Frau hinter einem Zaun

Die EU-Vorgaben zu Menschenrechten in Lieferketten sind umfangreich. (Bild: yupachingping - stock.adobe.com)

Die EU-Kommission hat einen Entwurf für ein europäisches Gesetz für weitgehende Sorgfaltspflichten in Lieferketten vorgelegt. Der Vorschlag der EU geht weit über das deutsche Lieferkettengesetz hinaus. Der Vorlage zufolge sollen bereits Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten verpflichtet werden, dafür Sorge zu tragen, dass es bei Lieferanten nicht zu Verstößen gegen Menschenrechte oder Umweltstandards kommt. Einige Branchen mit erhöhtem Risiko - etwa die Textil-, Agrar- oder Forstindustrie sowie die Fischerei - sollen schon ab einer Schwelle von 250 Mitarbeitern in die Pflicht genommen werden.

"Tatsächlich geht der größte Teil von Menschenrechtsverletzungen und Umweltschäden durch Unternehmen zurück auf ihre Zulieferer", so EU-Justizkommissar Didier Reynders. Doch das soll sich ändern. Produzierende Unternehmen sollen nicht nur selbst für menschenwürdige Arbeitsplätze und für die Einhaltung von Umweltstandards sorgen. Diese Pflicht gilt künftig auch für all ihre Lieferanten. Ziel ist es, dass auch Vorprodukte - egal ob Schrauben, Textilien oder Halbleiter - unter Einhaltung grundlegender Menschenrechte und Umweltstandards hergestellt werden. Da die europäische Wirtschaft durch ihre Lieferketten mit Millionen Beschäftigten aus aller Welt verbunden sei, trage sie auch die Verantwortung dafür, dass deren Rechte gewahrt würden, heißt es in dem Entwurf.

Nach Angaben der EU-Kommission sind rund 13.000 EU-Firmen und 4.000 Firmen aus Drittstaaten betroffen. Es gibt aber auch andere Schätzungen: Der CDU-Politiker Markus Pieper sagte der "Rheinischen Post", er gehe davon aus, dass allein 14.000 deutsche Unternehmen betroffen seien.

Haftungsklausel inklusive

Einige EU-Länder - wie Deutschland - haben bereits nationale Gesetze zur Menschenrechts- und Umweltschutzpflichten in der Lieferkette erlassen. Doch der Vorschlag für die neue EU-Richtlinie verschärft die Vorgaben noch einmal. So beinhaltet er beispielsweise eine Haftungsklausel - etwas, gegen das sich deutsche Unternehmen beim hiesigen Gesetz massiv gewehrt haben. Opfer von Menschenrechtsverletzungen könnten dann vor Gericht ihre Rechte einfordern. "Und das ist gut so, denn um wirklich einen Effekt zu haben, brauchen wir ein Lieferkettengesetz ohne Schlupflöcher", sagt die Europaparlamentarierin Anna Cavazzini, die sich klar für strengere Regeln ausspricht.

Anderen geht der Richtlinienentwurf dagegen zu weit. Sinnlose Bürokratie gelte es zu vermeiden, weil eine umfangreiche Nachverfolgung von Wertschöpfungsketten nicht sinnvoll sei, meint der CDU-Europaabgeordnete Axel Voss. Er spricht sich für einen risikobasierten Ansatz aus, will also nur dort tätig werden, wo tatsächlich Risiken in der Lieferkette bestehen.

Wie bereits beim deutschen Lieferkettengesetz kommt auch beim EU-Entwurf Kritik aus der Wirtschaft. So beurteilt VDMA-Hauptgeschäftsführer Thilo Brodtmann den Vorschlag der Richtlinie als "viel zu weitgehend" und "von vielen Unternehmen des Maschinen- und Anlagenbaus nicht umsetzbar". Mittelständische Betriebe hätten nicht die Marktmacht, die tiefere Lieferkette oder sogar ihre Kunden zu beeinflussen. "Selbst Konzernen dürfte das schwerfallen", so Brodtmann. Sie müssten sich dann aus potenziell risikobehafteten Märkten zurückziehen. Bezahlt würde dieser Rückzug mit Wohlfahrtsverlusten in Europa sowie massiven Einbußen bei Einkommen und Arbeitsplätzen. Die angedachte zivilrechtliche Haftung verstärke diesen Effekt zusätzlich.

