SAP-Anwender gehen die S/4HANA-Transformation zögerlich an. Obwohl die Zeit bis zum Wartungsende der jetzt eingesetzten ERP‐Versionen von SAP (2025) knapp ist, beginnen die meisten Unternehmen nur langsam mit ihren Umstellungsprojekten.
Aktuell befindet sich in etwa die Hälfte (52 Prozent) der von Lünendonk befragten Unternehmen erst in der Erstellung von Business Cases, während weitere 30 Prozent bereits an der Umsetzungsstrategie arbeiten. Zur Bewältigung der aufwendigen Projekte suchen die meisten SAP-Kunden Unterstützung bei IT-Dienstleistern. Diese haben jedoch nur begrenze Kapazitäten. Daher wird es voraussichtlich spätestens ab dem Jahr 2022 zu einem Projektstau kommen.
Diese Ergebnisse ermittelte das Marktforschungs- und Beratungsunternehmen Lünendonk & Hossenfelder in der Lünendonk-Studie 2019 'Mit S/4HANA in die digitale Zukunft – Status, Ziele und Trends bei der Einführung von S/4HANA im deutschsprachigen Raum'. Dafür wurden CIOs, IT‐Leiter und CTOs von 153 Großunternehmen und Konzernen unterschiedlicher Branchen aus der DACH-Region befragt. Die Studie entstand in Zusammenarbeit mit Datagroup, KPMG, Rödl Consulting, Salt Solutions und der msg-Gruppe.
So aufwendig ist die Migration der ERP-Systeme
Bereits 2015 verkündete SAP das Wartungsende für die Business Suite und stellte in diesem Zuge die neue Softwareversion S/4HANA vor. Wie groß der Umfang der Migrationsprojekte tatsächlich ausfällt, verdeutlichen nun die Studienergebnisse. 48 Prozent der Unternehmen planen eine rein technische Migration zu S/4HANA ohne weitere Prozessanpassungen.
Als Gründe wurden hohe Kosten für die Neuausrichtung der bisherigen Prozesse auf den S/4HANA-Standard sowie ein hoher Projektaufwand genannt. Allerdings entscheiden sich 52 Prozent der Studienteilnehmer neben der technischen Migration für eine Anpassung der Geschäftsprozesse auf den S/4HANA-Standard und gehen damit einen Schritt in Richtung der digitalen Transformation.
"Damit haben sie auch die Möglichkeit, stärker von den technologischen Vorteilen von S/4HANA zu profitieren, wie beispielsweise Machine Learning und Automatisierung", erläutert Mario Zillmann, Partner bei Lünendonk & Hossenfelder und Studienautor.
Darüber hinaus planen 17 Prozent der befragten großen mittelständischen Unternehmen und Konzerne IT-Eigenentwicklungen und Altsysteme durch S/4HANA zu ersetzen und somit ihre IT‐Landschaft zu modernisieren, zu standardisieren und damit von komplexen IT-Legacy-Altlasten zu befreien.
"Dies verdeutlicht, dass in den meisten Unternehmen zunächst der Fokus auf der Überführung der bisherigen ERP-Welt in die neue S/4HANA‐Produktwelt liegt – was für viele Unternehmen bereits einen hohen Kraftakt bedeutet", erklärt Mario Zillmann. Da eine veraltete IT digitale Innovationen mehr verhindert als fördert, wird es in Zukunft spannend bleiben zu beobachten, wie die Unternehmen mit der IT-Modernisierung vorankommen und wie sie mit ihren historischen IT-Eigenentwicklungen umgehen.
"In jedem Fall wird die Komplexität in der IT-Orchestrierung höher, wenn diverse Cloud‐Anwendungen in unterschiedlichen Deployments (Public, Private) mit On-Premise‐Standardsoftware und On‐Premise-Individualentwicklungen sowie Third-Party-Anwendungen interagieren müssen", fasst Zillmann eine wichtige Herausforderung der digitalen Transformation zusammen. "Darüber hinaus ist das nahtlose Zusammenspiel aller IT‐Anwendungen im Sinne von End-to-End‐Prozessen eine immer wichtigere Voraussetzung für digitale Geschäftsmodelle und Automatisierungsstrategien."
Brownfield- versus Greenfield-Migration: Was ist beliebter?
Eine der zentralen Fragestellungen bei der Migration auf S/4HANA ist die Überlegung, ob der Brownfield‐Ansatz – also die Migration des bestehenden Systems sowie dessen Prozesse zum neuen System – oder der Greenfield‐Ansatz – die Neuimplementierung des SAP-Systems – genutzt wird.
"Mehr als jedes zweite untersuchte Unternehmen (57 Prozent) wird sich nach aktuellem Planungsstand für den Brownfield-Ansatz entscheiden und die Prozesse weitestgehend unverändert lassen", so Mario Zillmann. Die wesentlichen Gründe für den Brownfield-Approach sind vor allem die weitere Nutzung und die Optimierung der bestehenden Prozesse und Strukturen (51 Prozent). Ein Drittel spricht sich dafür aufgrund der schnelleren Umsetzung im Vergleich zum Greenfield‐Ansatz aus. Weitere Gründe stellen der geringere Aufwand sowie niedrigere Kosten durch den Brownfield-Ansatz dar.
Demgegenüber bevorzugen 25 Prozent der befragten Unternehmen den Greenfield-Ansatz. Innerhalb der Finanzdienstleistungsbranche steigt der Wert sogar auf ein Drittel. Die Hälfte der Unternehmen gibt an, sich für diesen Ansatz zu entscheiden, um sich von Altlasten zu befreien und eine neue Systemlandschaft aufbauen zu können, mit der sie für die Zukunft gerüstet sind.
Weiterhin entschieden sich 25 Prozent der Befragten für die Neuaufsetzung des ERP-Systems, da somit keine Einschränkung der laufenden Geschäftsprozesse stattfindet. "Um das Kerngeschäft nicht zu behindern, bleiben die IT-Prozesse bestehen und parallel dazu werden neue Geschäfts- und IT-Prozesse aufgebaut, die den Anforderungen an die Digitalisierung entsprechen", fügt Mario Zillmann hinzu.
Die Analyse der Befragungsergebnisse zeigt zudem, dass sowohl unternehmens‐ als auch branchenspezifische Anforderungen für die Wahl des geeigneten Ansatzes ausschlaggebend sind und nicht die reine Unternehmensgröße. "Ein zentrales Kriterium sollte daher sein, ob sich ein Unternehmen mit der aktuellen Prozesslandschaft auch für die Zukunft gut aufgestellt fühlt oder ob die Prozesse beispielsweise stärker kundenzentrisch ausgerichtet werden müssen", gibt Zillmann zu bedenken.