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- VDMA: Maschinenbauer mit "Bauchschmerzen"
- BDA: Arbeitgeber fühlen sich belastet
- BDI: Deutsche Industrie will europäische Lösung
- TU Nürnberg: Produktverantwortung und nachhaltiges Wirtschaften zusammen denken
- IG Metall: Gewerkschafter fürchten weitere Aufweichung
- Südwind: Expertin sieht viel Nachholbedarf
- Kik: Vorgaben bringen Sicherheit
Der Entwurf zum neuen Lieferkettengesetz spaltet die Wirtschaft. Er sieht vor, dass Unternehmen ab 2023 die Menschenrechte in der gesamten Lieferkette einhalten müssen. Zunächst soll das Gesetz nur Unternehmen ab einer Größe von 3.000 Beschäftigten betreffen, später schließt es auch Firmen mit 1.000 Beschäftigten ein.
In Anlehnung an den Kabinettsbeschluss vom 3. März 2021 schreibt die Bundesregierung in einer Mitteilung zum Lieferkettengesetz: „Die Verantwortung der Unternehmen soll sich entsprechend dem neuen Gesetz auf die gesamte Lieferkette erstrecken, abgestuft nach den Einflussmöglichkeiten. Die Pflichten müssen durch die Unternehmen in ihrem eigenen Geschäftsbereich sowie gegenüber ihren unmittelbaren Zulieferern umgesetzt werden. Mittelbare Zulieferer werden einbezogen, sobald das Unternehmen von Menschenrechtsverletzungen auf dieser Ebene substantiierte Kenntnis erhält.“
Der Beschluss polarisiert. Die Gemüter erhitzen sich. Den einen sind die Entwürfe zu lasch, den anderen zu hart. TECHNIK+EINKAUF hat mit Gegnern und Befürwortern über das Lieferkettengesetz gesprochen.
VDMA: Lieferkettengesetz macht Bauchschmerzen
Thilo Brodtmann ist Hauptgeschäftsführer des Verbands für den deutschen Maschinen- und Anlagenbau (VDMA). Er sagt: „Das Lieferkettengesetz bereitet mir ganz schön Bauchschmerzen.“ Die Verantwortung für die Überwachung der Lieferketten liege, laut Brodtmann, eigentlich in der Politik.
Er betont, es sei eine politische Aufgabe, in Verhandlungen mit anderen Ländern dafür zu sorgen, dass jedes Land seine Rechte und Pflichten einhalte. „Mit der Einführung des Lieferkettengesetzes wird die Verantwortung auf die Unternehmen umgebügelt“, äußert er sich zum neuen Gesetzentwurf.
Brodtmann kritisiert die Befragung, die dem Lieferkettengesetz Anfang 2020 vorausging. In dieser wurden Unternehmen unter anderem zu der Umsetzung und Ausgestaltung ihrer menschenrechtlichen Sorgfalt befragt.
Vorwurf der unsauberen Befragung
„Die Befragung, auf der das Lieferkettengesetz basiert, wurde einfach nicht ordentlich gemacht. Sie wurde zu Beginn der Coronapandemie durchgeführt. In der Zeit hatten die Unternehmen ganz andere Sorgen als diese Umfrage sorgfältig auszufüllen. Durch die Befragung wurden gravierende Mängel bei den Unternehmen festgestellt. Was allerdings nicht erwähnt wird, ist, dass nur Unternehmen mit der Note eins als gut bewertet wurden“, so der Verbandsleiter.
Brodtmann ist sich sicher, wenn man die Befragung zu einem anderen Zeitpunkt durchgeführt hätte, würden die Ergebnisse ganz anders aussehen. Brodtmann: Deutsche Unternehmen sind im Nachteil. Vorteile sehe er in dem Gesetz zum Großteil für die Politik. Man sei aktiv geworden und habe einen Teil des Koalitionsvertrags erfolgreich abgearbeitet, argumentiert der Verbandsmanager.
