Strom-Umspannwerk und ein davor gelegtes Preischart, das den Anstieg des Strompreises darstellt

Energiepreise und Fachkräftemangel sorgen für erheblichen Druck – vor allem bei energieintensiven Branchen, wie der Metallverarbeitung oder der Papierindustrie. Steht der Standort DACH auf dem Spiel? (Bild: blackday - stock.adobe.com)

Energiepreise und Fachkräftemangel sorgen in der DACH-Region für erheblichen Druck – vor allem bei energieintensiven Branchen, wie der Metallverarbeitung oder der Papierindustrie. In vielen Managementetagen wird diskutiert: Produktion herunterfahren, Standortwechsel anstreben oder nur noch im Ausland investieren? Ein Lagebericht.

Der blinde Fleck der Klimapolitik

Die europäische Wirtschaft befindet sich in einer Übergangsphase: Mit der Energiewende soll die „alte automatisierte Welt“ der fossilen Energieträger hinter sich gelassen – und der Weg hin zur „neuen hypervernetzten Welt“ der regenerativen Energien geebnet werden. Was sich in den rhetorischen Reden vieler Politikerinnen und Politiker so vielversprechend anhört, weist in der Praxis erhebliche Schwächen auf.

Denn so notwendig der Schritt in Richtung einer klimaneutralen Wirtschaft ist: Solange die regenerativen Energieträger nicht genug Kapazitäten erzeugen, um ganze Industriebereiche zu versorgen, brauchen die Länder – vor allem Deutschland – eine Übergangslösung mit Atomenergie oder fossilen Trägern. Sonst steigen die Kosten für Unternehmen ins Unermessliche. Das ist aktuell der blinde Fleck der wichtigen Klimapolitik.

In Zukunft noch wettbewerbsfähig?

Der Krieg in der Ukraine, bzw. der damit verbundene Gaslieferstopp Russlands, ist für die Energiewende und für die Wirtschaft eine zusätzliche Belastung. Dass im Management vieler Unternehmen Beunruhigung aufkommt, verwundert nicht. DACH ist ohnehin ein teurer Standort. Vor allem energieintensive Branchen stellen sich die legitime Frage: Lohnt es sich noch, in dieser Region zu bleiben? Wer auch Werke im Ausland unterhält, wo die Energiepreise günstig sind, kann das Standortrisiko ausgleichen.

Wer dagegen über kein globales Produktionsnetz verfügt, muss in den kommenden Monaten mit finanziellen Engpässen rechnen. In einer Umfrage des Bundesverbands der deutschen Industrie (BDI) gaben bereits im Februar 2022 knapp 90 Prozent der befragten Unternehmen an, dass die Mehrkosten durch die gestiegenen Energiepreise eine starke oder gar existenzielle Herausforderung darstellten. Jeder fünfte (21 Prozent) denke darüber nach, die Produktion oder Unternehmensteile ins Ausland zu verlagern. Und auch die PwC-Tochter Strategy& warnte kürzlich vor einer drohenden Deindustrialisierung in Europa.

Low-Cost-Länder locken Unternehmen

Bei der Frage, wohin energieintensive Industriebranchen abwandern könnten, fällt der erste Blick auf die USA. Die Energiepreise sind dort wesentlich niedriger, der riesige US-Markt bietet großes Wachstumspotenzial – und die aktuelle Biden-Regierung lockt im erlassenen Inflation Reduction Act mit Steuervorteilen für Unternehmen, die im Land produzieren.

Dass die USA damit gegen WTO-Recht verstoßen, bleibt dort überwiegend unbeachtet. Für deutsche Unternehmen ist die USA ein zunehmend interessanter Standort. Eine Umfrage des Verbandes Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) mit 350 Beteiligten zeigt, dass drei Viertel ihre Geschäftsaktivitäten in den USA in diesem und im kommenden Jahr

ausbauen wollen. Rund zwei Drittel wollen den eigenen Service und Vertrieb stärken, 37 Prozent planen eine Erweiterung ihrer Produktion und 18 Prozent wollen auch Konstruktion und Entwicklung in den USA ausbauen. Es muss aber nicht nur die USA sein. Auch andere Länder bieten sich an. Nordafrika mit Tunesien oder Marokko sind ebenso Alternativen und nicht wirklich weit entfernt, bzw. durch die Automobilindustrie teilweise entwickelte Gebiete und offen für neue Industrien – abgesehen von den steuerlichen Vorteilen, die sich auch hierdurch ergeben.

