Wolfgang Wirtz und Michael Haas pflegen bei der Rational AG aus Landsberg am Lech seit Jahren eine enge Zusammenarbeit zwischen den Abteilungen Einkauf und Entwicklung. Das half auch, als die Corona-Pandemie das Kanban-System aushebelte und Teile umkonstruiert werden mussten, um das Risiko von Zulieferausfällen zu minimieren.
TECHNIK+EINKAUF: Herr Wirtz, Rational setzt vor allem auf Qualität und Langlebigkeit. Da müssen Einkauf und Entwicklung gleich von Anfang an zusammenarbeiten, oder?
Wolfgang Wirtz: Im Grunde genommen geht unsere Zusammenarbeit schon bei der Idee los. Das beginnt in der Grundlagenentwicklung bei der wir zusammenschauen, wie die Anforderungen der Kunden umgesetzt werden können. Wenn wir Ideen weiterverfolgen, dann ist der Einkauf von Anfang an dabei und gestaltet die Prozesse im Hintergrund. Wir überlegen dann, welche Zulieferer die Richtigen wären, wo unter Umständen das Knowhow fehlt, wenn es um abstrakte Themen geht, und begleiten da schon Entwicklungsaufträge mit Fremdfirmen oder Instituten etc. Quasi viel früher geht nicht.
Michael Haas: Das ist eine sehr frühe und entscheidende Weichenstellung. Wir müssen schauen welche Kernkompetenzen wir im Haus haben und welche Leistungen wir nach draußen geben. Es gibt ja sehr unterschiedliche Möglichkeiten ein Ergebnis zu erreichen und das hängt von den verwendeten Technologien ab. Ein triviales Beispiel ist: Wird es als Gußteil, als Kunststoffteil oder als Blechteil hergestellt. Solche Dinge kann man ganz gut mit den internen und externen Spezialisten schon im Vorfeld abklären.
Wie wichtig ist dabei die Gesamtsicht auf die Supply Chain?
Wirtz: Dazu müssen Sie wissen, dass wir japanischer sind als die Japaner. Unser gesamtes Produktionssystem, Materialwirtschaft ist ausschließlich Kanban gesteuert. 99 Prozent der Materialien, die wir zukaufen ist in Verträgen so gestaltet, dass die Lieferanten das Produktionsmaterial im Kanban-System anliefern. Unsere Lieferanten liegen zu 85 Prozent im deutsch-europäischen Raum und liefern in 5-7 Arbeitstagen. Aber nicht aus großen Fertigbeständen, sondern aus Halbzeugen. Wir haben ein Kanban-Regelkreis aufgebaut und letztendlich wird in der Montage, dass was gebraucht wird beim Lieferanten abgerufen und in vereinbarten Kanban Losgrößen geordert. Das ist aber nicht zentral, sondern jede Montage-Insel hat hier seinen eigenen Abruf. Die Lieferanten sind so aufgestellt, dass sie auch mit niedrigen Vormaterialbeständen auskommen und wir die Möglichkeit haben, sehr schnell auf Produktionsschwankungen und Änderungen zu reagieren ohne hohe Verschrottungen zu erzeugen.
Warum Rational seine Produktion nicht plant
Gibt es so hohe Schwankungen in der Produktion?
Haas: Im Prinzip kennt jedes Gerät, das wir bauen, seinen Kunden. Wir fertigen rein auftragsbezogen. Eine Ausnahme gibt es, wenn wir die Läger in den USA befüllen. Aber alles was sich in Europa und in einer vernünftigen Flugentfernung liegt, wird nur auf einen konkreten Auftrag eines Kunden hin innerhalb von 24 Stunden gebaut. Deshalb planen wir die Produktion in diesem Sinne nicht, sondern müssen darauf reagieren, was an Aufträgen reinkommt. Und so flexibel sind dann auch die Kanban-Abrufe.
Wirtz: Mit diesem System der Materialwirtschaft erreichen wir Umschlagshäufigkeiten größer als 35. Das ist ein sehr guter Wert, auch im Vergleich zu anderen Branchen. Und das ganz ohne zusätzliche Logistikläger wie es große OEMs machen.
Das heißt aber auch, dass sie mit Ihren Lieferanten sehr eng und direkt arbeiten müssen, oder?
