
Bei der Auswahl von Lieferanten spielen immer noch klassische Kriterien eine Rolle. (Bild: Ilia Nesolenyi - stock.adobe.com)
Im Mai 2024 hat die Europäische Union nach heftigen Kontroversen eine neue Lieferkettenrichtlinie (CSDDD) verabschiedet, die große Unternehmen zu einem stärkeren Engagement für Umweltschutz und soziale Standards (Environmental, Social, Governance- - ESG) verpflichtet. Die Dokumentationspflichten wurden eingeführt, um Druck auf alle an den Lieferketten beteiligten Unternehmen auszuüben, damit diese zur Einhaltung der Nachhaltigkeitsziele beitragen. Diese Richtlinie soll schrittweise bis 2029 umgesetzt werden.
Damit die europäische CSDDD sowie das deutsche Lieferkettenschutzgesetz (LkSG) ihre beabsichtigte Wirkung überhaupt erreichen können, ist es notwendig, dass Unternehmen nichtfinanziellen Aspekte bei der Auswahl von Geschäftspartnern überhaupt berücksichtigen. Daher hat sich das German Business Panel (GBP) der Frage gewidmet, welche Kriterien bei der Auswahl von Geschäftspartnern - also sowohl Lieferanten als auch Kunden - den Ausschlag geben und ob Nachhaltigkeit bereits eine Rolle spielt.
Was ist der Supply Chain Act?
Zur Stärkung von Umwelt- und Sozialstandards hat die EU im Mai 2024 eine Lieferkettenrichtlinie (CSDDD - Corporate Sustainablitity Due Dilligence Directive, auch CS3D) verabschiedet, die Unternehmen dazu verpflichtet, zu dokumentieren und nachzuweisen, inwiefern diese Standards entlang ihrer Lieferketten eingehalten werden.
Ab 2029, am Ende ihrer schrittweisen Einführung, betrifft die CSDDD Unternehmen mit mehr als 1.000 Beschäftigten und mehr als 450 Millionen Euro Jahresumsatz. Die CSDDD ergänzt dabei das bestehende deutsche Gesetz zur Lieferkettensorgfaltspflicht (LkSG), etwa indem es umweltbezogene Pflichten ausweitet und umfangreichere Haftungs- und Sanktionsbestimmungen formuliert.
Das LkSG ist bereits seit Anfang 2024 bei Unternehmen mit mehr als 1.000 Beschäftigten inkraft.
Nichtfinanzielle Kennzahlen haben in Lieferketten aktuell niedrige Bedeutung
Bei der Auswahl von Geschäftspartnern spielen Nachhaltigkeitsfaktoren aktuell im Vergleich mit harten finanziellen Faktoren nur eine untergeordnete Rolle. Die neuen ESG-Berichtspflichten ändern diesen Befund kaum – außer wenn die nichtfinanziellen KPIs in Steuerung und Strategie eingebettet sind.
Wichtig bei der Auswahl ihrer Kunden und Lieferanten bleiben nach wie vor Kriterien wie der Preis, die Zuverlässigkeit der Zahlungsbedingungen oder die Dauer der Geschäftsbeziehung. Nachhaltigkeitsaspekte spielen dagegen eine deutlich untergeordnete Rolle - trotz des neuen Supply Chain Acts (CSDDD). Das zeigt eine neue Studie des German Business Panel (GBP).
Die Daten des GBP zeigen zudem eine insgesamt ablehnende Haltung vieler Unternehmen gegenüber den aktuellen Nachhaltigkeitsvorschriften, einschließlich der neuen Standards zur Nachhaltigkeitsberichterstattung. Allerdings gibt es auch Ausnahmen: Unternehmen, die freiwillig über Nachhaltigkeit berichten und ihr Geschäftsmodell aus strategischen Gründen darauf ausrichten, begrüßen die Verordnung.
Finanzielle Kriterien dominieren Kaufentscheidungen in Lieferketten
Bei der Auswahl von Geschäftspartnern entlang ihrer Lieferkette setzen Unternehmensentscheider in Deutschland auf bewährte Kriterien. Preis- und Produkteigenschaften sowie Zahlungs- und Lieferungsmodalitäten sind die wichtigsten Faktoren bei der Entscheidung über Kunden und Lieferanten. Die Länge der bestehenden Handelsbeziehung zwischen Geschäftspartnern wird ebenfalls als bedeutendes Kriterium hervorgehoben.
Bei der Auswahl von Unternehmenskunden und Lieferanten haben zuletzt auch klassische Kennzahlen der Liquidität und des Unternehmensgewinns eine höhere Relevanz als nichtfinanzielle Aspekte. Liquidität und Gewinn dienen nämlich als Indikatoren, die auf eine fristgerechte Zahlung oder Lieferung hinweisen können.

Externe Berichtspflichten erhöhen die Relevanz nichtfinanzieller Aspekte nur gering
Aktuell werden nichtfinanzielle Aspekte in Lieferketten im Durchschnitt mithin nur selten berücksichtigt. Die Befragung des GBP unterscheidet zwischen Unternehmen, die nach den neuen europäischen Standards zur Nachhaltigkeitsberichterstattung (ESRS) ihre ESG-Performance offenlegen müssen, und solchen, die dies freiwillig tun.
Die Relevanz nichtfinanzieller Kennzahlen bei ESRS-Pflichtanwendern wird auf der Skala von 1 (sehr unwichtig) bis 7 (sehr wichtig) im Durchschnitt mit einer 3,14 bemessen. Sie bewerten die Relevanz dieser Kennzahlen damit nur geringfügig höher als Unternehmen, die gar nicht über nichtfinanzielle Nachhaltigkeit berichten (2,91).
Erst wenn Nachhaltigkeitskriterien integraler Bestandteil der Unternehmensstrategie werden, steigt auch die Relevanz nichtfinanzieller Aspekte in Lieferketten in stärkerem Ausmaß. Bei Unternehmen, die freiwillig über Nachhaltigkeit berichten, liegt die durchschnittliche Relevanz nichtfinanzieller Kriterien bei der Auswahl von Geschäftspartnern bei 3,29.

