Die Dekarbonisierung der Industrie ist ohne Maßnahmen der Stahlbranche nicht möglich. Das Endprodukt Stahl enthält als Werkstoff einen sehr großen Teil der sogenannten grauen Energie (engl. Embodied Energy) und damit hat fast jedes Produkt, das Stahl enthält, automatisch einen hohen CO2-Footprint, wenn man die gesamte Lieferkette im Blick hat. Um dies zu ändern, ist es so wichtig, dass Stahlhersteller und Stahleinkäufer gemeinsam auf nachhaltigere Herstellungsverfahren setzen.
Viele Unternehmen berichten bereits über direkte Emissionen, aber es wird in der Zukunft immer wichtiger, alle anderen indirekten Emissionen aus der Wertschöpfungskette eines Unternehmens zu reduzieren. Zur Berechnung der gesamten CO2-Emissionen entlang der Lieferkette ist es unerlässlich, die CO2-Auswirkung der vorangegangenen Schritte zu kennen – und deshalb werden produktspezifische Informationen benötigt.
Transparente Zahlen beim Produkt
Um seinen Kunden bei der Verringerung ihrer Kohlendioxid-Emissionen zu unterstützen, bietet der Edelstahlhersteller Outokumpu einen produktspezifischen Product Carbon Footprint für seine Edelstahlprodukte. Dies hilft seinen Kunden sowohl in Bezug auf deren Reduktionsziele als auch den langfristigen Klimazielen und der Nachhaltigkeitsstrategie von Outokumpu. „Wir sind als Anbieter von nachhaltigem Edelstahl ein Vorreiter, der die gesamte Branche mitzieht. In einer Zeit, in der die Kunden immer mehr auf Emissionsreduktionen achten, verlangen sie auch genauere Informationen zum Product Carbon Footprint der Produkte und Lösungen. Wir freuen uns, dass wir der erste Edelstahlhersteller sind, der diese Informationen für die in unseren Werken in Europa hergestellten Produkte zur Verfügung stellt. Jetzt können unsere Kunden die Daten nutzen, um den CO2-Fußabdruck ihrer Produkte zu berechnen und dem Markt nachhaltigere Lösungen anbieten“, erklärt Stefan Erdmann, Chief Technology Officer & Group Sustainability bei Outokumpu.
Das Besondere an dem von Outokumpu verwendeten Berechnungsmodell ist die kontinuierliche Nachverfolgung der Produktionsdaten. „Neben dem Kundennutzen bringt der produktspezifische CO2-Fußabdruck vollständige Transparenz in die Nachhaltigkeitsarbeit von Outokumpu“, so Erdmann weiter.
Auch die Swiss Steel Group (SSG) beschreitet den Weg zur klimaneutralen Stahlproduktion und lancierte mit Green Steel eine Offensive für ökologisch produzierten, CO2-armen Stahl. Entscheidend ist, dass alle Maßnahmen koordiniert und öffentlich nachvollziehbar sind. Green Steel ist deshalb nicht nur ein Instrument, das hilft, die Emissionen des Konzerns schrittweise und systematisch zu reduzieren. Es soll Kunden und Partner unterstützen und sie anspornen, mehr zur Milderung des Klimawandels zu tun. Die Swiss Steel Group produziert Stahl ausschließlich mit der Lichtbogenofentechnologie sowie recyceltem Schrott im Rahmen der Kreislaufwirtschaft. Daraus resultiert ein Produktangebot um 78 Prozent verringerten CO2-Emissionen als der Branchendurchschnitt.
Welche Green Steel-Projekte planen Tata Steel und Salzgitter?
Tata Steel Nederland hat mit Zeremis Carbon Lite einen CO2-armen Stahl auf den Markt gebracht. Die geringere CO2CO2-Intensität basiert auf den CO2-Einsparungen, die Tata Steel Nederland seit 2018 erzielt hat und wurde von der unabhängigen Zertifizierungsstelle DNV bescheinigt. Tata Steel arbeitet seit vielen Jahren an der Reduzierung seiner CO2-Emissionen. Dadurch ist das Stahlwerk in IJmuiden bereits heute eines der CO2-effizientesten weltweit: die CO2-Intensität des in IJmuiden produzierten Stahls liegt rund sieben Prozent unter dem europäischen und fast 20 Prozent unter dem weltweiten Durchschnitt.
