Ohne Wasserstoff wäre der Adler nie gelandet. Bevor US-Astronaut Neil Armstrong seine Landung auf dem Mond am 21. Juli 1969 mit den Worten „The eagle has landed“ an das Kontrollzentrum der NASA in Houston melden konnte, hatten ihn 2.657 Tonnen Wasserstoff über die 384.400 Kilometer lange Strecke von Cape Canaveral zu dem Erdtrabanten befördert. Der Energiegehalt in den Treibstofftanks der Saturn-V-Rakete hätte gereicht, um mehr als 37.000 deutsche Zwei-Personen-Haushalte das ganze vergangene Jahr lang mit Strom zu versorgen.
Kraftstoff für die Klimawende
Da Wasserstoff pro Kilogramm Gewicht einen höheren Brennwert hat, als andere Gase, gilt er in der Raumfahrt schon seit Beginn der 60er Jahre als Treibstoff der Zukunft. Heute setzen viele Wissenschaftler auch beim Klimaschutz auf ihn.
Nicht ganz zu Unrecht. Wasserstoff ist nicht nur das leichteste und einfachste chemische Element des Periodensystems sondern auch das im Universum am häufigsten anzutreffende. Drei Viertel der bekannten Materie bestehen aus ihm.
Unerschöpflicher Energiespeicher
Wasserstoff kann daher theoretisch in unendlichen Mengen gewonnen werden, über die Erzeugung mittels Power-to-Gas. Zugleich lassen sich Stromüberschüsse, die Windräder und Photovoltaikanlagen an besonders sonnigen und windreichen Tagen produzieren, in Form von regenerativ erzeugtem H2 speichern.
Als Gas oder verflüssigt können Lkw, Pipelines und Tankschiffe den Rohstoff dann an fast jeden Ort der Erde transportieren. Dort lässt er sich zu synthetischen Kraftstoffen, Methan oder Methanol weiterverarbeiten. Das Gas befeuert Gebäudeheizungen, in Blockheizkraftwerken erzeugt es Strom.
Hoffnungsträger für die Industrie
Manager energieintensiver Unternehmen versuchen zudem, ihre Kohlendioxidemissionen zu senken, indem sie Anlagen mit Wasserstoff betreiben. So will der Stahlkonzern Salzgitter mit Wasserstoff aus eigenen Elektrolyseuren jedes Jahr zwei Millionen Tonnen Co2 einsparen.
Im Hamburger Hafen baut Siemens derzeit die weltweit größte Anlage für die Wasserstoff-Elektrolyse. Sie soll grünen Strom aus norddeutschen Windparks nutzen und die Stahl- und Aluminiumwerke in der Nähe des Hafens mit dem Rohstoff versorgen.
Der Autohersteller Toyota will bis 2050 CO2-frei produzieren. In Pilotprojekten befeuern die Japaner schon heute Hochöfen mit Wasserstoff. Auch Thyssenkrupp hat seinen ersten Hochofen in Duisburg auf Wasserstoff umgerüstet.
Asiaten haben bei Brennstoffzellen-Pkw die Nase vorn
Bei dessen Nutzung als Kraftstoff in E-Autos und Lkw haben sie ohnehin die Nase vorn. Toyotas Modell „Mirai“ ist neben dem „Nexo“ des südkoreanischen Autobauers Hyundai der einzige frei bestellbare Brennstoffzellen-Pkw.
Daimler verkauft sein Modell „GLC F-Cell“ bislang nur an Unternehmen, Behörden und Ministerien. Privatkunden können das Fahrzeug nur leasen.
Volkswagen verpennt den Einstieg in die Zukunftstechnologie komplett. Konzernchef Herbert Diess setzt ausschließlich auf batteriegetriebene E-Autos. Hyundai will dagegen bis 2030 jedes Jahr 500.000 Brennstoffzellen für Pkw-Motoren bauen. Das Problem: Noch ist das Netz an Wasserstoff-Tankstellen sehr überschaubar.
Klimaschutz im Schwerlastverkehr
Auch bei Brennstoffzellen-Lkw liegen Asiaten und Amerikaner besser im Rennen. Die Häfen von Los Angeles und Long Beach erproben Wasserstofflaster von Toyota auf deren Alltagstauglichkeit.
In der Schweiz lässt Hyundai 1.000 Brennstoffzellen-Trucks im Testbetrieb laufen. Kommendes Jahr will US-Startup Nikola in Nordamerika die ersten Laster mit Wasserstoffantrieb an Spediteure verkaufen. Tesla plant, im Jahr darauf mit einem eigenen Modell nachziehen.
Öffentlicher Nahverkehr investiert 1,8 Milliarden Euro in Brennstoffzellenantriebe
Beim öffentlichen Nahverkehr macht der französische Bahnkonzern Alstom der Zugsparte von Siemens Konkurrenz. Zwischen Cuxhaven, Buxtehude, Bremen, und Bremerhaven fährt seit vergangenem Jahr der erste Wasserstoffzug der Franzosen. Allerdings: Bis 2023 will auch der Verkehrsverbund des Großraums Frankfurt 27 solcher Bahnen in Betrieb nehmen. Insgesamt wollen 90 europäische Städte in den kommenden fünf Jahren 1,8 Milliarden Euro für Brennstofzellenzüge und -busse ausgeben, ergab eine Studie der Unternehmensberatung Roland Berger.
