Manfred Maygraber SSI Schäfer

Manfred Maygraber leitet den direkten Einkauf bei SSI Schäfer. (Bild: SSI Schäfer)

Der Intralogistikanbieter SSI Schäfer reagiert auf die weltweiten Materialengpässe mit einer noch engeren Abstimmung intern sowie mit Kunden und Lieferanten. Manfred Maygraber (Head of Direct Spend ­Automation) und Notker Steigerwald (SVP, Head of Business Unit Logistics Solutions) finden so im unruhigen Fahrwasser immer wieder Lösungen, die die Lieferfähigkeit sicherstellen.

TECHNIK+EINKAUF: Herr Maygraber, Sie leiten für SSI Schäfer den direkten Einkauf im Bereich Automation. Wie stellt sich die aktuelle Liefersituation für Sie dar?

Manfred Maygraber: Wir durchleben eine Unterversorgung, die nicht nur die aktuelle Chipkrise hervorgerufen hat. Für unsere Intralogistik-Lösungen ist zwar vorrangig die Elektronikbeschaffung herausfordernd, dazu kommen jedoch auch Rohstoffknappheiten unter anderem bei Blechen, Aluminium und Stahl. Auch Frachtvolumina lassen sich nur sichern, wenn man Bestbieter ist. Für den Einkauf ist das ein Flächenbrand mit nur punktuellen Entspannungen. Wenn man sich die Preisentwicklung von simplen Produkten wie Paletten anschaut, gibt es kaum noch ein Spektrum, in dem es weder zu Preissteigerungen noch zu Lieferproblemen gekommen ist. Im Vergleich dazu waren die Lieferthemen zu Beginn der Pandemie überschaubar. Heute ist es so, dass uns im Zuge einer ‚normalen‘ Lieferterminabfrage verlängerte Lieferzeiten von einigen Wochen zurückgespielt werden. Diese Volatilität machen Produktionsplanung und Disposition zu einem schwierigen Unterfangen, eine valide Produktionsplanung wird konterkariert.

Notker Steigerwald: Wir decken eine hochkomplexe Wertschöpfungskette ab, von der Metallverarbeitung und -bearbeitung bis zum Anlagenbau mit sämtlicher Elektrik, Elektronik, Maschinensteuerung und IT, mit sehr vielen dazwischen gelagerten Prozessschritten. Dadurch sind wir breit betroffen, haben jedoch den Vorteil, dass wir uns aufgrund unserer jahrzehntelangen Expertise vergleichsweise flexibel in diesem Markt bewegen und unsere Lieferzusagen in Richtung Kunde bisher weitgehend einhalten konnten.

Wie gehen Sie mit dieser Situation um?

Maygraber: Es gibt eng getaktete Meetings, in denen wir gemeinsam Möglichkeiten und Alternativen definieren. Man kann sich bis zu einem gewissen Grad helfen, indem man zum Beispiel nicht verfügbare Antriebe nachsendet. Zusätzlich bewerten wir die Auswirkung auf offene Projekte, weil die Verschiebungen auch Abnahmetermine und Fakturierungen betreffen können, zumal wir wissen, dass sich die Lage zumindest in der Elektronikindustrie nicht kurzfristig entspannen wird. Gemeinsam mit der Technik ist es uns in diesem sehr unruhigen Fahrwasser jedoch immer wieder gelungen, Alternativen schnell freizugeben. Und genau dieser Zyklus, der die Ressourcen schafft, Alternativen zu überprüfen, die die Situation vielleicht sogar nachhaltig verbessern, weil wir etwa von einer Single-Source wegkommen, wird uns mittel- bis langfristig unterstützen.

Wie wichtig ist die Kundensicht, Herr Steigerwald, die Sie in die Projekte bringen?  

Steigerwald: Glücklicherweise setzen wir seit vielen Jahren auf klare Produktionsplanungs-Systeme und die regelmäßigen Abstimmungen zwischen den Einheiten, um unser Versprechen gegenüber unseren Kunden einhalten und umsetzen zu können. Jetzt sehen wir den Wert dieser intern durchaus aufwendigen Koordinationsprogramme. Würden wir das nicht schon seit Jahren praktizieren, würden wir wie viele andere Unternehmen heute ganz andere Probleme haben in der Erfüllung von Kundenerwartungshaltungen und Lieferterminen.