Er möchte nicht bestreiten, dass das Gesetz an der ein oder anderen Stelle sicher auch Missstände aufdecken könne. Jedoch finde er es falsch, dass nun ausschließlich die Unternehmen zur Verantwortung gezogen werden. Die hätten durch das Gesetz nämlich viele Nachteile.
VDMA sieht hohe Kosten
So lasse der bisherige Gesetzentwurf noch einige Fragen offen. „Viele Begriffe sind noch nicht richtig geklärt. Unternehmen wissen gar nicht richtig was auf sie zukommt und in welchem Ausmaß das Gesetz sie treffen wird. Für Unternehmen ist die Umsetzung dieses Gesetzes mit hohen Kosten verbunden“, so Brodtmann.
Er betont, dass man deutsche Unternehmen nicht per se für die Arbeitsbedingungen der Menschen in den Produktionsländern verantwortlich machen könne. Hier müsse man differenzieren: Wer im Ausland produziert, sei selbstverständlich auch für die Arbeitsbedingungen verantwortlich.
Wenn ein Unternehmen jedoch nur einen Rohstoff kaufen möchte, sei es „schwierig über vier oder fünf Ecken jemandem zu erzählen, wie er seine Arbeitsbedingungen zu gestalten hat“, argumentiert Brodtmann.
Das Gesetz könne jedoch nicht nur für deutsche Unternehmen zum Problem werden. Ein Entwicklungsland könne ebenso Nachteile daraus ziehen. Ein armes Land, das die neuen Standards der deutschen Unternehmen nicht erfüllen könne oder sich unkooperativ zeige, werde eventuell von Deutschland ausgeschlossen.
„Gesetz betrifft auch 20-Mann-Betrieb“
Zufrieden ist Brodtmann mit dem aktuellen Gesetzentwurf nicht. Er ist enttäuscht darüber, dass die anfänglichen Versprechen der Minister scheinbar nicht eingehalten wurden. Kleine und mittelständische Unternehmen sollten von den Regelungen verschont bleiben, erläutert er.
Dies stehe jetzt zwar auf dem Papier, die Realität sehe aber ganz anders aus: „Wenn ein großes Unternehme seine Lieferkette bis ins kleinste Detail kontrollieren muss, dann kommt es auch irgendwann bei einem 20-Mann-Betrieb an. Und dann muss der auf einmal nachweisen, wo und wie er seine Rohstoffe bezieht.“
Brodtmann betont, dass der VDMA nicht per se gegen das Gesetz sei oder gar einen Abwehrkampf dagegen führen wolle. Jedoch sei „schon das, was wir hier sehen sehr schwer in der Praxis darzustellen“.
„Was die Politik nicht begreifen will ist, dass die durchschnittliche Firma in Deutschland kein Großkonzern ist“, fährt er fort. Auch müsse man zwischen verschiedenen Branchen differenzieren. So sei die Überprüfung der Lieferketten für Tee oder Kakao nicht mit der Komplexität der Überwachung einer Lieferkette für einen Mehrspindeldrehautomaten zu vergleichen.
„Weitreichender Eingriff in den Mittelstand“
Zu dem verabschiedeten Regierungsentwurf am 3. März 2021 äußert sich VDMA-Präsident Karl Haeusgen in einer Pressemitteilung. Er erklärt: „Der vorliegende Entwurf des Lieferkettengesetzes stellt einen weitreichenden Eingriff in den Mittelstand dar. Vor allem die angedrohten Sanktionen sind völlig überzogen. Die Bußgelder könnten im Einzelfall sogar für Unternehmen den Ruin bedeuten. Denn es reicht aus, dass die Unternehmen die geforderte Risikoanalyse ihrer Lieferketten, wie es heißt, zu niedrig‘ oder ,nicht vollständig‘ durchgeführt haben.“
Er fordert daher das Parlament auf, dem Regierungsentwurf in der vorliegenden Fassung nicht zuzustimmen und den Entwurf grundlegend zu überarbeiten. Für den VDMA sei vor allem nicht klar ab wann die Geldbußen von bis zu 2 Prozent des durchschnittlichen Jahresumsatzes drohen würden.