Tata Steel arbeitet daran, seine Umweltauswirkungen noch weiter zu minimieren und möchte so schnell wie möglich auf die Herstellung von grünem Stahl in einer sauberen Umgebung umsteigen. Deshalb wurden mit drei Unternehmen – McDermott, Danieli und Hatch – Verträge über die weitere technische Vorbereitung der Wasserstoffroute unterzeichnet. Die Kosten für diesen ersten Entwicklungsschritt belaufen sich auf über 65 Millionen Euro und münden in ein Engineering-Paket, das die Grundlage für eine finale Genehmigungs- und Projektplanung bildet. „Wir haben kürzlich Vereinbarungen über unsere Zukunft mit zwei Ministerien und der Provinz Nordholland unterzeichnet. Dabei haben wir uns verpflichtet, bis 2045 CO2-neutral zu sein und bis 2030 zwischen 35 und 40 Prozent weniger CO2 auszustoßen. Dies wird in erster Linie über die Wasserstoffroute erreicht, wo die Hochöfen durch moderne saubere Stahlerzeugungstechnologie ersetzt werden, die Wasserstoff oder Gas anstelle von Kohle verwendet“, erklärt Hans van den Berg, CEO von Tata Steel Nederland.
Die Umstellung auf grünen Stahl ist die größte Veränderung in der über 100-jährigen Geschichte des Unternehmens. „Was wir tun, ist eine komplizierte und einzigartige Operation“, erklärt Annemarie Manger, Sustainability Director von Tata Steel. „Die neuen Anlagen werden auf unserem Gelände gebaut, während alle aktuellen Anlagen in Betrieb bleiben, bis die neuen Anlagen anlaufen.“ Dazu gehört auch eine Vereinbarung mit dem nationalen Netzbetreiber TenneT über einen direkten Anschluss an das nationale Stromnetz, um künftig grünen Strom nutzen zu können.
Auch die Salzgitter AG setzt auf ein Transformationsprogramm: Mit SALCOS – Salzgitter Low CO2 Steelmaking – wird der Salzgitter-Konzern seine Stahlherstellung schrittweise auf wasserstoffbasierte Verfahren umstellen. Ziel ist eine nahezu CO2-freie Produktion ab 2033. Schon jetzt produziert der Salzgitter-Konzern kohlendioxidarme Stahlprodukte auf der schrottbasierten Elektrostahl-Route. Ulrich Grethe, Vorsitzender der Geschäftsführung Salzgitter Flachstahl: „Der Salzgitter-Konzern arbeitet eng mit Kunden und Partnern bei der Erreichung der Klimaziele zusammen – getreu unserer strategischen Mission Partnering for Transformation.“
Einer dieser Kunden ist das Stahl-Service-Center Stahlo. Das zur Friedhelm Loh Group gehörende Unternehmen hat eine Partnering-Vereinbarung über die Lieferung grünen Stahls geschlossen, welcher ab Ende 2025 im Rahmen durch SALCOS produziert und geliefert werden wird. „Sehr viele unserer Kunden verfolgen eine Dekarbonisierungs-Roadmap, die in den nächsten Jahren die Einsparungen in konsequenten Schritten beschreibt. Unser Ziel ist es, sie beim Erreichen ihrer CO2-Optimierungen in der Stahlbeschaffung für die nächsten Jahre und bei der Erfüllung der vorgelagerten Scope-3-Anforderungen zu unterstützen“, sagt Oliver Sonst, Geschäftsführer von Stahlo.
Exklusiv-Interview: Wilfred Geerlings, Tata Steel Nederland über Green Steel
TECHNIK+EINKAUF: Herr Geerlings, Tata Steel will so schnell wie möglich auf die Herstellung von grünem Stahl umsteigen. Wo gibt es da noch Probleme?
