
Daten sind der Grundpfeiler für ein Risikomanagement im Einkauf. Und das bedeutet digitalisieren. (Bild: ImageKing - stock.adobe.com)
Über dem Welthandel ist in Person von US-Präsident Donald Trump der perfekte Sturm aufgezogen. Um dennoch handlungsfähig zu bleiben, brauchen Einkäufer tiefe Einsicht in ihre Lieferketten. Das geht nur mit Daten und digitalen Plattformen, die diese aufbereiten, erklären Einkaufsprofis Kai Hasenklever und Dr. Rainer Mehl von Capgemini. Das Beratungs- und Dienstleistungsunternehmen ist auf Business-, IT- und Technologie-Transformation spezialisiert.
TECHNIK+EINKAUF: In den USA hat Ideologie wirtschaftlichen Sachverstand ersetzt. Obwohl sie die Kaufkraft von Bürger in den Vereinigten Staaten schmälern, erhebt Präsident Donald Trump seit Anfang März Zusatzzölle auf Einfuhren aus Kanada und Mexiko. Das zerstört Lieferketten in Nordamerika. Nun hat er zusätzliche Abgaben auf Autoimporte aus Europa und Asien verhängt. Da der US-Präsident mit Zöllen politischen Druck ausüben will, weiß niemand, wo sich der Konflikt noch hin entwickelt. Was bedeutet diese Situation für europäische Unternehmen?
Rainer Mehl: Mit der Infragestellung der internationalenHandelsordnung fordern die USA vor allem Deutschlands exportbasiertes Geschäftsmodell heraus. Das Problem ist aber weniger, dass die Vereinigten Staaten Zölle erheben, sondern dass Lieferketten heute weltweit verflochten sind und Unternehmen von überall auf dem Globus Teile beziehen. Das zu ändern, ist extrem aufwändig.
Weshalb?
Kai Hasenklever: Unternehmen werden intensiver investieren müssen, um ihre globalen Netzwerke so zu optimieren, dass sie das Risiko verringern oder sogar beseitigen können, mit den USA in einen Konflikt zu geraten. Einkaufsorganisationen müssen demzufolge umfassender verstehen, welche Wertschöpfungsanteile von ihnen beschaffte Komponenten und Vorprodukte enthalten und wo diese Wertschöpfung erbracht wurde. Wenn ich beispielsweise ein OEM ein Steuergerät von einem europäischen Zulieferer kaufe, weiß ich ja nicht, welcher Technology Stack sowie welche Wertschöpfungsanteile dahinterstehen. Deshalb wird es für Unternehmen immer wichtiger, jene Daten zu haben, die ihre Lieferketten möglichst tiefgehend transparent machen.

Dr. Rainer Mehl betreute für Capgemini lange Jahre einen strategischen Großkunden aus der Automobilindustrie. Heute ist der Ökonom und Politologe im erweiterten Vorstand des französischen Beratungsunternehmens für die Betreuung strategischer Kunden weltweit zuständig. Bevor er zu Capgemini kam, war er unter anderem für die IT- und Beratungsfirmen PwC, IBM und NTT Data tätig.
Donald Trump wird wohl alles tun und jeden Druck aufbauen, der erforderlich ist, um sich mit Hilfe und auf Kosten anderer westlicher Staaten in dem geopolitischen und technologischen Konflikt der USA mit China durchzusetzen. Müssen Unternehmen ihre Lieferketten daher nicht auch so strukturieren, dass sie in jedem Handelsraum und in jedem denkbaren Szenario handlungsfähig bleiben?
Rainer Mehl: Wenn uns die Vielzahl der Disruptionen der vergangenen Jahre - sei es die Corona-Pandemie, der Angriffskrieg in der Ukraine oder die Energiekrise - eines gelehrt haben, dann doch, dass wir im Einkauf auf alles vorbereitet sein müssen. Egal, ob wir uns ein Krisenszenario heute vorstellen können oder nicht. Im März vor fünf Jahren, hat niemand geahnt, welche Auswirkungen die Pandemie haben würde. Die Antwort des Einkaufs auf die aktuellen Entwicklungen in der Welt heißt daher: „Be prepared!“ Wie gut man auf Krisen und Zwischenfälle vorbereitet ist, hängt aber wiederum wesentlich davon ab, welche und wie viele Daten zur eigenen Lieferkette vorhanden und in konsistenter Weise transparent sind.
Kai Hasenklever: Resilienz in globalen Liefernetzwerken in einer VUCA-Welt ist sicherlich zu einer Herausforderung geworden, der sich Einkaufsorganisationen stellen müssen. Wir sehen, dass Unternehmen darauf unter Berücksichtigung des eigenen Risikoprofiles aber auch der organistorischen Möglichkeiten und Mittel unterschiedlich reagieren. Internationale Konzerne investieren anders als mittelständische Unternehmen in Bezug auf präventive und reaktive Maßnahmen. Das ist meines Erachtens in vielen Fällen nachvollziehbar. Ob beispielsweise der Aufbau von Multi-Source-Strategien und die damit verbundenen Investitionen sinnvoll sind, hängt unter anderem auch vom Volumen, der Relevanz des Bedarfs aber auch den Folgekosten ab.