„Wir fordern deshalb einen klaren Orientierungsrahmen für das gesetzlich vorgeschriebene unternehmerische Verhalten. Die Kriterien müssen für die zuständige Prüfungsbehörde (BAFA) und die zu prüfenden Unternehmen zweifelsfrei definiert sein“, so Haeusgen.
Der VDMA ist mit seiner Meinung nicht alleine.
BDA: Unternehmen engagieren sich seit Jahren
Auch der Arbeitgeberverband (BDA) äußert seine Bedenken gegenüber dem Lieferkettengesetz. Arbeitgeberpräsident Dr. Rainer Dulger erklärt in einer Pressemitteilung: „Ein Gesetz zur Regulierung der menschenrechtlichen Verantwortung ist und bleibt überflüssig, da viele Unternehmen sich seit Jahren engagieren und im Ausland wesentlich zu höheren Standards, besserer Bildung und somit zu Wachstum und Wohlstand beitragen. Die deutsche Wirtschaft steht uneingeschränkt zu ihrer menschenrechtlichen Verantwortung. Wichtig ist doch jetzt: Wir brauchen eine Belastungsmoratorium und keine weiteren Steine, die der Wirtschaft in den Weg gelegt werden und so einen wirtschaftlichen Aufschwung erschweren.“
Die Sorgfaltspflichten würden erhebliche Belastungen für die betroffenen Unternehmen darstellen. Das Gesetz müsse demnach „praktikabel ausgestaltet und für die tägliche Praxis umsetzbar sein“, so Dulger.
Staaten tragen menschenrechtliche Verantwortung
Dulger weist darauf hin, dass es auch in der Verantwortung der Staaten liege, die Menschenrechte zu schützen: „Genau wie die deutsche Wirtschaft ihrer menschenrechtlichen Verantwortung nachkommt, erwarten wir nun von der Bundesregierung ein Eintreten auf internationaler Ebene dafür, dass die Staaten ihrer Verantwortung zum Schutz der Menschenrechte tatsächlich wahrnehmen. Die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte sollten hier der Maßstab sein“, erklärt er.
Mit dem Regierungsentwurf vom 03. März 2021 erklärt sich die BDA nicht zufrieden. In einer weiteren Pressemeldung äußert sich der Arbeitgeberverband: „Die BDA lehnt das geplante Lieferkettengesetz ab. Der heute beschlossene Entwurf geht weit über die Vorgaben des Koalitionsvertrags der Bundesregierung hinaus. So werden neue Unternehmenspflichten geschaffen, die deutlich über die Regelungen des Nationalen Aktionsplans Wirtschaft und Menschenrechte der Bundesregierung hinausgehen.“
Negative Folgen auch für Entwicklungsländer?
„Problematisch ist insbesondere, dass der Gesetzesentwurf mit heißer Nadel gestrickt wurde, viele offene Fragen aufwirft und damit Rechtsunsicherheit schafft. Insgesamt sind die geplanten gesetzlichen Vorgaben viel zu weitreichend und mit ihrer Tragweite nicht handhabbar.
Unternehmen, die sichergehen wollen, nicht von den Sanktionen des Lieferkettengesetzes betroffen zu sein, bleibt daher nur der Rückzug aus Entwicklungsländern mit herausfordernder Menschenrechtslage. Damit schadet das Gesetz genau denjenigen Menschen, denen angeblich geholfen werden soll“, fährt der Verband fort.
Weiter warnt die BDA davor, dass ausländische Unternehmen, die keine gleichwertigen oder ähnlichen Vorgaben hätten, einen Wettbewerbsvorteil gegenüber den deutschen Unternehmen hätten. Ausländische Konzerne könnten somit „an die Stelle des außenwirtschaftlichen Engagements von deutschen Unternehmen treten“, so die BDA.