Schleichende Deindustrialisierung ist wahrscheinlicher

Die Umfrage des VDMA lässt vermuten: „Hals über Kopf“ werden wohl selbst die energieintensiven Industrien nicht aus der DACH-Region abziehen – allein, weil es praktisch eine große Herausforderung darstellt. Zum Beispiel bei den Chemie-Konzernen: Laut eines Spiegelberichts seien die Abläufe zu komplex und die Unternehmen in der Lieferkette zu stark miteinander verwoben, als dass man kurz- bis mittelfristig einzelne energieintensive Prozessschritte dort herausnehmen und ins Ausland verlagern könne. Eine Petrochemie-Anlage lässt sich auch nicht so leicht schließen, wie z. B. ein Gastronomiegewerbe.

Was sich aber klar abzeichnet: Unternehmen werden bei den aktuellen Energiepreisen keine Investitionen mehr in der DACH-Region tätigen. Das ist für die meisten Unternehmen einfach nicht darstellbar. Stattdessen werden zukünftige Investitionen im Ausland gemacht. So besteht die Gefahr einer schleichenden Deindustrialisierung, die vielleicht erst dann in ihrem vollen Ausmaß wahrgenommen wird, wenn es eigentlich schon zu spät ist. Neben niedrigeren Energiepreisen und Steuervorteilen im Ausland bildet außerdem noch ein weiterer Faktor die Entscheidungsgrundlage für Verantwortliche, ihre unternehmerische Tätigkeit ins Ausland zu verlagern: Der hiesige Fachkräftemangel.

Schwankungen am Arbeitsmarkt zu befürchten

Laut dem Nürnberger Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) gehen in Deutschland bis 2035 sieben Millionen Arbeitskräfte verloren, weil die geburtenstarken Jahrgänge der Babyboomer-Generation bis dahin in Rente gehen. Diese Zahl ist alarmierend, wobei man hier auch relativieren sollte: Einerseits kann die Zahl durch eine Steigerung der Erwerbsquoten und durch Zuwanderung verringert werden. Andererseits gibt es leider auch immer Unternehmen, die Insolvenz anmelden müssen. Allein in der so wichtigen Branche der Automobil-Zulieferer ist laut Automobilwoche die Zahl der Insolvenzanträge im ersten Halbjahr 2022 um 50 Prozent gestiegen. Und auch in anderen Branchen gibt es Unternehmen, für die die Kombination aus Lieferengpässen und Energiepreisen das Ende am Markt bedeutet.

Dadurch ergeben sich andere Verhältnisse am Arbeitsmarkt, da betroffene Fachkräfte wieder frei werden. Gibt es aber in der Rezession dann genügend freie Arbeitsplätze, wenn Unternehmen Kosten und Investitionen scheuen? Schlägt das Pendel in der Rezession vielleicht sogar in die andere Richtung aus – und wir pendeln immer zwischen einer Inflation und einer Rezession hin und her? Wie es auch kommen mag: Für Unternehmen in der DACH-Region ist der Standort momentan nicht besonders attraktiv.

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Standort stärken bedeutet Wohlstand sichern

Viele mittelständische Unternehmen in DACH sind aber dennoch stolz auf ihren Standort – und tief mit ihren Regionen verwurzelt. Sie empfinden ein Verantwortungsbewusstsein für ihre Mitarbeitenden und für die Gesellschaft. Ihnen geht es mehr darum, den Wirtschaftsstandort DACH weiterhin wettbewerbsfähig zu halten. Hilfspakete aus der Politik sind dafür wichtig, aber nur eine Übergangslösung.

Wirtschaft und Politik müssen einen Kompromiss finden, um die nachhaltige Energiewende halbwegs kostenneutral für die Unternehmen durchzuführen – und den gesellschaftlichen Wohlstand zu sichern. Wenn die Industrien in der DACH-Region in naher Zukunft CO₂-neutral sein sollen, sind zunächst Atomenergie oder fossile Energieträger notwendig, bis regenerative Energie genug Kapazitäten für die Industrie hat. Ansonsten droht der langsame Rückgang der Industrie in Europa – und ein gesellschaftlicher Abstieg vieler Menschen in der Region.

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