War es das mit dem Global Sourcing?

Alle paar Jahre werden die Prioritäten im Einkauf verändert. In den 1990er-Jahren stand Asia Sourcing ganz oben auf der Agenda. Dann kamen Themen wie E-Procurement, Lieferantenmanagement, Risikomanagement, Einkauf 4.0. Und dazwischen immer mal wieder Kostenreduktion (und bei den Firmen, die einen professionellen Einkauf haben, auch Kostenvermeidung).

Natürlich sind dies alles wichtige Themen, die in einem modernen Einkauf nicht fehlen dürfen und natürlich ist es auch legitim, die Prioritäten immer  wieder kritisch zu prüfen und anzupassen. Was mich persönlich nur stört: In den meisten Fällen ist es entweder eine Reaktion auf Geschehnisse statt eine proaktive Maßnahme. Oder man macht es einfach, weil „alle“ es machen. Das ist ein wenig, alswenn meine Töchter sagen, dass „alle“ ihre Freundinnen irgendetwas auch dürfen… (ok, die Argumentation habe ich als Kind auch immer genutzt)

Auch in diesem Jahr wird wieder kräftig auf Ereignisse reagiert und so sieht man bei vielen Firmen das Thema „Nearshoring“ ganz oben auf der Agenda stehen – bedeutet also, dass man versucht mehr in Deutschland oder zumindest Europa zu sourcen

Die Gründe dafür sind einleuchtend:

• Corona hat uns gezeigt, dass auch ein „Single-Country-Sourcing“ gefährlich sein kann.
• China wird immer unberechenbarer, d.h. man hat Angst, dass Lieferungen plötzlich wieder verschoben werden, weil z.B. ein Hafen geschlossen wird.
• Die Transportpreise von Asien nach Europa sind in 2020 und 2021 explodiert und auch wenn sie danach wieder stark gefallen sind, bleibt die Volatilität uns wohl erhalten.
• Viele Firmen in (Ost-)Europa haben ihre Prozesse so stark automatisiert, dass sie preislich mit Asien mithalten können.
• Die Spannungen zwischen USA und China werden gefühlt stärker („Ballonvorfall“).
• Das Lieferkettengesetz und damit der staatliche Druck, das Thema Nachhaltigkeit endlich ernst zu nehmen, führt dazu, dass kürzere Transportwege an Bedeutung gewinnen.
• Die Gefahr einer Rezession in Europa bedeutet zugleich auch, dass die Preise sehr wahrscheinlich wieder fallen werden – gut für den Einkauf!

Wenn man aber ehrlich ist, gab es einige dieser Gründe schon vor 2020, nur wurden sie anscheinend nicht als wichtig genug erachtet.

Mein Tipp: springen Sie jetzt nicht einfach blind in das Becken und schwimmen Sie nicht den ganzen anderen Firmen hinterher, sondern gehen Sie ganz logisch nach folgendem Prinzip vor:

• Wo stehen Sie gerade?

Bedeutet: wo beschaffen Sie heute welche Artikel bei welchen Lieferanten? Welche Anforderungen haben Sie an Ihre Artikel? (Preis, Qualität, Flexibilität…) Wie gut ist Ihr Einkauf, das heißt, sind die Einkäufer/innen überhaupt in der Lage, eine geänderte Sourcingstrategie umzusetzen?

• Wo wollen Sie hin?

Bedeutet: Welche Ziele hat Ihr Unternehmen? Liegt der Fokus eher auf günstige Produkte oder spielen Nachhaltigkeit und Flexibilität eine ebenso wichtige Rolle? Welche geografischen Märkte wollen Sie zukünftig bedienen und sollen diese durch lokale Beschaffung bedient werden?

• Wie kommen Sie dahin?

Bedeutet: Welche Strategie ist für Ihr Unternehmen und für Ihre Artikel die beste, nachdem Sie die ersten beiden Fragen ehrlich beantwortet haben?

Und falls Sie dann immer noch Ihre Sourcingstrategie anpassen möchten, dann bitte nicht direkt alle Artikel anpacken! Identifizieren Sie zunächst 1-2 Warengruppen, für die eine veränderte Beschaffung Sinn machen könnte und führen Sie dann für diese eine Markt- und Lieferantenanalyse, sowie eine professionelle Ausschreibung durch. Und wie dies funktioniert, können Sie in meiner entsprechenden Kolumne lesen.

Ihr

Hans Boot