BDI: Definition von Sorgfaltspflicht unklar
Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) ist ebenfalls nicht angetan von dem Gesetz. In einer Pressemeldung schreibt er: „Viele deutsche Unternehmen wird die Umsetzung aufgrund ihrer globalen Lieferketten und des internationalen Wettbewerbs vor große Herausforderungen stellen.
Die Achtung von Menschenrechten ist für unsere Unternehmen selbstverständlich. Das nationale Lieferkettengesetz definiert erstmals verbindliche unternehmerische Sorgfaltspflichten in Bezug auf Menschenrechtsfragen in der Lieferkette und geht damit klar über existierende Berichtspflichten hinaus. Die vertragliche Weitergabe der Sorgfaltspflichten durch ihre Kunden belastet in jedem Fall mittelständische Unternehmen unabhängig von ihrer Größe, wenn sie selbst unmittelbare Zulieferer sind.“
Der Verband fordert, dass sich die Regierung „auf Basis des Kompromisses auf europäischer Ebene für ein Level-Playing-Field stark machen“ solle. Damit solle verhindert werden, dass sich Unternehmen mit unterschiedlichen Sorgfaltspflichten in Menschenrechtsfragen auseinandersetzen müssten.
Nachhaltigkeitsexperte Ebinger: "Endlich wieder sauberes Wasser"
Prof. Dr. Frank Ebinger ist Forscher für nachhaltigkeitsorientiertes Innovations- und Transformationsmanagement an der Technischen Universität in Nürnberg. In einem Interview gegenüber TECHNIK+EINKAUF, spricht er über seine Meinung zum Lieferkettengesetz.
Ebinger verfolgt das Geschehen um das Gesetz bereits längere Zeit. Er ist froh darüber, dass der Entwurf des Lieferkettengesetzes noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet wurde. Dennoch hätte er sich gewünscht, dass das Gesetz auch mittelständische Unternehmen direkt betreffe. Immerhin sei der Entwurf aber nicht komplett „windelweich“ debattiert worden.
„Spannend wird es, wenn man den deutschen Gesetzentwurf in die aktuelle EU-Diskussion einordnet. In der EU steht das Lieferkettengesetz ebenfalls zur Diskussion. Man ist gerade dabei, die Fakten für ein Gesetz zu schaffen. Es ist also nicht vom Zufall auszugehen, dass der Entwurf in Deutschland jetzt steht“, so Ebinger.
Preissenkungen auf Kosten von Menschen
Das Gesetz sei notwendig, da positive Effekte in Deutschland oft auf dem Rücken anderer Länder getragen würden. „Die Verantwortung hört nicht an der Unternehmensgrenze auf. Man muss Produktverantwortung und nachhaltiges Wirtschaften zusammendenken“, argumentiert Ebinger. Mit dem Gesetz werde das nachhaltige Wirtschaften gefördert und Unternehmen müssten „endlich ihrer Sorgfaltspflicht nachkommen“.
„Viele Menschen werden endlich wieder sauberes Wasser erhalten. Ich habe einige Zeit in Äthiopien gelebt, nicht weit von einer großen Gerberei. Dort konnte man nicht mal einen Finger in das Wasser halten, so verseucht war das“, erläutert der Forscher.
Ebinger hofft, dass das Gesetz vielen Menschen zu fairen und sicheren Arbeitsplätzen verhelfen werde. Er könne es kaum nachvollziehen, dass große Konzerne immer noch auf Kosten anderer Menschen Debatten um Preissenkungen führen. Dabei verweist er auf die Diskussion über das Dumping-Angebot von Aldi für eine Bananenkiste aus Ecuador.
