
Picker von Körber: Neue Produkte werden digitaler und damit klimaschonender entwickelt. (Bild: Clienti a/s - Körber)
In der Vergangenheit basierten Beschaffungsentscheidungen ausschließlich auf Faktoren wie Qualität, Preis und Verfügbarkeit von Produkten und Dienstleistungen. Diese spielen zwar immer noch eine tragende Rolle, werden aber zunehmend durch Umwelt-, Sozial- und Governance-Kriterien (ESG) als Auswahlkriterien für Lieferanten und deren Produkte ergänzt. Vorgaben wie der Green Deal der EU oder das Lieferkettenschutzgesetz machen entsprechende Vorgaben. Diese sind zwar als Bürokratiemonster verschrien, haben aber durchaus Vorteile für produzierende Unternehmen wie die Körber AG aus Hamburg.
Welche das sind? Wer Kohlendioxidemissionen senkt und sein Unternehmen konsequent nachhaltig ausrichtet, macht es wertvoller. Davon sind Michael Stietz, Executive Vice President Operations, und Volker Koch, Einkaufschef der Körber AG überzeugt. Dieses Ziel erreichen Unternehmen aber nur, wenn sie den Einkauf zugleich digitalisieren. Im Interview erzählen die beiden, wie sie die Jahrhundertaufgabe angehen, welche Schritte sie bislang unternommen haben und welche Tools Körber zu Hilfe nimmt.
TECHNIK+EINKAUF: Körber will seine Treibhausgasemissionen entlang der gesamten Wertschöpfungskette bis 2040 netto auf Null senken. Das ist ein sehr ambitioniertes Vorhaben. Viele andere Unternehmen sind nicht so mutig.
Michael Stietz: Abwarten liegt nicht in der DNA von Körber. Wenn wir wettbewerbsfähig bleiben wollen, müssen wir Neues ausprobieren und jeden Tag dafür sorgen, dass es ein bisschen anders, ein bisschen besser aussieht als tags zuvor. Nur so bleiben wir Markt- und Technologieführer. Da können wir nicht abwarten, bis andere etwas machen. Das müssen wir selbst tun.
Volker Koch: Wir sind außerdem davon überzeugt, dass Nachhaltigkeit ein entscheidendes Differenzierungsmerkmal für Unternehmen im Wettbewerb ist. Klar, geht es dabei auch um regulatorische Verpflichtungen wie das Lieferkettengesetz oder die Umsetzung des Green Deal der EU. Aber es lassen sich damit auch Chancen kreieren.
Das heißt?
Koch: Wenn wir unsere Kohlendioxidemissionen reduzieren, sinken fast immer auch die Kosten. Ein Produkt, dass wir nachhaltig entwickeln, ist also bei gleicher Funktionalität und Leistung sowohl kostengünstiger wie klimaschonender.


Ein Produkt, dass wir nachhaltig entwickeln, ist bei gleicher Funktionalität und Leistung sowohl kostengünstiger wie klimaschonender.
Dennoch hat Ihr Nachhaltigkeitsziel gerade Sie und Ihre Kollegen im Einkauf sicher vor eine gewaltige Herausforderung gestellt. Wie sind Sie diese angegangen?
Koch: Wir haben zunächst die nötigen Ressourcen geschaffen. So eine Aufgabe kann kein Einkäufer nebenbei erledigen. Außerdem muss im Unternehmen Kompetenz für das Thema Nachhaltig geschaffen werden. Es braucht Kollegen, die sich damit inhaltlich intensiv beschäftigen.
Wie haben Sie diese Aufgaben verteilt?
Koch: Wir haben in jedem unserer Geschäftsfelder einen Mitarbeiter, der sich um „Supply Chain Management und Nachhaltigkeit“ kümmert und zentral zwei Kollegen, die ausschließlich das Thema Nachhaltigkeit bearbeiten.
Was stand auf deren Aufgabenliste ganz oben?
Koch: Zunächst mussten wir wissen, wie viel Kohlendioxid wir überhaupt ausstoßen.
Das herauszufinden ist bei über 10.000 Lieferanten in mehr als 80 Ländern keine Kleinigkeit.
Koch: Richtig. Dennoch haben wir bei unseren Lieferanten vollumfänglich Primärdaten erhoben. Jeder unserer Zulieferer hat einen Zugang zu unserem Einkaufsportal. Dieses haben wir um eine Nachhaltigkeits-Funktion erweitert und unsere Lieferanten verpflichtet, dort einen Fragebogen auszufüllen. In diesem haben wir nicht nur nach Emissionen gefragt, sondern auch erweiterte Informationen rund um den Themenkomplex ESG eingefordert.
