Robotik-Trend

Die Humanoiden verlassen das Labor

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Engineers walking and talking
Ersatzteile, Komponenten, Integration: Schaeffler setzt in mehrfacher Hinsicht auf humanoide Roboter.

Es ist soweit: Erste humanoide Roboter nehmen ihre Arbeit in Werks- und Lagerhallen auf. Trotzdem wird es noch dauern, bis sie universell einsetzbar sind.

Smartphones und Autos haben wenig gemeinsam. Bis auf eines: Ihr breiter Einsatz hat unseren Alltag radikal verändert. Nun steht eine weitere technische Innovation mit disruptivem Potenzial in den Startlöchern: humanoide Roboter. Befeuert durch Milliarden-Investitionen in den USA und Milliarden-Subventionen der chinesischen Regierung für chinesische Unternehmen, prognostizieren Analysten enorme Marktvolumina, vergleichbar mit denen der Automobilindustrie. „Aktuell stehen wir weltweit an der Schwelle zur Skalierung für einen Massenmarkt“, sagt Prof. Dr. Ing. Alin Albu-Schäffer, Direktor des DLR-Instituts für Robotik und Mechatronik in Oberpfaffenhofen.

KI mit Händen, Armen und Beinen

Rasante Fortschritte in der künstlichen Intelligenz (KI) beschleunigen die Entwicklung humanoider Roboter. Umgekehrt ebnen die Humanoiden der bislang vor allem informatorischen KI einen universellen Weg in die reale Welt – in Industrie, Raumfahrt, Militär, Pflege und letztlich wohl auch im Haushalt. „Bislang hatten wir vor allem Robotikfirmen, die im Schnitt vielleicht 50000 Roboter pro Jahr verkaufen. Doch das dreht sich gerade. Wir beobachten seit geraumer Zeit, dass große Player wie Google, Amazon, Nvidia oder Tesla hier einsteigen. Mit Investitionen in einer Größenordnung, die es in der Robotik bisher noch nie gegeben hat“, berichtet Albu-Schäffer.

Trotz aller Euphorie sind die Humanoiden noch immer in erster Linie ein Forschungsthema. „Die grundsätzliche Idee ist, zumindest für bestimmte Aktivitäten menschliche Fähigkeiten nachzubilden: Mobilität, Interaktion, Zweiarmigkeit, geschickte Hände, ein beweglicher Kopf, Sensorik, die eine dreidimensionale Wahrnehmung ermöglicht“, zählt Albu-Schäffer auf. Unter dem Strich also ein menschenähnliches Erscheinungsbild, das humanoiden Robotern erlaubt, erfolgreich in Umgebungen zu agieren, die auf Menschen zugeschnitten sind.

Immer mehr Prototypen demonstrieren zwar mittlerweile, wie das aussehen könnte. Dennoch sind längst nicht alle Fragestellungen gelöst. Gut funktionierten beispielsweise einfache Greif-Aufgaben, Fortbewegung und Navigation. „Viel Entwicklungsbedarf gibt es dagegen nach wie vor bei anspruchsvollen Tätigkeiten wie in der Feinmontage, bei denen präzise Handhabung und Fingerspitzengefühl gefragt ist. Hier sind Roboter noch weit entfernt von dem, was Menschen können“, stellt Albu-Schäffer fest.

Als humanoid definiert ISO 8373 Roboter mit Körper, Kopf und Extremitäten, die der menschlichen Gestalt nachempfunden sind und die sich wie Menschen bewegen. Sebastian Jonas, Leiter Advanced Production Technology bei Schäffler, sieht das nicht ganz so eng: „Im Kern geht es bei humanoiden Robotern um die Verschmelzung von künstlicher Intelligenz mit mechanischer Funktionalität, um menschenähnliche Fähigkeiten nachzuahmen. Humanoide Roboter müssen also nicht unbedingt wie Menschen aussehen. Der Fokus liegt auf der Funktionalität und der Fähigkeit zur Interaktion in menschlichen Umgebungen.“

Schaeffler setzt gleich in mehrfacher Hinsicht auf die Humanoiden: Das Unternehmen bietet Fertigungsanlagen und Ersatzteile für humanoide Roboter an und entwickelt Komponenten wie Aktoren. Ein weiterer Schwerpunkt ist die Integration humanoider Roboter in die eigene Produktion. Darüber hinaus hält Schaeffler eine Minderheitenbeteiligung an US-Roboterhersteller Agility Robotics (AR).