Vorteile auch für Unternehmen
In dem Gesetz sehe er jedoch nicht nur Vorteile für Arbeitnehmer und Umwelt, auch Unternehmen profitieren davon. So verhelfe ihnen das Gesetz zu mehr Transparenz, Rechtssicherheit und biete strategische Optionen für die Neustrukturierung der Lieferketten.
Zudem könne durch ihre Bemühungen ihr Kundenstamm erweitert werden. „Es gibt immer mehr Menschen, die bewusst und nachhaltig einkaufen. Diese Menschen wollen, dass Unternehmen Verantwortung übernehmen. Das Gesetz hilft Unternehmen, sich auf dem Markt positiv von Anderen abzuheben“, so Ebinger.
Einen großen Nachteil sieht der Professor nicht. „Natürlich soll das Gesetz nicht die Wirtschaft abwürgen aber der Verantwortungsraum der deutschen Unternehmen sollte auf jeden Fall erweitert werden“, so Ebinger. Der Forscher fährt fort: „Unternehmen sollten ihre Sorgfaltspflicht im Hinblick auf ökologische Gesichtspunkte und Menschenrechte einhalten. Aus der Sorgfaltspflicht kann sich keiner rausziehen. Die Unternehmen sollten darauf achten, dass ihre Partner die gesetzlichen Rahmenbedingungen des Landes einhalten.“
Ebinger: Aufwand für Firmen hält sich im Rahmen Ebinger sehe auch, dass das Gesetz einen Aufwand für Unternehmen bedeute. Jedoch bestünden bereits gewisse Anforderungen auf EU-Ebene, die Betriebe bisher erfüllen mussten. Der Aufwand halte sich für alle im Rahmen, da die Firmen „lediglich Wirkungsmechanismen einführen müssen, wie sie ihrer Sorgfaltspflicht nachkommen“, so der Professor.
Die Folgen für Unternehmen, die das Gesetz umgehen, seinen in Ebingers Augen zu harmlos. Er bezeichnet sie als „zahnloser Tiger“. Auf die Frage, ob Unternehmen sich nicht auch ohne das Gesetz selbst regulieren können, entgegnet Ebinger: „Das funktioniert ja eben nicht. Jahrzehnte lang hat sich nicht viel verändert. Man braucht sich nur einmal den Weltzustandsbericht anschauen. Wir sind gerade dabei gegen die Wand zu fahren. Viele verschließen die Augen vor der Realität.“
Für Ebinger seien die Vorteile, die Unternehmen aus dem Gesetz ziehen können, positiv dem Aufwand gegenzurechnen.
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IG Metall: Wichtiger Schritt für bessere Arbeitsbedingungen
Die Gewerkschaft IG Metall begrüßt das Lieferkettengesetz mit Freude. Vorstand Jörg Hoffmann teilt in einer Pressemeldung mit: „Die Verabschiedung des Lieferkettengesetzes ist ein wichtiger nächster Schritt hin zu menschenwürdigen und fairen Arbeitsbedingungen entlang globaler Wertschöpfungsketten.
Klar ist: Das Gesetz ist ein nach hartem Ringen der Minister Heil, Müller und Altmaier erarbeiteter Kompromiss, den wir zwar zu schätzen wissen, aber wo wir deutlichen Nachbesserungsbedarf sehen, sollte der Anspruch auf Einhaltung von Arbeits- und Umweltstandards in den Lieferketten wirklich eine Chance haben.“
So sehe die Gewerkschaft zum Beispiel Verbesserungspotenzial bei der Unterteilung zwischen unmittelbaren und mittelbaren Zulieferern. Wolfgang Lemb, Geschäftsführer der IG Metall, erklärt: „Gerade in den weiter verzweigten Teilen der Lieferkette finden sich die schlimmsten Verstöße gegen Menschenrechte wieder.“
Forderung nach Beschwerdemechanismus
Ebenso kritisiert Lemb, dass der Gesetzentwurf vom 3. März keine zivilrechtliche Haftung vorsehe. „Wenn es aufgrund der Widerstände nicht möglich sein sollte, eine zivilrechtliche Haftung in das Gesetz aufzunehmen, dann muss unbedingt ein effektiver Beschwerdemechanismus, eine funktionierende behördliche Kontrolle sowie die Beteiligung betroffener Stakeholder garantiert werden, damit das Gesetz letztlich nicht zum Papiertiger wird“, erläutert er.