Technologisch gibt es eigentlich keine Schwierigkeiten. Bei der DRI-Technologie werden die Eisenerze direkt mit Erdgas oder Wasserstoff anstatt mit Kohle reduziert. Es ist eine Technologie, die es schon seit 50 bis 60 Jahren gibt, aber ein Hochofen mit Kohle zu betreiben ist effizienter und wurde deshalb bisher genutzt. Was neu ist, das ist der Einsatz von Wasserstoff im industriellen Maßstab. Die Herausforderung dabei ist, woher wir den grünen Wasserstoff bekommen, den wir auch schon vor 2030 brauchen. Das ist die große Frage. Jetzt liegen wir mit unserem Werk in IJmuiden nahe der See und da wäre es eine gute Idee, diesen Standortvorteil zu nutzen. Deshalb laufen Planungen um 21 Gigawatt an grüner Energie mit einem Windpark in der Nordsee bis 2030 zu erzeugen, um auch grünen Wasserstoff herzustellen. Bis 2050 sollen es dann 70 Gigawatt sein, wovon Tata Steel einen kleinen Anteil benötigt. Da sind wir dran alle nötigen Genehmigungsverfahren jetzt abzuschließen.
Wie wird das Projekt bei Ihnen abgewickelt und welche Lieferanten sind mit im Boot?
Bei der Umstellung auf grünen Stahl handelt es sich um die größte Veränderung in der über 100-jährigen Geschichte von Tata Steel Nederland. Wir drehen unsere gesamten Anlagen und Prozesse auf links. Das Gesamtprojekt wird daher von einem internen Projekt- und Nachhaltigkeitsteam mit enger Unterstützung der wichtigsten Lieferanten umgesetzt. McDermott ist verantwortlich für den konstruktiven Input und die Unterstützung des technischen Projektmanagements. Danieli ist verantwortlich für das technische Design der Anlage, die das reduzierte Eisen (DRI) liefert, den 1. Schritt im Eisenherstellungsprozess. Hatch ist der Technologielizenzgeber der Elektroöfen (SAF), die den DRI schmelzen. Die beiden Anlagen sind eng miteinander verknüpft und bilden ein integriertes Produktionssystem, dass in der Lage sein wird, alle Stahlqualitäten zu produzieren.
Ändert das Projekt ihre bisherigen Ausstöße?
Was CO2-Ausstöße angeht, absolut ja. Unsere Strategie sieht vor, bis 2030 40 Prozent weniger auszustoßen und 2045 klimaneutral zu sein. Was die Produktionskapazität angeht, wollen wir jedoch auf derzeitigem Niveau bleiben. Wir produzieren in IJmuiden sieben Millionen Tonnen Stahl pro Jahr und dieser Prozess muss am Laufen bleiben, während wir die neuen Anlagen bauen. Wir erwarten, dass im Jahr 2026/27 circa 3.000 Mitarbeiter unsere alten Anlagen fahren und zur gleichen Zeit 2.000 Mitarbeiter sich um die Installation der neuen Anlagen kümmern. Es ist ein richtig großes Projekt und wir sind hochmotiviert dieses anzugehen. Wir gehören zu den ersten, die solche Maßstäbe und ein paralleles Vorgehen planen, aber ich bin mir sicher, dass die Wettbewerber in Europa auch bald nachziehen werden.
65 Millionen Euro sind eine immense Investition. Das ist ein gewaltiger Schritt in eine nachhaltigere Zukunft…
Der große Vorteil den wir als Stahlindustrie haben ist, dass Stahl auch zukünftig gebraucht wird. Unser Produkt steht nicht infrage. Das ist anders als etwa bei Erdöl, wo wir das fossile Zeitalter gänzlich hinter uns lassen wollen. Wir müssen nur eine andere Art und Weise finden Stahl zu produzieren. Ausschließlich Recycling, sprich sekundäre Stahlerzeugung, reicht nicht um die Stahlnachfrag zu decken. Daher wollen wir die primäre Stahlerzeugung sauber und umweltfreundlich aufstellen. Die zwölf Millionen Tonnen CO2, die wir pro Jahr ausstoßen, sind 8 Prozent vom totalen CO2-Ausstoß der Niederlande. Auch weltweit hochgerechnet sind die CO2-Ausstöße von Stahlherstellern ungefähr acht Prozent. Das ist viel, aber wenn man das löst, sind wir schon einen großen Schritt weiter.
