speditionsunternehmen. Solche Preferred-Provider-Konzepte dürfen dennoch nicht in Exklusivität münden – es sollten stets Alternativen verfügbar sein. Partner müssen marktgerechte Konditionen bieten und können ihre Position nicht zur Preisgestaltung jenseits der Marktstandards nutzen.

Die Entwicklung eines strategischen Partnernetzwerks erfordert transparente Kommunikation. Standardrouten werden fest zugeordnet, während Sonder- und Zusatztransporte wettbewerblich vergeben werden. Die Auftragsvergabe erfolgt nicht ausschließlich preisbasiert, sondern berücksichtigt spezifische Kompetenzen – beispielsweise regionale Expertise bei neuen Liefergebieten.

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