Auch hält er es für wichtig, dass die Gewerkschaftsarbeit vor Ort unterstützt werde: „Von der Verhinderung von Gewerkschaftsarbeit vor Ort geht eine Gefahr für Leib und Leben aus. Das gilt sowohl für die lebensgefährlichen Zustände für die Beschäftigten, angeprangert von Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter, als auch für das Leben dieser Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter, das dann oft bedroht wird.“
Die IG Metall hofft darauf, dass das Gesetz im weiteren Prozess nicht noch weiter „aufgeweicht“ werde. Am liebsten wäre es der Gewerkschaft, wenn Unternehmen schon vor 2023 ihr Risikomanagement auf den Schutz der Menschenrechte ausweiten würden und Präventions- sowie Abhilfemaßnahmen anpassen.
Südwind: Deutsche Unternehmen haben Nachholbedarf
Eva-Maria Reinwald ist Fachpromotorin für Globale Wirtschaft und Menschenrechte bei Südwind - einem unabhängigen Institut für Ökonomie und Ökumene. Reinwald freut sich, dass es mit dem Gesetz nun vorangeht.
Die Befragung der Bundesregierung, die dem Lieferkettengesetz Anfang 2020 vorausgegangen ist, zeige deutlich, wie viel Nachholbedarf deutsche Unternehmen hinsichtlich ihrer Sorgfaltspflicht hätten. Dennoch kritisiert Reinwald einige Punkte an dem Referentenentwurf. So entspreche die definierte Sorgfaltspflicht nicht dem internationalen Standard der Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte der Vereinten Nationen.
Diese sehen vor, dass Unternehmen für die gesamte Lieferkette eine Risikoanalyse durchführen müssen. Dabei sollen Faktoren wie der Rohstoffabbau und die Arbeitsbedingungen geprüft werden.
Keine Grundlage für Schadenersatz
„Das Gesetz betrifft erstmal nur die direkten Zulieferer. Auf den nächsten Ebenen müssen Unternehmen nur dann tätig werden, wenn Missstände bekannt sind. Sie werden also erst tätig, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist“, äußert sich Reinwald zu dem Referentenentwurf.
Sie geht davon aus, dass sich immerhin die Europäische Kommission, bei der Ausarbeitung eines Lieferkettengesetzes, auf die internationalen Standards der Vereinten Nationen berufen werde. Zudem kritisiert die Fachpromotorin, dass das Gesetz keinen direkten zivilrechtlichen Haftungsmechanismus vorsehe.
Eine betroffene Person, die durch ein Unternehmen Schaden erlitten habe, könne sich nicht auf das Gesetz berufen und ihre Schäden einklagen. Die Klage müsse über das Recht des jeweiligen Landes eingeleitet werden. Das erweise sich als sehr unsicher und bürge große Hürden. Immerhin können Betroffene mit dem Lieferkettengesetz nun eine Gewerkschaft für die Klage beauftragen.
„Wir reden hier von einer prozesshaften Pflicht“
Reinwald sehe das Gesetz unter anderem als notwendig an, weil es ein „Spielfeld mit gemeinsamen Regeln“ für Unternehmen schaffe. „Aktuell unterliegen Unternehmen, die sich um ihre Sorgfaltspflichten bemühen, einem Wettbewerbsnachteil.
Mit dem Gesetz sollen gemeinsam die Herausforderungen in der Textilproduktion und dem Rohstoffabbau gemeistert werden. Dann gibt es bald endlich einmal Filteranlagen für Fabriken, verbesserte Gewerkschaftsrechte und eine bessere Einkommenssituation der Kakaobauern“, so die Fachpromotorin.
