Leeres Regal mit zwei Klopapierrollen

Lieferengpässe in der Industrie: Wer ist schuld am Dilemma? (Bild: Oleksandr - stock.adobe.com)

Seit Corona muss ich bei Lieferengpässen immer direkt an Toilettenpapier denken. An sich ist dies jedoch ein schlechtes Beispiel, da es niemals zu wenig davon gab. Die Lager waren voll, aufgrund der ganzen Nachrichten in den sozialen Netzwerken wurde jedoch plötzlich viel mehr als nötig gekauft. Dies führte dazu, dass die Logistik nicht mehr mithalten konnte und dadurch gab es plötzlich wirklich Lieferengpässe. Ein typisches Beispiel für eine „self-fulfilling prophecy“.

Aktuell kämpfen Einkaufsabteilungen auf der ganzen Welt jedoch mit Lieferengpässen, die wirklich durch Angebotsdefizite begründet sind. Hier ist keine sich selbst erfüllende Prophezeiung am Werk, sondern es treffen viele verschiedene Faktoren auf einmal zusammen:

  • Kurzarbeit als Folge der Corona-Einschränkungen,
  • Werkschließungen aufgrund extremer Winterbedingungen in USA, sogar in Texas,
  • Produktionsausfälle im Elektronikbereich aufgrund einer Dürre in Taiwan,
  • erhöhte Nachfrage an Halbleitern bzw. Chips als Folge der vielen Bestellungen im Privatbereich während der Corona-Lockdowns,
  • Engpass bei Leercontainern und dadurch extreme Preiserhöhungen für die Transportbehältnisse, da sich diese aufgrund der vielen Frachten von Asien nach Europa nun am falschen Ort befinden
  • zudem kommt es seit Kurzem vermehrt zu Stornierungen von geplanten Schiffsabfahrten („Blank Sailings“),
  • weitere Lieferengpässe durch die Nachwirkungen der Blockade des Suezkanals durch die „Ever Given“,
  • aufgrund des früheren Wirtschaftsaufschwungs in China und die dadurch gestiegene Binnennachfrage exportiert China weniger Stahl als sonst nach Europa.

Nun könnte man eine Tasse Tee kochen, abwarten und diesen Faktoren die Schuld geben. Man könnte sich jedoch auch die Frage stellen, ob man nicht selber dazu beigetragen hat, dass die Situation so außer Kontrolle geraten ist.

Beantworten Sie einfach mal folgende Fragen:

  1. Werden Sie per Just-in-time beliefert?
  2. Haben Sie in 2020 die Lagerbestände reduziert, um den Cashflow zu verbessern?
  3. Nutzen Sie Single Sources in den Warengruppen, die gerade von Lieferengpässen betroffen sind?
  4. Nutzen Sie zwar mehrere Lieferanten, diese kommen aber alle aus dem gleichen Land? („Single-Country-Sourcing“)
  5. Haben Sie geplante Mengen mit Ihren Lieferanten gekürzt oder Lieferungen nach hinten verschoben?
  6. Haben Sie die Einführung eines Risikomanagements mal wieder auf das nächste Jahr verschoben?

Sollten Sie auch nur eine Frage mit "Ja" beantwortet haben, kann ich Ihnen mitteilen, dass Sie sehr wahrscheinlich eine Mitschuld tragen.

Vielleicht-bald statt Just-in-time

JiT-Belieferungen sind eine sehr gute Maßnahme, um die Prozesse in der Qualitätssicherung sowie der Produktion und Montage zu verbessern und so die Gesamtkosten (TCO) zu optimieren. Aber es führt natürlich auch dazu, dass man mit keinem oder nur einem kleinen Lagerbestand arbeitet.

Da reicht schon eine Lieferverzögerung von nur wenigen Tagen für eine veritable Störung in der Produktion bzw. Montage. Ich bin absolut kein Gegner von JiT, jedoch sollte man sich den Risiken bewusst sein und diese in die Entscheidungsfindung mit einfließen lassen.

Lager lieber voll lassen

Im Sommer letzten Jahres habe ich zum Thema Lagerbestand eine klare Meinung gehabt: Wer die nötige Liquidität besitzt, sollte seinen Lagerbestand nicht abbauen. Eines hat die Vergangenheit nämlich immer wieder gezeigt: Der Aufschwung kommt oft ohne Vorwarnung und bereitet den Firmen deshalb auch oft größere Probleme als der Abschwung. In Zukunft also besser zweimal überlegen, bevor man den Lagerbestand reduziert!

"Single" ist keine gute Idee

Beim Thema Single Sources halte ich mich kurz: Das ist bei kritischen Materialien immer eine schlechte Idee.

Was jedoch nun neu ist: auch Single-Country-Sourcing ist keine gute Idee mehr. Bei Tsunamis, Hurricanes, Maschinenausfällen, Insolvenzen usw. hat ein zweiter Lieferant bisher immer gut geholfen. Corona hat uns nun aber gezeigt, dass auch ganze Länder „geschlossen“ werden können und dann bringen uns auch drei Lieferanten in China nicht weiter.

Liefermengen immer aktuell halten

Neben der Lagerbestandsreduzierung haben viele Unternehmen auch ihre schon generierten Bestellungen angepasst und Liefermengen reduziert. Dies war an sich auch die richtige Maßnahme im letzten Jahr, jedoch haben viele Unternehmen den richtigen Zeitpunkt verpasst, die Liefermengen wieder zu erhöhen.

Risiken wollen gemanagt werden

Und zu guter Letzt: Die Einführung eines professionellen Risikomanagements sollte eigentlich schon seit 20 Jahren auf der Agenda der Einkaufsleitung stehen. Leider wurde das Thema zwar immer wieder als wichtig eingestuft, dann aber nicht umgesetzt.

Ob solch ein Risikomanagement bei dieser Krise geholfen hätte, kann man natürlich pauschal nicht sagen, aber ein fehlendes Risikomanagement hilft auf jeden Fall nicht. Mehr dazu in meiner letzten Kolumne.

Und jetzt zurück zu der Überschrift: sind die Unternehmen selbst schuld? Klare Antwort: Jein!

In diesem Sinne: achten Sie bitte in Zukunft (noch) mehr auf Ihren Lagerbestand, analysieren Sie mal Ihr Einkaufsvolumen hinsichtlich Single-(Country-)-Sources und – falls immer noch nicht gemacht – installieren Sie endlich ein Risikomanagementsystem!

Und: sehen Sie Ihre Lieferanten als Partner, die sich in guten wie auch in schlechten Zeiten gegenseitig unterstützen und seien sie nicht allzu streng zu ihnen, sobald der Verkäufermarkt sich wieder in einen Käufermarkt wandelt.

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