Auch der Bundesverband der deutschen Industrie (BDI) ist unzufrieden: „Der Entwurf droht Unternehmen zu überfordern. Angesichts der Größe der Herausforderung ist es falsch, die Aufgabe des Schutzes von Menschenrechten und Umwelt in dieser Form auf die Unternehmen abzuwälzen", sagt Wolfgang Niedermark, Mitglied der BDI-Hauptgeschäftsführung. Verpflichtende rechtliche Anforderungen müssten sich auf die direkten Zulieferer beschränken, um in der täglichen Praxis umsetzbar zu sein. Das Verhalten unabhängiger Dritter dürfe nicht zu zivilrechtlicher Haftung von Unternehmen führen.

Daher lehnt die deutsche Industrie neue zivilrechtliche Haftungstatbestände ab. "Unternehmen können nur für eigene Aktivitäten in der Lieferkette haftbar sein, nicht für diejenigen ihrer Geschäftspartner oder deren Lieferanten. Die Verknüpfung politischer Ziele mit Haftungs- oder Vergütungsregeln für die Geschäftsführung ist nicht akzeptabel", so Niedermark.

Welche Unterschiede gibt es zum deutschen Lieferkettengesetz?

Das deutsche Lieferkettengesetz wurde 2021 beschlossen und soll 2023 in Kraft treten. Der EU-Vorschlag geht bei folgenden Bereichen weiter:

  • Die EU will, dass Unternehmen ihre komplette Lieferkette überprüfen müssen. Im deutschen Gesetz betrifft das nur direkte Zulieferer.
  • Die EU will Unternehmen mit mindestens 500 Mitarbeitern und 150 Millionen Euro Jahresumsatz auf das Gesetz verpflichten. Branchen mit einem höheren Risiko für Missbrauch, wie etwa Textil, Landwirtschaft oder Bergbau, sollen bereits ab 250 Mitarbeitern dabei sein. Das deutsche Gesetz hat zunächst Firmen im Blick mit mindestens 3.000 (ab 2023) bzw. 1.000 (ab 2024) Mitarbeitern.
  • Die EU plant eine zivilrechtliche Haftung. Europäische Unternehmen könnten für Missstände entlang ihrer Lieferkette also verklagt werden. Deutschland beließ es bei Bußgeldern.
  • Unternehmen einen Plan für eine Strategie in Übereinstimmung mit dem Pariser Klimaabkommen erstellen.

Germanwatch über den EU-Entwurf

Vonseiten einiger Nichtregierungsorganisationen wurde das deutsche Gesetz bei seiner Verabschiedung als "zahnloser Tiger" kritisiert. Diesem Vorwurf gibt es gegenüber dem EU-Plan nicht. Positiv bewertet Germanwatch, dass die zivilrechtliche Haftung für Unternehmen in das EU-Lieferkettengesetz aufgenommen werden soll.

Allerdings blieben gravierende Hindernisse bestehen: „Die EU-Kommission versäumt es, die essenzielle Frage der Beweislast zu klären. Betroffene können in der Regel auf Grundlage öffentlich zugänglicher Informationen nicht beweisen, dass ein Unternehmen seine Sorgfaltspflichten verletzt hat, weil sie keinen Einblick in Unternehmensentscheidungen haben“, so Cornelia Heydenreich, Teamleiterin Unternehmensverantwortung bei Germanwatch.

Die Entscheidung über eine Beweislastregelung dürfe nicht den Mitgliedsstaaten überlassen werden, so wie es die EU-Kommission bislang vorsieht. „Damit schafft sie keine gleichen Bedingungen für ganz Europa. Auch eine Regelung, die Schäden nach der ersten Lieferkettenebene von der Haftung ausnimmt, darf nicht zum Schlupfloch werden, das die Rechte Betroffener aushebelt.“

Der Gesetzentwurf garantiere darüber hinaus keinen effektiven Schutz von Umwelt und Klima und bleibt bei den diesbezüglich enthaltenen Pflichten zu unkonkret. Nach dem Entwurf sollen Unternehmen einen Plan für eine Strategie in Übereinstimmung mit dem Pariser Klimaabkommen erstellen. “Die enthaltene Klimapflicht ist voller Unsicherheiten – so bleibt zum Beispiel unklar, ob die Unternehmen die gesamte Wertschöpfungskette in ihre Pläne miteinbeziehen müssen“, kommentiert Heydenreich. Zudem sei im Entwurf nicht festgelegt, dass sich ein Nichterreichen des Plans auf die Vergütung der Vorstände auswirkt.  „Diese Vergütungsregelung hätte ein wichtiger Hebel werden können, um Unternehmen auf den Pfad zur Einhaltung der 1,5-Grad-Grenze zu bringen“

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