Katharina Weber und Philippe Gillen, NAGKatharina Weber und Philippe Gillen,NAG
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Trumps Zollentscheidungen treiben einen Keil zwischen die USA und Europa.(Bild: marog-pixcells - stock.adobe.com)
Ohnmächtig Trumps Zöllen ausgeliefert? Nein, Unternehmen können bei Handelshemmnissen eine offensive Einkaufsstrategie fahren – mit Hilfe von KI. Drei Beispiele aus der Praxis zeigen.
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US-Präsident Donald Trump hält die Unternehmen in Atem, seit er am so genannten Liberation Day Anfang April die Zölle auf Waren der meisten Handelspartnern um zweistellige Prozentzahlen anhob. „Wir erleben einen Epochenwandel in der Weltwirtschaft“, sagt Moritz Schularick, Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft. Trump will durch Strafzölle Industriearbeitsplätze zurück in die Vereinigten Staaten holen, um das chronische Handelsbilanzdefizit der USA zu beseitigen und Amerika ‚great again‘ zu machen.
Trumps Zölle beeinflussen Einkauf
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Als die Börsen weltweit auf Talfahrt gingen, setzte er die Anordnung für 90 Tage aus. Anfang August läutete er dann per Dekret die zweite Runde seiner Zollpolitik ein. Für die Länder der Europäischen Union, Japan und Südkorea gelten nun 15Prozent, für Taiwan 20, China 30, Kanada 35, die Schweiz 39Prozent. Zusätzlich zu den reziproken Zöllen erheben die USA noch Sonderzölle wie etwa 50Prozent auf Stahl und Aluminium. Wobei alle diese Zahlen nicht in Stein gemeißelt sind. Denn Trump nutzt Zölle auch zur Bestrafung von Ländern, die sich nicht seinem Willen beugen, etwa Brasilen, dem er einen Zusatzzoll von 40Prozent aufdrückte.
Trumps willkürliche Zollpolitik beeinflusst die preisliche Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen sowohl auf der Einkaufs- wie auf der Vertriebsseite und macht die an sich schon komplexe Situation für viele noch komplizierter. Viele Manager sehen in dieser Situation nur die eigene Betroffenheit in Form von höheren Kosten auf der Einkaufs- und Vertriebsseite und reagieren darauf rein defensiv mit Kostensenkungen. Was sie übersehen: Diese Entwicklung bietet auch Chancen. Denn zugleich verändert sich ja auch die Lage der Lieferanten, Konkurrenten und Kunden. Daraus ergeben sich häufig neue Spielräume für Verhandlungen beispielsweise mit den chinesischen Lieferanten von Vorprodukten, die unter Druck geraten, oder mit Kunden, weil Konkurrenten an preislicher Wettbewerbsfähigkeit verlieren.
Import von Stahlblech aus China
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Ein deutscher Hersteller von Labor- und Analysegeräten importiert als Vorprodukt pulverbeschichtetes Stahlblech aus China, die zugehörige Elektronik montiert er in der EU und liefert das fertige Gerät auch in die USA. Früher war der Export in die USA weitgehend zollfrei. Jetzt werden Produkte mit chinesischem Ursprung mit einem Zoll von 30Prozent belegt, während auf Waren mit EU-Ursprung nur 15Prozent anfallen. Der höhere Zoll für Produkte aus China bleibt trotz der Weiterverarbeitung in Europa anteilig bestehen, dies muss das Unternehmen einkalkulieren.
Was tun? In dieser Situation konnte dem Unternehmen mit Hilfe von zwei aufeinander abgestimmten Software-Tools auf Basis künstlicher Intelligenz schnell eine Lösung präsentiert werden. Die erste Komponente des Tools stellt eigenständig alle verfügbaren Informationen aus Datenbanken und Webseiten zusammen, um den Impact der Zölle auf die eigenen Preise, die der Lieferanten und die der Wettbewerber zu untersuchen. Auf dieser Basis lassen sich über die zweite Toolkomponente dann mögliche Szenarien analysieren, um die beste Lösung für eine ganzheitliche Zollstrategie für Einkauf und Vertrieb herauszufiltern.
In diesem Fall identifizierte die KI einen alternativen Anbieter in Osteuropa. Mit dem Konkurrenzprodukt konfrontierte der Einkauf dann den chinesischen Lieferanten, um ihn zu Preisnachlässen zu bewegen. Und der Vertrieb bot seinen US-Kunden an, sie entweder mit dem nun ausschließlich in der EU produzierten Gerät mit leicht anderem Design und geringeren Zollkosten zu beliefern. Oder die bisherige Produktvariante mit chinesischem Ursprung beizubehalten, aber auf Basis eines ‚Pain-Share‘-Preismodells zur anteiligen Abdeckung der Zollmehrkosten. So konnte sich der deutsche Hersteller seinen Kunden in den USA als flexibler Anbieter trotz der gewachsenen geopolitischen Unsicherheit präsentieren. Und langfristig gewinnt er durch den Aufbau eines zweiten Lieferanten mehr Versorgungssicherheit.