Unternehmen mit ESG-Fokus in der Lieferkette berichten häufiger über Nachhaltigkeit
Freiwillige Nachhaltigkeitsberichterstattung geht mit einer höheren Relevanz nichtfinanzieller Kennzahlen in Lieferketten einher. Unternehmen, die in ihren Lieferketten bereits einen starken ESG-Fokus haben, ergreifen auch eher Maßnahmen zur Erhöhung der Transparenz in Bezug auf solche ESG-Faktoren, so die Befragung des GBP.
Als Unternehmen mit ESG-Fokus gelten jene, die die Relevanz nichtfinanzieller Kennzahlen auf der Skala von 1 (sehr unwichtig) bis 7 (sehr wichtig) mindestens mit einer 5 bewerten. 22,5 Prozent dieser Unternehmen setzen bereits aktiv Maßnahmen im Rahmen der EU-Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung (CSRD) um, von den Unternehmen ohne diesen Fokus tun dies nur 16,9 Prozent.
Relativ zu Unternehmen ohne ESG-Fokus erfassen Unternehmen mit ESG-Schwerpunkt in ihren Lieferketten nichtfinanzielle Aspekte vermehrt intern (23,4 Prozent vs. 17,1 Prozent) und geben seltener an, gar keine ESG-Daten zu erheben, wenn sie nicht von der Berichtspflicht betroffen sind (49,5 Prozent vs. 60,5 Prozent).

Unternehmen, die auf ESG in Lieferketten achten, bewerten die ESRS positiver
Unternehmen mit ESG-Fokus in ihren Lieferketten berichten nicht nur häufiger über Nachhaltigkeitsfaktoren, sondern beurteilen die Standards zur Nachhaltigkeitsberichterstattung insgesamt auch positiver als Unternehmen ohne diesen Fokus. Der Anteil positiver Bewertungen liegt bei Unternehmen, die nichtfinanzielle Kennzahlen in Lieferketten als relevant einstufen, bei 32,9 Prozent (vs. 18,7 Prozent ohne ESG-Fokus).
Diese etwas positivere Sicht auf die ESRS kann darauf zurückzuführen sein, dass diese Standards die Identifikation geeigneter, nachhaltiger Geschäftspartner erleichtern. Dennoch ist der Anteil an Unternehmen, die die ESRS eher negativ oder sogar sehr negativ bewerten, bemerkenswert hoch: Bei Unternehmen mit ESGFokus liegt dieser Anteil bei 39,2 Prozent, verglichen mit 56,0 Prozent bei Unternehmen ohne ESG-Fokus. Trotz der Berücksichtigung nichtfinanzieller Kennzahlen in Lieferketten sehen somit immer noch mehr Unternehmen die ESRS negativ als positiv.

Eine Mehrheit der Unternehmen bewertet die ESRS als zu komplex und bürokratisch
Welche Hürden nehmen Unternehmensentscheider in Deutschland bei der Erstanwendung der neuen europäischen Standards zur Nachhaltigkeitsberichterstattung (ESRS) wahr? Es wird deutlich, dass Unternehmen, die die ESRS bisher noch nicht umgesetzt haben, vor allem die Komplexität und den bürokratischen Aufwand der Standards scheuen. So stimmen 59 Prozent der ESRS-Nichtanwender der Aussage zu, dass die ESRS zu kompliziert und bürokratisch seien. 52,2 Prozent bemängeln den hohen Berichtsaufwand. Zudem geben 22 Prozent und 16,5 Prozent der ESRS-Nichtanwender an, dass ihnen Daten zur Berichterstattung und Expertise zur Umsetzung fehlten.
Interessanterweise zeigt sich, dass der Anteil an Unternehmen, die Hürden bei der Umsetzung der ESRS wahrnehmen, bei ESRS-anwendenden Unternehmen fast durchweg höher ist als bei Unternehmen, die noch nicht nach den ESRS berichten. Gerade die aktive Auseinandersetzung mit den Standards scheint deren Umsetzungsschwierigkeiten noch einmal hervorzuheben.
So halten fast drei Viertel (74,6 Prozent) der ESRS-Anwender ohne ESG-Fokus in Lieferketten die ESRS für zu komplex. Dies gilt nur für 66,7 Prozent der Anwender mit ESG-Fokus, die dafür mit 48,1 Prozent auffällig oft fehlende Expertise zur Umsetzung der ESRS beklagen.
(German Business Panel, Juli 2024)

Die Autorin: Dörte Neitzel
Dörte Neitzel ist Wissens- und Infografik-Junkie vom Dienst. Dinge und Zusammenhänge zu erklären ist ihr Ding, daher beschreibt sie sich selbst auch gern als Erklärbärin mit Hang zur Wirtschaft – was einem lange zurückliegenden VWL-Studium geschuldet ist. Nach einigen Stationen im Fachjournalismus lebt sie dieses Faible bevorzugt auf der Webseite der TECHNIK+EINKAUF aus und taucht besonders gern ab in die Themen Rohstoffe und erneuerbare Energien.
Privat ist Südfrankreich für sie zur zweiten Heimat geworden, alternativ ist sie in der heimischen Werkstatt beim Schleifen, Ölen und Malern alter Möbel zu finden oder in südbayerischen Berg-und-See-Gefilden mit Hund im Gepäck unterwegs.
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