Wirtz: Absolut. Dadurch, dass unsere Lieferanten den ganzen Entwicklungsprozess und den ganzen Kanban-Einsteuerungsprozess mitmachen, sind wir natürlich im ständigen Austausch. Meine Leute sind in normalen Zeiten bestimmt zwei Tage in der Woche beim Lieferanten draußen und versuchen, Verbesserungen in der Zusammenarbeit zu erreichen, auch im engen Zusammenspiel mit dem Produktions- und Lieferprozess und vor allem mit den Entwicklern.
Welche Probleme gibt es bei engen Lieferbeziehungen?
Hakt es da auch manchmal?
Wirtz: Ja, denn dort wo keine Reibung ist, ist auch keine Spannung. Man muss schauen, dass man den Spannungsbogen ein Stück weit hochhält. Natürlich sind wir vom Einkauf nach wie vor Qualitäts- und Preisgetrieben, das wird auch von uns erwartet. Und das führt dazu, dass man mal das eine oder andere anders sieht und ausdiskutiert. Aber das gehört einfach zum Geschäft. Am Ende soll ja das beste Produkt herauskommen natürlich zu vertretbaren Kosten. Und da sitzen wir alle in einem Boot. Die Herstellkosten, die wir gemeinsam erreichen, führen uns wieder zusammen.
Haas: Klar gibt es Diskussionen. Das ist auch wichtig. Das sind weniger Diskussionen wegen der Prozesse, als über den Umgang mit Lieferanten beziehungsweise wie wir Probleme mit Lieferanten in den Griff kriegen. Grundsätzlich haben wir da keine wiederstrebenden Strategien. Und manchmal haben wir das Problem, nicht immer auf die gleichen Lieferanten zuzugehen. Ein Thema ist auch, wie wir mitkriegen, was sich in der großen Welt bezüglich neuer Technologien tut, wie beispielsweise additive Verfahren, und was das für einen Einfluss auf die Art und Weise wie wir entwickeln hat und auf die Art und Weise, wie wir beschaffen.
Wenn Sie so enge Lieferbeziehungen haben, wo produzieren Sie?
Haas: Wir haben nur zwei Werke: in Landsberg am Lech stellen wir den Combidämpfer her und in Wittenheim, nahe Mühlhausen in Frankreich, produzieren wir unsere Vario-Cooking-Geräte. Das sind die die einzigen Produktionsstätten weltweit.
Warum Rational von Kanban auf "Bunkern" umstellen musste
Und Sie steuern den gesamten Einkauf von Landsberg aus?
Wirtz: Für Landsberg sitzt der Einkauf natürlich hier in der Zentrale und für das Werk Wittenheim vor Ort, wobei es natürlich etliche an Produkten gibt, die sich nur geringfügig unterscheiden, da haben wir den Lead und übergeben das dann an die Einkäufer in Wittenheim, die aber eigene Verträge machen, eine eigene Disposition und andere eigene Stückzahlen haben. Wir nutzen den ständigen Austausch um eine einheitliche Einkaufsstrategie gegenüber den Lieferanten zu fahren.
Haas: Ein Beispiel ist unsere Steuerungselektroniken. Die sind in beiden Produktreihen enthalten und werden vom Lead her in Landsberg entwickelt und werden auch in Landsberg gekauft, auch mit für die Bedürfnisse von Wittenheim.
Die Lieferketten sind bei Ihnen kurz, wie sichern Sie diese ab? Gerade in Corona-Zeiten?
Wirtz: Wir haben ein übergeordnetes Risk-Management und fragen per Katalog die wichtigsten Themen vom Lieferanten ab. Ist die Produktion eines Lieferanten neben einem Kernkraftwerk, dann muss man das wissen und entsprechend bewerten und auch Maßnahmen daraus ableiten, wie zum Beispiel einen zweiten Lieferanten aufzubauen. Aber das, was durch die Pandemie passiert ist, habe ich in meiner langen beruflichen Karriere so noch nie erlebt. Rational hat sehr schnell reagiert, nachdem es klar war, dass die Pandemie sehr große Auswirkungen auch auf die Lieferkette haben wird. Das Kanban-System wurde ausgehebelt und alles was von grenzüberschreitenden Lieferanten kommt, wurde geordert. Unsere Geschäftsführung hat ein großflächiges Lager angemietet und es zugelassen, dass wir bunkern. Das ist überhaupt nicht in unserer Philosophie und das möchten wir auch so schnell wie möglich wieder abstellen, war aber unter diesen Umständen nicht abwendbar. Und wir sind lieferfähig geblieben. Andere mussten die Produktion einstellen – wir nicht.