Tragen Ihre Kunden den höheren Preis mit?
Ganz klar ja. Natürlich haben wir den Business Case auf der Grundlage der Bedürfnisse unserer Kunden aufgesetzt. Diese haben sich alle große Nachhaltigkeitszeile gesetzt. BMW beispielsweise will bis 2050 CO2 neutral sein. Das meint, dass sie dann auch den Stahl 100 Prozent grün einkaufen müssen, sonst erreichen sie ihr Ziel nicht. Unsere Berechnungen ergeben, dass es im Jahr 2030 eine Nachfrage nach 40 Mio Tonnen Stahl mit niedrigerem CO2-Ausstoß geben wird. Und das ist 30 bis 35 Prozent des totalen Marktes in Europa. Das ist auch die Größenordnung, die in Paris beim Klimaabkommen festgelegt wurde.
Im Juli 2022 haben wir etwa unsere Marke Zeremis, kurz für „zero emission“, eingeführt. Diese steht für unseren Weg, bis 2045 CO2-neutral zu werden. Für Kunden, die schon jetzt aktiv werden möchten, bieten wir seitdem Zeremis Carbon Lite an. Dieser CO2-reduzierte Stahl ist aktuell teurer, weil hier viele Investitionen hinter stehen. Nichtsdestotrotz kommt er bei unseren Kunden gut an.
Wird dann überhaupt genügend grüner Stahl verfügbar sein?
Zwischen 2027 und 2032 erwarten wir eine größere Nachfrage als dass es Angebote geben wird. Deshalb haben viele Kunden eher Befürchtungen, dass sie nicht genügend grünen Stahl bekommen, um ihre Ziele zu erreichen. Wir sind mit unseren Kunden in Kontakt, um gemeinsame Strategien zu erarbeiten und den nachgefragten grünen Stahl zu liefern. Kunden können jetzt schon Volumina reservieren, damit sie sicher planen. Wir nennen es Off-Take-Agreements, also Abnahmevereinbarungen. Das ist eher neu beim Stahleinkauf. Normalerweise wird Stahl nach Bedarf in kurzen Zyklen eingekauft. Aber bei solchen Projekten brauchen wir einander. Wenn wir wissen, dass wir genügend Abnehmer haben, ist das für unsere Investoren das richtige Signal, um in diesem Sektor zu investieren.
Wo wird der Preis des grünen Stahls liegen?
Am Anfang wird es eine Periode geben, wo der Preis für grünen Stahl höher liegen wird als die tatsächlichen Kosten, weil mehr Nachfrage als Angebot besteht. Je mehr Kapazitäten an grünem Stahl aufgebaut werden, umso mehr wird sich der Preis am Markt wieder selbst regeln. Im Endprodukt rechne ich damit, dass ein Auto aus grünem Stahl künftig 300 Euro teurer sein wird und eine Waschmaschine so um die 30 Euro. Und wie man das dann verteilt in der ganzen Supply Chain, das ist die nächste Frage.
Was ist dann mit den nicht grünen Stahlangeboten aus dem Weltmarkt?
Da sehe ich ein großes Problem für den europäischen Stahlmarkt. Wir gehen in Europa viel schneller mit der Dekarbonisierung voran als in den anderen Teilen der Welt. Deshalb ist der CBAM, der Carbon Border Adjustment Mechanism, so wichtig. Wenn wir grünen Stahl in Europa herstellen, dann darf es nicht so sein, dass dreckiger Stahl aus den anderen Teilen der Welt ohne Kostennachteile nach Europa kommt. Wir bezahlen schließlich auch ETS-Kosten – Chinesischer Stahl etwa bezahlt das nicht. Man muss Europa als nachhaltigen Produktionsstandort unterstützen. Nur so können wir als europäischer Stahlhersteller unsere Investitionen zu schützen.
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