Haben Sie Ihre Planung nachgeschärft?

Steigerwald: Neben den grundsätzlichen Regeln und periodischen Abstimmungen gibt es mit unseren Kunden aktuell sehr viele kurzfristige Abstimmungen, weil zum Beispiel dort verzögerte Baumaßnahmen, die ebenfalls Materialengpässen geschuldet sind, dazu führen, dass sich unsere Projekte verschieben.

Volatilität auf beiden Seiten der Liefer­kette, das hört sich anspruchsvoll an...

Maygraber: Zusätzlich zu den kurzfristigen Abstimmungen haben wir deshalb weitere, langfristig vorausschauende Maßnahmen implementiert. So haben wir Ende 2020 Lagerbestellungen ausgelöst, um wiederkehrende Bedarfe abzusichern. Dies hat sich 2021 wiederholt. Wir arbeiten mit Vordispositionslisten und beziehen nicht rein projektbezogen. Wenn sich also kurzfristig ein Projekt verschiebt, betrifft das auch Bedarfe, die wir nicht kundenspezifisch zukaufen und die wir dann an anderer Stelle einplanen können. Anders verhält es sich bei zugekauften Sonderlösungen. Hier muss rasch reagiert werden. Aber wir bewegen uns in einem guten Umfeld, stehen in einem engen Austausch mit Kunden, Lieferanten und teilweise auch deren Vorlieferanten.

Manfred Maygraber SSI Schäfer im Portrait
(Bild: SSI Schäfer)

Vita Manfred Maygraber

Manfred Maygraber verantwortet bei SSI Schäfer den weltweiten direkten Einkauf im Bereich Automation. Für den Intralogistik-Anbieter ist er seit 2011 tätig. Zuvor hatte der Betriebswirt verschiedene Positionen in Einkauf und Supply Chain Management inne.

Auch der Kostenfaktor ist nicht zu unterschätzen. Sind Savings noch möglich?

Maygraber: Wir haben bereits 2020 ein weltweites Kostensenkungsprogramm gestartet und setzen diese Maßnahmen weiterhin systematisiert um. Parallel reporten wir die aktuellen Preiserhöhungen für die Kalkulationen, abgestimmt mit dem Produktmanagement. Die Kostensenkungsprogramme laufen aktuell mit dem Ziel, technische Alternativen zu prüfen. Solche Alternativen finden sich nach wie vor und werden sich weiter herauskristallisieren, wenn das Fahrwasser wieder ruhiger wird. Wenn ein alternativer Partner lieferfähig ist, kann das auch für weitere Produktspektren nachhaltig interessant sein.

Verfolgen Sie eine dezidierte Multi­lieferanten-Strategie?

Maygraber: Oftmals sind wir aus tech­nischen oder aus Gründen der Realisierung angehalten, mit nur einem Partner zu agieren. Zudem setzen wir einige SSI-Schäfer-spezifische Lösungen ein, bei denen es aufgrund der Stückzahlen wenig Sinn macht, das Volumen zu streuen. Nichtsdestotrotz findet hinsichtlich der weiteren strategischen Ausrichtung ein Umdenken statt. Es kristallisieren sich Ansätze heraus, wo wir mit Support der Technik rasch agieren können.

Wie beurteilen Sie die crossfunktionale ­Zusammenarbeit?

Steigerwald: Wir verstehen unser Business als Mannschaftssport. Die Breite und Tiefe unserer Wertschöpfung setzt voraus, dass wir eng und zielorientiert zusammenarbeiten müssen. Das haben wir schon vor vielen Jahren erkannt und unsere Systeme und Abläufe darauf ausgerichtet.

Maygraber: Das war ein durchaus mühsamer, aber erfolgreicher gemeinsamer Weg. Heute funktioniert der Informationsfluss, genauso wie unsere Einbindung bei neuen Technologien. Das betrifft nicht nur die Einkaufs-Matrix oder die Vereinheitlichung von Dokumenten, sondern auch das Thema Global Sustainability. Wir können heute rechtzeitig eingreifen, wenn ein Lieferpartner ungeeignet ist oder ein Ausfall droht. Über das Produktmanagement wissen wir zudem von Neuentwicklungen, der strate­gischen Ausrichtung, ob eine neue Lösung am Start ist, wir ein neues Shuttle bauen oder wir neue Technologien prüfen. Über das Category Management werden wir unmittelbar aktiv, mit Blick auf Risk-Management, Konditionsharmonisierung oder den Abgleich der eingesetzten Artikel.

