In China gehen die Lichter aus. Allerdings nicht überall und auch nicht ständig. Von offizieller Seite heißt die Maßnahme Stromrationierung, hinter vorgehaltener Hand sprechen viele aber bereits von einer Energiekrise.
So hat es in den vergangenen Wochen mehrfach Stromengpässe in den chinesischen Industriezentren gegeben. Besonders der sogenannte Rostgürtel im Nordosten Chinas ist laut der Nachrichtenagentur Reuters betroffen. So erlebte die Provinz Liaoning zwischen Mitte und Ende September fünf Alarme mit der zweithöchsten Strommangelwarnstufe. Eine Warnung der Stufe 2 weist auf einen Energiemangel in Höhe von zehn bis 20 Prozent des Gesamtenergiebedarfs hin.
Die Rationierung des Stroms fällt in die Zuständigkeit der lokalen Regierungen. Diese lassen die Stromproduktion herunterfahren und auch wieder in Gang setzen, so das Mercator Institut for China Studies (MERICS). Doch woran liegt der Strommangel? Warum müssen die Provinzregierungen überhaupt zum Aus-Knopf greifen?
Gründe für den Strommangel in China
Die Engpässe sind laut MERICS auf mehrere Faktoren zurückzuführen. Zum einen ist die Nachfrage nach Energie in China seit dem Ende der Corona-Beschränkungen stark gestiegen. Die Industrie lief zeitweise auf Hochtouren, die Welt fragt Güter aus China stark nach. Nun im Herbst steigt zudem die Nachfrage nach Energie zum Heizen.
Zum anderen bekommt China nicht soviel Kohle, wie es zur Verstromung bräuchte. Allein im September stieg die chinesische Nachfrage nach Kohle um 76 Prozent. Zwar ist China nicht nur größter Kohleverbraucher, sondern auch größter Kohleproduzent. Jedoch hatten lokale Behörden in letzter Zeit die Sicherheitsstandards für chinesische Bergwerke verschärft, nachdem es zu einer Reihe von Unfällen gekommen war.
Hauptlieferant war lange Zeit Australien. Doch seit 2020 boykottiert China den Import australischer Kohle, denn das Land hatte eine Untersuchung zum Ursprung des Coronavirus in China gefordert, da es an der chinesischen Version zweifelte. Auch wurde Huawei vom Aufbau des australischen 5G-Netzes ausgeschlossen. Die benötigte Kohle aus anderen Ländern zu besorgen, klappt jedoch nicht so reibungslos wie erhofft. Die Lieferungen kommen eher schleppend.
Gleichzeitig erreicht der Kohlepreis ein Rekordniveau aufgrund der gestiegenen Nachfrage. Da die Strompreise staatlich reguliert sind, verlieren die Stromerzeuger mit jeder Tonne Kohle, die sie auf dem teuren Spot-Markt kaufen und verstromen, bares Geld. "Dieses verlustreiche Unterfangen führt dazu, dass Erzeuger die Produktion drosseln", sagt Jacob Gunter von Merics.
Als vierter Grund für den Strommangel in China gilt die Energiepolitik des Landes. Diese sieht die vollständige Dekarbonisierung bis zum Jahr 2060 vor. Doch noch vor 2030 soll der Höhepunkt des CO2-Ausstoßes erreicht sein. Allerdings zählt China bislang noch zu den größten Kohleverstromern der Welt, stößt also besonders viele Treibhausgase aus. Stromabschaltungen sollen also für ordentliche Pluspunkte auf dem CO2-Konto sorgen.
Wer ist von den Stromausfällen in China betroffen?
Betroffen vom Strommangel sind vor allem industriereiche Provinzen auf dem chinesischen Festland. Dazu zählen unter anderem Guangdong, Zhejiang und Jiangsu. Sie generieren zusammen einen Großteil der chinesischen Wirtschaftsleistung. Insgesamt sollen aber laut taiwanischen Medien rund 20 Provinzen auf dem Festland betroffen sein.
In Jiangsu schlosen Stahlwerke, in Zhejiang waren 160 energieintensive Fabriken etwa im Textilsektor von der Stromkappung betroffen. In der nordostchinesischen Provinz Liaoning mussten 14 Städte den Strom rationieren. Einige Stadtteile der dortigen Provinzhauptstadt Shenyang waren phasenweise bis zu 15 Stunden lang stromlos. Das staatliche Fernsehen berichtete über Rauchgasvergiftungen von Arbeitern, weil Lüftungen ausfielen.
Besonders brenzlig wird es langsam für Tech-Unternehmen wie Zulieferer für die Halbleiterindustrie und Leiterplatten-Produzenten. Auch Dickschiffe der Halbleiterbranche wie Global Wafers und ASE leiden unter den Strom- und damit Produktionsausfällen in ihren Festland-Dependancen. So hat auch der größte Auftragsfertiger der Welt, Taiwan Semiconductor Manufaturing Company (TSMC), Tochterfirmen, etwa in Nanjing und Shanghai.