Digit von Agility Robotics ist 1,75 m groß, 64 kg schwer, hebt Lasten bis 16 kg.
‚Digit’ von Agility Robotics ist 1,75 m groß, 64 kg schwer, hebt Lasten bis 16 kg.

Zwischen Pilotprojekt und Routine

„Humanoide Roboter bieten vor allem dort Vorteile, wo größtmögliche Flexibilität und Interaktionsfähigkeit in menschzentrierten Umgebungen gefordert sind“, sagt Jonas. Ein erster Probelauf findet seit Anfang 2025 im Schaeffler-Werk Cheraw, South Carolina, statt. Hier übernimmt der Humanoide ‚Digit’ von Agility Robotics das Be- und Entladen einer Waschmaschine für Lagerkomponenten. Derzeit befinde sich ‚Digit’ an der Schnittstelle zwischen Pilotprojekt und routinemäßigem Betrieb. „Die Skalierung humanoider Roboter wird zunächst in hochstandardisierten Arbeitsprozessen der Logistik starten. Mittel- bis langfristig werden humanoide Roboter entlang der gesamten Wertschöpfungskette zum Einsatz kommen“, erwartet er.

Zu den Punkten, die vorher noch gelöst werden müssen, gehört das Thema Sicherheit: „Ein breiter Einsatz humanoider Roboter setzt voraus, dass sie kooperativ mit Menschen und außerhalb der physischen Sicherheitsbarrieren arbeiten können, in denen sie heute operieren“, stellte Agility Robotics CEO Peggy Johnson Ende 2024 klar und kündigte an, ihr Unternehmen werde das erste sein, das binnen 24 Monaten einen ‚sicheren humanoiden Roboter‘ ausliefert, der mit Menschen zusammenarbeiten könne.

Beim Iggy Rob wurde sich bewusst gegen Beine entschieden.
Beim ‚Iggy Rob‘ wurde sich bewusst gegen Beine entschieden.

Darüber, ob sich humanoide Roboter unbedingt auf zwei Beinen bewegen sollten, gehen die Meinungen auseinander. Igus hat sich ganz bewusst dagegen entschieden und den ‚IggyRob’ mit einer mobilen Plattform versehen. „Treppen sind selten ein Thema in der Produktion“, sagt Vice President Alexander Mühlens, der bei Igus den Geschäftsbereich Low Cost Automation leitet. „Mobile Plattformen bringen bereits umfangreiche sicherheitstechnische Funktionen mit, was die CE-Kennzeichnung und den sicheren Betrieb erheblich erleichtert.“

Der ‚Iggy Rob’ befindet sich derzeit zwar noch im Stadium eines Prototypen, ist aber bereits zu kaufen. „Er wird von uns stetig weiterentwickelt. Erste Tests laufen, unter anderem bei uns im Haus und bei mittlerweile knapp 50 Testkunden“, berichtet Mühlens. Der Preis für ‚Iggy Rob’ liegt aktuell bei rund 48000 Euro. „Damit sind wir deutlich unter den Kosten von anderen humanoiden Robotern, die ab 70000 Euro starten. Wir erwarten, dass die Kosten durch Skalierung und technische Fortschritte weiter sinken. Ich denke, künftig werden leistungsfähige Systeme für vielseitige Aufgaben auch unter 5000 Euro realisierbar sein“, schätzt er. „Wir gehen davon aus, dass humanoide Roboter in den nächsten fünf bis zehn Jahren zunehmend in der Produktion mitarbeiten werden – allerdings nicht flächendeckend, sondern zunächst in spezifischen, gut geeigneten Einsatzfeldern.“

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