Wie meinen Sie das?
Kai Hasenklever: Die Frage für Unternehmen ist, wie ihnen in der aktuellen geopolitischen und weltwirtschaftlichen Situation die richtigen Trade Offs gelingen. Denn wenn ich auf wirklich jedes Risiko vorbereitet sein will, ist das oft kosten- und ressourcenintensiv. Das geht nur, wenn ich derart große Investitionen tätige, dass es am Schluss vielleicht doch günstiger ist, erst im Fall des Falles auf die jeweilige Lage zu reagieren.

Kai Hasenklever ist Vice President von Capgemini Invent in Frankfurt am Main. Dort leitet er die weltweite Einkaufsberatung für Industriekunden. Bevor der Wirtschaftsingenieur zu Capgemini kam, war er im Einkauf beim Automobilzulieferer Siemens VDO Automotive und Senior Manager im Beratungsunternehmen EY.
Wie wirkt sich in dieser Betrachtung die Tatsache aus, dass alle Handelsräume versuchen, ihre geopolitischen Interessen nicht nur durch Zölle, sondern auch durch Produktstandards, Local-Content-Anforderungen und handelsbürokratische Schikanen durchzusetzen? Für Unternehmen führt das doch zu höheren Kosten in der Beschaffung.
Kai Hasenklever: Richtig. Nach den Verknappungen von Gütern und den Lieferengpässen in den vergangenen Jahren, erleben wir derzeit, dass viele Unternehmen spitzer kalkulieren. In einer Net-net-Betrachtung fragen sie sich, was sie ein Zukaufteil in einer Total-Cost-of-Ownership-Betrachtung kostet, wenn sie dieses zum Beispiel in China zwar zu einem günstigen Einstandspreis bekommen, bei der Einfuhr in die EU oder die USA aber noch Zölle und Co2-Grenzausgleichsabgaben zahlen müssen. Eventuell kostet sie das Teil am Ende mehr, als wenn sie es für ihre lokale Fertigung in Europa oder den Vereinigten Staaten beschaffen. Lieferanten in China bieten dann vielleicht nicht mehr die optimalen Einkaufsdeal.
Rainer Mehl: Diese Rechnung verändert sich umso mehr, je mehr sich Zölle auf Beschaffungsentscheidungen auswirken. Das wird Investitionsströme umlenken.
Kai Hasenklever: Automobilhersteller beispielsweise werden sich künftig sehr genau durchrechnen, ob es sich für sie noch rentiert, Autos außerhalb der Vereinigten Staaten zu bauen und diese dann in die USA einzuführen.
Zurück zum Alltag in der Beschaffung. Wo bekommen Einkaufsabteilungen die Informationen und Daten her, die sie brauchen, um unter den veränderten geopolitischen und –wirtschaftlichen Bedingungen die richtigen Entscheidungen treffen zu können?
Rainer Mehl: Das ist die entscheidende Frage. In einer aktuellen Umfrage des Marktforschungsinstituts Forrester beklagten mehr als acht von zehn Einkäufern, dass ihnen bei ihrer Arbeit eine ausreichend leistungsfähige Steuerungsplattform fehlt.
Was zeichnet so eine Plattform aus?
Rainer Mehl: Sie ermöglicht die einheitliche Sammlung und Auswertung von Daten und verschafft Einkäufern so die Transparenz, die sie brauchen. Außerdem automatisiert sie operative Prozesse – wo sinnvoll mit Hilfe Künstlicher Intelligenz. Das entlastet Einkaufsabteilungen. Ihnen bleibt dadurch mehr Zeit für strategische Aufgaben. Die werden in der Weltlage, über die wir gesprochen haben, immer wichtiger.
Solche Plattformen, bietet beispielsweise der französische Spezialist für digitale Lösungen im Einkauf Ivalua an. Sind das quasi De-Risking-Tools?
Kai Hasenklever: Absolut. Vorausgesetzt, sie werden nicht nur in einzelnen Modulen, sondern vollumfänglich als End-to-end-Lösungen implementiert. Dann überführen sie eher strategische Sourcing-Daten in Bestellvorgänge und automatisieren Prozesse. So werden globale Lieferketten transparent und der Einkauf effizient.
Nicht immer werden solche Lösungen aber von den Mitarbeitern angenommen, die sie nutzen sollen. Was braucht es, damit das gelingt?
Rainer Mehl: Bei dem Wandel, den die Digitalisierung der Einkaufsprozesse bedeutet, müssen die Einkäufer mitgenommen werden, die die Systeme nutzen sollen. Wenn der Veränderungsprozess nicht aktiv unterstützt wird, kann es Lösungen geben, die von der Softwareseite her überzeugen, aber trotzdem wenig bringen, weil Mitarbeiter weiter mit Excel-Sheets und Zettelwirtschaft arbeiten.
Kai Hasenklever: Viele Unternehmen sehen die Digitalisierung im Einkauf leider nur als technisches Projekt und haben Angst, dass Kosten ausufern, wenn Berater in ihrer Kalkulation auch eine Position für das Change-Management einstellen. Selbst moderieren sie den Wandel dann aber oft auch nicht konsequent genug. Damit verschenken sie Chancen.
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