Das sind Angaben zum Umgang der Betriebe mit der Umwelt, den sozialen Belangen von Arbeitnehmern und der Unternehmensführung – auf Englisch „Environment, Social and Governance“ – ESG. Wie lang haben Sie gebraucht, um diese Daten zu Ihrem Einkaufsportfolio zu erfassen?
Koch: Nach zwölf Monaten hatten wir über 90 Prozent des Einkaufsvolumens ESG-konform erfasst und bewertet.
Wie zufrieden waren Sie dabei mit der Qualität und Belastbarkeit der Informationen, die Ihnen Ihre Lieferanten übermittelt haben?
Koch: Bei den Blue-Chip-Companies unter unseren Zulieferern gab es wenig Probleme, zuverlässige Antworten zu bekommen. Bei mittelständischen Unternehmen war das dagegen bisweilen ein langer Weg, auf dem wir auch viel Überzeugungsarbeit leisten mussten. Deshalb haben wir unter anderem Supplier Days veranstaltet, auf denen wir Lieferanten direkt angesprochen und bei ihnen quasi in Form einer Kampagne Bewusstsein für das Thema Nachhaltigkeit geschaffen haben.
Wir haben außerdem ein Team für das „Supply Chain Quality Management“, das Zulieferer auditiert. Dieses hat in seine Lieferantenbewertung neben klassischen Kriterien wie der Termin- und Liefertreue auch die Nachhaltigkeit und die Emissionen der Zulieferer aufgenommen. Dieses Team wird sich in den nächsten Jahren darum kümmern, alle Informationen zu validieren, die wir bekommen haben, und für Datenqualität und –korrektheit zu sorgen.


Indem wir nachhaltiger werden, werden wir auch wertvoller.
Die Daten zu haben, ist aber nur die halbe Miete. Wie nutzen Sie die Informationen, die Ihnen vorliegen?
Koch: Um das überhaupt zu können, müssen wir Daten, die wir bekommen für uns so auswerten und sichtbar machen, dass wir Entscheidungen darauf aufbauen können. Das gelingt uns mit einer Kombination aus der Einkaufsplattform von Ivalua und der Software von IntegrityNext.
Was leistet dieses System für Sie?
Koch: Es bündelt die Informationen, die wir zu einem Lieferanten haben und stellt sie in einem Ampelsystem dar. Kommt er beispielsweise aus einem Risikoland, wird der Zulieferer rot markiert. Außerdem zeigt uns das System, wenn Lieferanten ihren Fragebogen unvollständig ausgefüllt haben.
Gerade kleinere Unternehmen schrecken vor solchen Investitionen zurück, auch weil ihnen der Überblick fehlt, welche Lösungen es auf dem Markt gibt und was sie ihnen genau bringen.
Koch: Klar, diese Kompetenz muss man sich erarbeiten.
Stietz: Außerdem würde ich das nicht auf die Kosten der Soft- und Hardware reduzieren wollen. Wer nachhaltig werden will, muss investieren. Damit steigert er aber maßgeblich den Wert seines Unternehmens. So sehen wir das bei Körber: Indem wir nachhaltiger werden, werden wir auch wertvoller.
Ist es nicht schlicht und ergreifend auch so, dass an Investitionen in die Digitalisierung im Einkauf überhaupt kein Weg vorbei führt?
Stietz: Natürlich. Schauen Sie sich die Agenda eines Einkäufers oder Planers heute an. Diese unterscheidet sich deutlich von der, die er noch vor fünf oder sechs Jahren hatte. Er muss in seiner täglichen Arbeit heute viel mehr Themen bearbeiten, sich in diesen auskennen und deren Entwicklung im Blick behalten.
Woran denken Sie konkret?
Stietz: Das können Zölle, logistische Schwierigkeiten, geopolitische Entwicklungen, der Mangel an Ressourcen und Arbeitskräften oder neue Technologien sein, die Sie beherrschen müssen. Die Themen sind extrem vielfältig geworden. Ich sehe das aber nicht als ein Problem, sondern als eine neue Realität. Einkaufsabteilungen müssen diese breitere Aufgabenstellung allerdings oft mit der gleichen Anzahl an Mitarbeitern bearbeiten, wie zu den Zeiten, als es diese Vielzahl an Dimensionen noch nicht gab. Ohne digitale Hilfsmittel ist das schwierig.
Würden Sie mir zustimmen, dass der Einkauf in dieser neuen Realität auch eine erheblich existenziellere Bedeutung für Unternehmen bekommen hat?
Stietz: Wenn über 50 Prozent der Wertschöpfung eines Unternehmens von Drittparteien abhängen, dann muss ich über die Stellung und den Wert des Einkaufs als Kompetenzzentrum für Procurement und die Supply Chain doch nicht mehr diskutieren.
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