Natürlich müssten sich Unternehmen erst einmal genau mit den Anforderungen des Gesetzes auseinandersetzen, so Reinwald. Dies koste Zeit und Ressourcen. Jedoch werde in dem Gesetz nicht erwartet, dass die Probleme in den Lieferketten sofort gelöst werden sollten. „Wir reden hier von einer prozesshaften Pflicht. Unternehmen müssen nicht von heute auf morgen eine saubere Lieferkette vorweisen. Sie sollen sie Schritt für Schritt optimieren“, argumentiert Reinwald.
Länder müssen internationalem Druck standhalten
Selbstverständlich liege die Verantwortung für die Wahrung der Menschenrechte nicht allein bei den Unternehmen, erklärt Reinwald. In den internationalen Standards der Vereinten Nationen stehe geschrieben, dass die Verantwortung zur Einhaltung der Menschenrechte bei den Staaten liege. Sie sollten gewisse Gesetze schaffen, um ihre Verantwortung durchzusetzen.
„In der Praxis zeigt sich jedoch, dass das oft nicht funktioniert, weil Unternehmen einen internationalen Druck auf die Länder ausüben“, fährt die Fachpromotorin fort. So übe die Art und Weise der Einkaufspraxis eines Unternehmens Druck auf die Produktionsketten aus. Eine enge Produktion in einem geringen Zeitfenster, sorge für eine Vernachlässigung der Menschenrechte.
Das Unternehmen solle sich daher immer fragen, wie sie mit ihren Geschäftspraktiken die Wahrung der Menschenrechte unterstützen können. Reinwald erklärt den Mechanismus an einem Beispiel: „In Ghana und an der Elfenbeinküste wird viel Kakao angebaut. Auf den Plantagen arbeiten 1,5 Millionen Kinder. Wir wissen, dass hier ein Zusammenhang mit der Einkommenssituation der Kakaobauern besteht. Ihr Einkommen reicht oft nicht aus, um erwachsene Erntehelfer zu bezahlen. Somit müsste also das Einkommen der Bauern steigen, um die Kinderarbeit zu senken.“
Höherer Einfluss auf Zulieferbetriebe
Das Lieferkettengesetz habe für Unternehmen den Vorteil, einen höheren Einfluss auf Zulieferbetriebe zu haben. Man könne die Probleme in den Lieferketten gemeinsam angehen und sich für die Sicherung von fairen Lieferketten zusammenschließen. „Ein kleiner Betrieb alleine kann da fast nichts bewirken“, so Reinwald. Zudem spare ein Unternehmen mit dem Gesetz auf lange Zeit Kosten.
Die Fachpromotorin erläutert das wie folgt: „Zunächst haben Unternehmen höhere Kosten, da sie sich mit den Herausforderungen der Lieferkette auseinandersetzen müssen. Aber die Kosten zahlen sich aus, wenn auf lange Sicht die Reputationskosten sinken.“ Reinwald kritisiert, dass das Wirtschaftsministerium bei der Diskussion um das Gesetz zu sehr auf die Verbunds-Positionen gehört habe. Man habe weniger den Dialog mit Unternehmen gesucht, die sagen, dass ihnen die gemeinsamen Regeln helfen würden, um ihre Bemühung für faire Lieferketten zu realisieren.
Ebenso habe Reinwald oft von der Behauptung gehört, dass Unternehmen mit dem Lieferkettengesetz für Umstände haften, die sie nicht beeinflussen könnten. Dem sei nicht so. Es gehe bei dem Gesetz vorrangig um eine Bemühungspflicht. Nur, wenn man davon wissen konnte, dass es in einer Fabrik einen mangelnden Brandschutz gebe und man dagegen nichts unternehme, sei man haftbar.