Haas: Beispiel Elektronik – die lassen wir zwar in Europa fertigen und sie wird auch hier entwickelt, aber natürlich sind alle Elektronikbauteile, die darin stecken, aus Asien. Da kommen sie einfach nicht dran vorbei. Auch viele Rohstoffe kommen aus Asien. Wir haben viele Edelstahlgussteile - die wurden jetzt in einer Nacht- und Nebel-Aktion umkonstruiert, um sie selbst herstellen zu können. Das ist teurer aber besser als gar nicht produzieren zu können.
Wirtz: Das bedeutet natürlich auch eine engste Zusammenarbeit. Hier musste die Entwicklung dieses Bauteil fertigungsgerecht umkonstruieren, aber wir haben parallel schon den richtigen Lieferanten dazu gefunden, der uns dann aus dieser Situation raushilft.
Vita Wolfgang Wirtz
Wolfgang Wirtz ist seit 2004 Prozessverantwortlicher für den strategischen Einkauf bei der Rational AG tätig. Der Industriefachwirt war zuvor fünf Jahre Einkaufsleiter bei Waschtec und vier Jahre Einkaufsleiter beim Komponentenhersteller Phoenix Contact.
Warum Rational auf Single Sourcing setzt
Wie frei ist die Entwicklung bei so einer engen Zusammenarbeit?
Haas: Wir stellen uns ja erstmal die Dinge vor, die wir realisieren wollen. Meist kommen die Veränderungen von der Kundennutzenseite. Wenn es Verbesserungswünsche gibt, versuchen wir diese Funktion zu entwickeln. Zum Schluss geht es nur darum, wie dies hergestellt wird und dass Preis und Qualität passen. Da gibt es wenig Reibungspunkte. Reibungspunkte gib es höchstens dann mal wenn ein Lieferant in der Belieferung gut ist, aber in der Zusammenarbeit in der Entwicklung eher schlecht – dann haben wir vielleicht eine andere Sicht als der Einkauf.
Wirtz: Wir haben uns im Einkauf Partnerpläne geschaffen, wo wir genau diese Dinge mit den Lieferanten nachgehen. Das betrifft dann nicht nur die Einkaufsprozesse, sondern auch Produktions- und Lieferprozesse und die Entwicklung. Das führt zu Themen, die dann auch bis in die Geschäftsleitung getragen werden. Da haben wir ein sehr stringentes Vorgehen. Das benötigen wir auch in Hinsicht auf unser Kanban-System. Das ist nicht für alle Zulieferer etwas. Dann nutzen wir ihn vielleicht für Entwicklungen, weil er da besonders gut ist, aber nicht für unsere Produktionsversorgung.
Dann kommt für Sie nur Single-Source in Frage?
Wirtz: Das ist in der Tat so. Dort wo wir Second-Source gehen, kommt es meist aus dem Risk Management. Wenn Risiko-Potenziale vorliegen, überlegen wir uns schon ob wir in die Second Source gehen. Aber die Produkte die wir einkaufen sind zu 90 Prozent Rational-entwickelte Produkte. So eine Entwicklung macht alleine knapp 100 Kunststoffwerkzeuge aus. So etwas zu duplizieren, das hätte ich manchmal ganz gerne, aber das wären enorme Investitionen und die Teilepriese würden steigen – das macht meist keinen Sinn.
Haas: Das liegt aber auch an unserer Größe, die ist so „in between“. Wir sind von den Stückzahlen her zu groß um zu sagen, dass Second Source kein Thema für uns ist, aber wir sind auch noch nicht so groß, dass es ohne gar nicht mehr geht. Das muss im Einzelfall entschieden werden.
Wie Rational Innovationen und Nachhaltigkeit umsetzt
Jetzt sind Ihre Produkte seit Jahren außerordentlich erfolgreich. Welche Innovationen sind da noch möglich?