96 Prozent des Wasserstoffs schaden dem Klima
Das heißt jedoch nicht, dass der Personennahverkehr in Europa künftig keine Treibhausgase mehr verursacht. Denn Wasserstoff kann mit grüner Energie hergestellt werden. Er lässt sich aber auch mit fossilen Brennstoffen produzieren.
Klimaschonend entsteht er nur bei der elektrolytischen Spaltung von Wasser in Wasser- und Sauerstoff – sofern der dazu benötigte Strom aus erneuerbaren Energiequellen stammt. Nur vier Prozent des weltweit produzierten Wasserstoffes entstehen so, ganze 96 Prozent dagegen durch die Vergasung von Kohle, die Oxidation von Erdöl oder -gas sowie durch die Reformierung von Methan.
So viel Co2-Emissionen wie Großbritannien und Indonesien
Etwa die Hälfte der weltweiten Wasserstoffproduktion setzt auf Methanreformierung. Ganze sechs Prozent des weltweit gewonnenen Erdgases und zwei Prozent der abgebauten Kohle nutzen Bergbau- und Mineralölkonzerne zur Produktion von Wasserstoff. Dessen Herstellung verursacht daher 830 Millionen Tonnen Kohlendioxid – so viel wie Großbritannien und Indonesien in einem Jahr ausstoßen.
Klimabilanz von Wasserstoff könnte sich bis 2050 verschlechtern
Wenn Unternehmen und der Verkehrssektor künftig mehr Wasserstoff verbrauchen, könnte sich dessen Klimabilanz sogar noch verschlechtern. Zum einen ist das zur Gewinnung des Elements benötigte Erdgas im Nahen Osten, Russland und den USA günstig. Dort gibt es aber kaum Vorschriften zum Schutz des Klimas.
Zum anderen wird die globale Wasserstoffproduktion bis 2050 massiv zunehmen. Seit 2005 ist sie um ein Drittel auf heute rund 60 Millionen Tonnen angestiegen. Bis 2026 könnte sie sich verdoppeln, erwartet die Energy Transitions Commission (ETC), ein von Shell und McKinsey gegründeter Think Tank. Bis 2050 wird sich die Produktion dann gegenüber heute auf weltweit 650 Millionen Tonnen mehr als verzehnfachen, so die ETC.
Der grüne Strom reicht nicht
Solche Mengen Wasserstoff lassen sich mit erneuerbaren Energien nicht herstellen. Schon heute würde die Produktion des Kraftstoffs 3600 Terawattstunden grünen Strom erfordern. In Deutschland erzeugten Windräder, Solar- und Biomasseanlagen sowie Wasserkraftwerke dem Bundeswirtschaftsministerium zufolge 2018 gerade mal 218 Terawattstunden Strom. Für den Aufbau einer klimaschonenden Wasserstoffwirtschaft müssen also noch zahlreiche neue Wind- und Solarparks gebaut werden.
Windkraftanlagen für die Wasserstoffwirtschaft
Bevor sich dies für ihre Betreiber lohnt, müssen die Technologien zur Nutzung erneuerbarer Energien sowie von Wasserstoff effizienter werden. So braucht es mehr Windkraftanlagen, die Strom sowohl ins Netz einspeisen als auch zur Wasserstoffproduktion zur Verfügung stellen können.
Die Turbinen müssen es Betreibern erlauben, schnell auf schwankende Windstärken und die Volatilität der Preise am Strommarkt zu reagieren. Dann wird es für Betriebe der Elektronik- und Metallindustrie lukrativer, Wasserstoff auf ihrem Werksgelände mit Windstrom selbst zu produzieren als mit fossilen Energieträgern erzeugten Wasserstoff einzukaufen. Das ergab eine gemeinsame Studie der Technischen Universität München und der Universität Mannheim.
Hohe Umwandlungsverluste, miserabler Wirkungsgrad
Neben der Produktion müssen auch der Transport und die Nutzung von Wasserstoff effizienter werden. So braucht es extremen Druck, um Tanklaster mit dem Element zu befüllen oder dieses wieder abzulassen. Deshalb entstehen dabei Temperaturen von 300 Grad Celsius. Nur wenn sich diese Wärme produktiv nutzen lässt, halten sich die Energieverluste in der Wertschöpfungskette von Wasserstoff in Grenzen.
Da der Rohstoff außer in der Raumfahrt und in Brennstoffzellen nur in weiterverarbeiteter Form Verwendung findet, kommt es bei seiner Nutzung ohnehin zu großen Umwandlungsverlusten. Der Wirkungsgrad vieler Wasserstoffanwendungen ist daher lächerlich klein.
So setzen mit synthetischem Benzin oder Diesel betriebene Pkw nur elf Prozent der Energie in Fortbewegung um, die für die Elektrolyse im ersten Prozessschritt benötigt wurde. Für die Mondlandung hätte dieser Wirkungsgrad nicht gereicht.