Andere Tech-Firmen, wie Unimicron klagen ebenfalls über die Stromausfälle. Die Produktion musste zum Teil tagelang ausfallen. Auch Concraft Holding, Hersteller von Kopfhörern, und Foxconn legten ihre Bänder teilweise still, schreibt die japanische Tageszeitung "Nikkei". Die Unternehmen beliefern unter anderem Apple.
Auch andere energiehungrige Branchen leiden unter den Ausfällen, allen voran die Stahl-, Aluminium- und Zementproduktion. So erhielten chinesische Stahlhersteller in 28 Städten die Anweisung, über den Winter 30 Prozent weniger zu produzieren.
Ankündigungen über Stromausfall kommen oft kurzfristig
Das Problem: Meist erhalten die Unternehmen die Nachricht, dass eine Stromabschaltung bevorsteht, nur sehr kurzfristig. Zum Teil werden sie auch gar nicht vorgewarnt. "In netten Fällen gab man den Firmen zwei bis drei Tage vorher Bescheid. In Shenyang, im Norden Chinas, hatte man einen Tag Vorlauf. In Tianjin hat man sich kurzfristig entschlossen, den Strom sofort abzustellen", so der Präsident der Europäischen Handelskammer in China, Jörg Wuttke auf Tagesschau.de.
Das Online-Medium beruft sich zudem auf den China-Chef eines nicht näher bezeichneten DAX-Unternehmens. Dieser wirft China Willkür und fehlende Rechtssicherheit bei den Stromabschaltungen vor. Planungen seien aufgrund der intransparenten Lage nicht möglich. In diese Kerbe schlägt auch Wuttke. Das Ganze habe keine rechtliche Grundlage, es gebe keinen Vorlauf, keine Papiere und keine Erklärungen der Regung. Man bekomme die Information entweder per Telefon oder "sie kommen bei einem vorbeimarschiert oder stellen gleich den Strom ab".
Sind deutsche Unternehmen betroffen?
Die unsteten Stromlieferungen haben natürlich auch Auswirkungen auf deutsche Unternehmen. So musste Volkswagen einige Schichten ausfallen lassen, weil Zulieferer keinen Strom für ihre Produktion hatten und entsprechende Teile fehlten.
Der Bundesverband Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik (BME) schreibt in einer aktuellen Untersuchung der Lage, dass er damit rechnet, dass die Strompreise um bis zu 20 Prozent steigen könnten. Das hätte einerseits einen direkten Einfluss auf den Stromverbrauch. Sinkt dieser, würden auch die Stromkürzungen weniger. Andererseits hätten die Stromerzeuger dadurch wieder Anreiz, mehr als die geplante Menge Strom zu produzieren. Nichtsdestotrotz rechnet auch der BME für Unternehmen mit hohen Bedarfen an Energie und Strom mit weiteren Problemen.
So müssten Stahleinkäufer hierzulande mit höheren Einkaufspreisen rechnen. Der Verband rät seinen Mitgliedern, die Preisentwicklung genau zu beobachten und Bestellungen notfalls auch kurzfristig anzupassen. Zusammen mit dem andauernden Stress der Lieferketten, also geringe Logistikkapazitäten, Containermangel und insgesamt längeren Lieferzeiten, seien höhere Preise für die Abnehmer vorhersehbar.
Befürchtung einer längerfristigen Energiekrise
Die Energiekrise der weltweit größten Exportnation könnte noch bis Jahresende andauern. Analysten prognostizieren zwölf Prozent weniger Energieverbrauch im vierten Quartal. Für Jörg Wuttke ist der 15. November ein kritisches Datum. Dann startet Chinas zentralisiertes Heizsystem die Versorgung der Öffentlichkeit im Norden. Das sei auch ein kritischer Test für die Industrie. Wuttke rechnet zudem mit weiteren Versorgungsengpässen unterschiedlichster Komponenten, falls die Stromkrise bis in die Weihnachssaison dauere. "Wir befinden uns in einem Marathon, nicht in einem Sprint", sagte er der Nachrichtenagentur Reuters.
So sieht es auch MERICS: "Es ist unwahrscheinlich, dass die Ursachen der Energieknappheit schnell beseitigt werden. Europäische Unternehmen in China oder mit Lieferketten in diesem Markt müssen mit weiteren Störungen rechnen", sagt MERICS-Experte Jacob Gunter.
Spekulationen, dass ausländische Unternehmen sich aus dem chinesischen Markt zurückziehen werden, widerspricht Gunter: "Einschätzungen, dass dies zu einem deutlichen Rückgang der ausländischen Direktinvestitionen oder sogar zum Abzug von Investitionen führen wird, teile ich nicht. Ausländische Unternehmen sind in China mit den gleichen Engpässen konfrontiert wie ihre einheimischen Konkurrenten und dadurch nicht benachteiligt. Auch nach der Erdgasknappheit im Winter 2017/18 blieben die ausländischen Investitionen in China auf hohem Niveau."
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