Ein deutscher Automobilzulieferer exportiert Getriebegehäuse aus Aluminium für einen großen Automobilhersteller in den USA. Dazu importiert er Gussrohlinge aus China, die er in Europa weiterverarbeitet. Vor Trumps ‚Tag der Befreiung‘ konnte das Unternehmen die Gussrohlinge kostengünstig aus China importieren und die fertigen Getriebegehäuse zollneutral in die USA exportieren. Inzwischen hat sich die Wettbewerbslage durch die neuen Zölle grundlegend geändert. Autos und Autoteile mit EU-Ursprung werden nun mit 15 Prozent US-Zoll belastet. Auf Aluminiumteile erheben die USA generell einen Zoll von 50Prozent, auf Produkte aus China zusätzlich 30Prozent.
Die Lösung mit Hilfe der KI: Durch die kumulierten Zölle geraten die chinesischen Lieferanten unter starken Preisdruck, was sich kurzfristig als Hebel in Einkaufsverhandlungen nutzen lässt. Mittelfristig ist jedoch dem deutschen Getriebegehäuse-Hersteller eine Dual-Sourcing-Strategie mit Gießereien innerhalb der EU zu empfehlen. Denn der 15-prozentige US-Zoll für Getriebegehäuse aus Europa ist erheblich geringer als der kumulierte Zoll für entsprechende Teile mit Vorprodukten aus China.
Der Vertrieb des deutschen Herstellers kann zudem Kunden den Vorteil anbieten, den Kosteneffekt durch die höheren Zölle zu teilen (‚Pain Share‘) – wenn sie eine feste Abnahmemenge zusichern. Langfristig garantiert jedoch nur die Fertigung vor Ort in den USA die Vermeidung von Zöllen und damit eine stärkere Verhandlungsposition gegenüber US-Autokonzernen.
Dieser Kunde importierte leere Hartgelatine-Kapselhüllen bisher zu wettbewerbsfähigen Preisen zuverlässig und ausschließlich aus China zur Herstellung generischer Arzneimittel, die er in einem Werk in der EU befüllt und zu einem Großteil anschließend in die USA exportiert.
Schon vor Trumps ‚Liberation Day‘ galt für den Import chinesischer Kapselhüllen ein Section-301-Zoll, mit dem die USA vermeintlich unfaire Handelspraktiken bestrafen und der bei pharmazeutischen Zwischenprodukten 25Prozent beträgt. Dennoch waren die China-Kapseln preislich konkurrenzfähig. Mit Trumps ‚Reciprocal Tariffs‘ kommt jedoch ein zusätzlicher Zoll von 30Prozent hinzu, so dass die Gesamtzollbelastung auf 55Prozent steigt.
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Demgegenüber fallen bei Importen von Kapselhüllen aus der EU keine Section-301-Zölle an, sondern ‚nur‘ der allgemeine Zolltarif von 30Prozent. Die EU-Kapseln sind aber teurer in der Beschaffung. Die KI identifizierte zwei alternative Anbieter in der EU und schlug als optimale Einkaufsstrategie vor, den chinesischen Lieferanten mit den europäischen Konkurrenzangeboten zu konfrontieren und so zu Preisnachlässen zu bewegen. Die Dual-Source-Strategie würde zudem die Abhängigkeit von China verringern und langfristig die Verhandlungsmacht des Einkaufs vergrößern.
Fazit: Strategisch verhandeln ist angesagt
In dieser von Unsicherheit und schnellen Veränderungen gekennzeichneten Situation ist es entscheidend zu wissen, welche Produkte, Lieferanten und Kunden in welchem Ausmaß von Zöllen betroffen sind, wie sich die Wettbewerbslage verändert und welche Hebel sich daraus für die Verhandlungen mit Lieferanten und Kunden ergeben. Strafzölle sollten insofern mehr sein als nur ein Beschaffungsthema, sondern Anlass zu strategischen Verhandlungen.
Die Autoren
Katharina Weber ist CEO der Negotiation Advisory Group (NAG), Europas führender Verhandlungsberatung. Dr. Philippe Gillen ist Head of Data Science der NAG und Professor für Quantitative Methoden in der Wirtschaft an der CBS University of Applied Sciences in Köln.
Die Negotiation Advisory Group (NAG), ist eine europäische Verhandlungsberatung. Gegründet 2018 hat die NAG Erkenntnisse der Spieltheorie und der Verhaltensökonomie, von Psychologie und Data Science sowie den Erfahrungen aus der eigenen Praxis zu einem System of Negotiation verdichtet, das optimale Verhandlungsergebnisse ermöglichen soll. Die NAG hat mit inzwischen 50 internationalen Expertinnen und Experten mehr als 2.900 Verhandlungsprojekte durchgeführt und mehr als 27 Milliarden Euro verhandeltes Volumen pro Jahr. Zu ihren Kunden zählen internationale Konzerne sowie große mittelständische Unternehmen.
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