Häufig in der Kritik: Textilindustrie
Viele Unternehmen stellt die Umsetzung des Lieferkettengesetzes vor große Herausforderungen. Andere dagegen freuen sich, dass sie durch das Lieferkettengesetz ihre Nachhaltigkeitspläne einfacher realisieren können. Darunter zum Beispiel die GLS Bank, Schöffel, Vaude, Epson, Ritter Sport und Tchibo. Mit dem Lieferkettengesetz sollen vor allem Missstände in der Rohstoff- und Textilindustrie aufgedeckt und korrigiert werden.
Gerade die Textilindustrie steht in Sachen ökologischer Sorgfaltspflicht und der Wahrung der Menschenrechte oft in der Kritik. Und trotzdem oder vielleicht gerade deshalb sprechen sich auch Textilhändler, wie der Billiganbieter Kik, für ein Lieferkettengesetz aus.
Das Unternehmen wurde in der Vergangenheit immer wieder mit Vorwürfen zu Kinderarbeit und Missachtung der Menschenrechte konfrontiert. Was sagt ein Textildiscounter zu dem Gesetz? Welche Vorteile zieht ein Billigdiscounter aus dem Lieferkettengesetz?
Kik: Sicherheit und klare Vorgaben sind Vorteile
In einer schriftlichen Stellungnahme erklärt Kik, warum der Konzern das Lieferkettengesetz befürwortet: „Wir als Textilhändler - genauso wie Textilarbeiter und Produzenten - benötigen Sicherheit und klare rechtliche Vorgaben, die nicht Gegenstand unterschiedlicher Interpretationen sein dürfen. Wir begrüßen daher, dass die Bundesregierung nun ein einheitliches Lieferkettengesetz verabschiedet.
Nur darüber können gleiche verbindliche Regeln für alle Marktteilnehmer und damit gleiche Wettbewerbsbedingungen unter den Anbietern in der Textilbranche gesichert werden. In einem gemeinsamen Binnenmarkt sollten diese Regeln im besten Fall auch auf europäischer Ebene ausgestaltet werden“, begründet das Unternehmen.
Billig-Preise durch Mengenbündelung und Direktimporte
Bereits seit 2017 setze sich Kik für ein Lieferkettengesetz ein und sei Mitglied im Bündnis für nachhaltige Textilien. Der Konzern würde schon jetzt seine Lieferantenstruktur umfassend dokumentieren und laufend aktualisieren. Daher sehe sich das Unternehmen auf die Umsetzung des Gesetzes gut vorbereitet.
Und wie lässt sich die Einhaltung des Lieferkettengesetzes mit dem Verkauf der niedrigpreisigen Waren vereinbaren? Kik erklärt: „Als Textildiscounter resultieren unsere Preise übrigens aus effizienten Kosteneinsparungen und nicht aus Einbußen bei der Qualität oder unserer sozialen Verantwortung. Durch Mengenbündelung, Direktimporte, eine effiziente Logistik, eine zentrale und schlanke Verwaltung sowie durch Filialen, deren Gestaltung der optimalen Warenpräsentation verpflichtet ist, realisieren wir Kostenvorteile, die wir über günstige Preise an unsere Kunden weitergeben. Das Lieferkettengesetz hat daher auch keine Auswirkungen auf unsere Preise.“
Wer ist für die Einhaltung der Menschenrechte verantwortlich?
Der Kabinettsentwurf zum Lieferkettengesetz lässt sowohl Gegner als auch Befürworter aufschreien. Alle Seiten zufriedenzustellen, gleicht einem Seiltanz.
Die Frage, wer letztendlich die Einhaltung der Menschenrechte zu verantworten hat, ist pikant. Eine mögliche Antwort darauf liefern die Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte, eine andere das Lieferkettengesetz. Wie beide Teile in Zukunft zusammen harmonieren und welche Auswirkungen das Gesetz tatsächlich auf die Wirtschaft haben wird, bleibt offen.