Haas: Das Kochen hat sich die letzten 100 Jahre stark verändert. Natürlich ist unser Combidämpfer immer noch ein Combidämpfer. Aber er ist natürlich in Funktionalität, in der Präzision, in der Leistungsfähigkeit und der Intelligenz brutal vorangekommen. Innovation ist für uns ein erhöhter Kundennutzen. Das sind manchmal gar nicht so die ganz großen Schritte. Aber die Leute, die die Geräte bedienen, sind immer mehr ungelernte Leute. Das heißt, die Intelligenz die vorher vor dem Gerät stand in Form eines gelernten Kochs, muss heute im Gerät sein. Wir müssen sozusagen eine Art „Geling-Garantie“ bieten. Das ist glaube ich das wo unser Vorteil gegenüber von Wettbewerbern ist, das ist unser primäres Know-how. Das können unsere jetzigen Geräte schon. Und über weitere Entwicklung sprechen wir bei Rational nie, bevor wir diese in den Markt bringen.
Wie spielen Nachhaltigkeitsaspekte die bei Ihnen eine Rolle?
Haas: Der gesellschaftliche Druck nimmt zu. Und wir machen einfach bestimmte Dinge nicht. Wir versuchen beispielsweise möglichst keine Verbundwerkstoffe zu nutzen. Allein dadurch, dass wir unsere Geräte auf 10 Jahre Lebensdauer in einem robusten Betrieb auslegen – damit haben wir schon den ersten Aspekt der Nachhaltigkeit. Wir reduzieren die Energieverbräuche, wir reduzieren die Wasserverbräuche, wir reduzieren die Chemieverbräuche in jeder Generation deutlich – das sind Instrumente der Nachhaltigkeit, die wir sehr ernst nehmen.
Wirtz: Es ist natürlich auch so, dass wir in alle Ländern dieser Erde Geräte liefern und diese haben auch alle Zulassungsbestimmungen. Das wiederum führt dazu, dass wir gar keinen Kompromiss machen können. Dass wir ständig Materialien einsetzen, die diesen Länderzulassungen auch entsprechen. Hinzu kommt auch noch Reach: Wir nutzen keinerlei Stoffe, die in diesen Bereich reinfallen. Das nehmen wir so ernst, dass wir hier einen externen Dienstleister haben, der diese Dinge auch bei den Lieferanten für uns nachhält bis ins letzte Glied überprüft. Das ist eine sehr aufwändige Geschichte…
Vita Michael Haas
Michael Haas ist seit 2016 Executive Vice President der Rational F&E GmbH im bayerischen Landsberg am Lech. Zuvor war der diplomierte Maschinenbauingenieur in verschiedenen Positionen unter anderem bei der Erwin Behr GmbH, bei Electrolux oder der B/S/H tätig.
Warum eine geringe Fluktuation auch ein Fluch sein kann
Das heißt ihre Lieferkette ist bis zum Letzten transparent?
Haas: Ja, das muss sie auch sein. Ein ganz triviales Beispiel: Man hat die Verwendbarkeit von Blei in allen möglichen Werkstoffen nahezu auf null gefahren. So müssen wir schauen, ob irgendeine Messingschraube, die in einem Ventil eingebaut ist, nicht doch noch eine Bleibelastung aufweist. Und da der Ventilhersteller diese auch einkauft, muss alles überprüft werden. Da gehen wir schon sehr tief in die Lieferkette rein, um die gesetzlichen Anforderungen auch sicher zu stellen.
Wirtz: Jetzt könnte man natürlich glauben, was die Lieferanten uns sagen. Damit sind wir aber noch nicht zufrieden. Wir holen uns einzelne Produkte raus und lassen diese von einem externen Institut untersuchen. Ich glaube, mehr geht nicht.
Wenn Sie sich für die Zukunft etwas wünschen würden, wäre das…
Wirtz: Wenn ich mir etwas wünschen könnte, dann wären das noch mehr Spezialisten mit noch tieferem Wissen. Sowohl auf der Einkaufsseite wie auf der Entwicklungsseite. Ich würde mir wünschen, dass wir noch mehr mit den Lieferanten zusammenarbeiten und dass hier die Technologien bei unseren Zulieferern noch besser aufgesaugt werden, als das heute schon ist.
Haas: Für mich ist die Herausforderung, dass wir kaum Fluktuation haben. Das spricht auf der einen Seite für das Unternehmen, führt aber auf der anderen Seite dazu, dass viele nur die Rational-spezifischen Technologien und Herangehensweisen kennen. Ich würde mir da mittelfristig eine stärkere Kombination aus erfahrenen Leuten, die auch schon mal in anderen Bereichen gearbeitet haben, zu der Loyalität dem Arbeitgeber gegenüber wünschen. Manchmal ist es Segen und auch Fluch, dass eine Firma so einen guten Ruf hat!