Vita Notker Steigerwald

Notker Steigerwald verantwortet bei SSI Schäfer das weltweite Geschäft mit automatisierten Intralogistiklösungen – von einfachen Hochregallägern bis hin zu hochkomplexen und hochperformanten Goods-to-Person- und Mixed-Case-Palletizing-Anlagen. Diese Aufgabe hat er Ende 2020 übernommen und bringt dabei über zwölf Jahre Intralogistikerfahrung ein.

Welche Felder betrifft der Technologiewandel und wie verändert er Ihre Wertschöpfungsketten?

Steigerwald: Über die letzten zehn Jahre hat der Anteil an nicht intelligenten Komponenten an unseren Lösungen stetig abgenommen und wird weiterhin abnehmen. Das bedeutet zunehmend mehr Elektronik, mehr zentrale beziehungsweise dezentrale Intelligenz.

Maygraber: Durch den Einsatz von mehr Elektronik mit immer besseren Lösungen bis hin zu KI wird hoffentlich – nachgelagert zu dieser ganzen Situation –auch ein globales Umdenken hinsichtlich der Beschaffungsstrategien stattfinden. Wir haben ein gutes Beispiel bei uns in Österreich, in Kärnten, wo Infineon die Chip-Produktion noch einmal massiv verstärkt hat. Alles auf eine Karte zu setzen, die sich nicht in Europa befindet, halte ich persönlich für den falschen Weg. Wir hatten die Ausfälle in Fabriken in Japan, haben die Energierationierung in China und vieles mehr, das alles hat Auswirkungen auf die globale Supply Chain und ich hoffe, dass auch die Vorlieferanten für Elektronikkomponenten wieder verstärkt in Europa investieren bzw. ihre Beschaffungsstrategie überdenken. Natürlich muss der Kunde dann vielleicht etwas mehr zahlen, aber er gewinnt eine nachhaltige Versorgungssicherheit und einen besseren ökologischen Fußabdruck, weil die Ware nicht mehr quer über den Globus transportiert wird.

Da höre ich den Wunsch heraus, die Lieferketten zu deglobalisieren?

Steigerwald: Wir müssen sicherstellen, dass wir unsere Lieferketten managen können und auch deren Vorteile und Risiken sorgfältig gegeneinander abwägen. Eine Beschaffungsstrategie ‚Global – Koste es, was es wolle‘ ist dabei oft nicht die wirtschaftlichste Lösung. Gerade in den jetzigen Zeiten zeigt es sich, dass ein Unternehmen oftmals krisenresistenter ist, wenn seine Lieferketten nicht zu weit gespannt sind. Zumal die jüngsten Entwicklungen bei den Frachtkosten die Kalkulationen für den Bezug aus Asien in einem anderen Licht erscheinen lassen. Wir sehen teilweise auch bei Kunden, dass Fertigungen nach Europa zurückgeholt werden, weil einerseits die Kalkulation es erlaubt und andererseits Nachhaltigkeit mittlerweile mehr als ein Marketingslogan ist.

Das Unternehmen: SSI Schäfer

SSI Schäfer ist einer der weltweit größten Anbieter von Produkten und Systemen für den innerbetrieblichen Mate­rialfluss. Das global aufgestellte Unternehmen hat 10 500 Mitarbeitende. Zum Leistungsspektrum gehören manuelle, teil- und vollautomatische Systeme, die eigene Logistiksoftware WAMAS und SAP-Lösungen sowie Customer Services.

Welche Rolle spielen solche Betrachtungen für Ihre eigene Beschaffung?

Steigerwald: Wir haben uns als erster Intralogistikanbieter der weltweiten Initiative ‚50 Sustainability and Climate Leaders‘ angeschlossen, konnten bereits zahlreiche Aktivitäten im Bereich der Nachhaltigkeit umsetzen und tun das weiterhin. Zudem gewinnt der verantwortungsvolle Umgang mit Ressourcen auch für unsere Kunden bei der Entscheidung für einen Systempartner an Bedeutung.

Müssen Sie für nachhaltige Konzepte ­Lieferanten wechseln?

Maygraber: Im Rahmen unseres globalen Warengruppenmanagements analysieren wir unseren Lieferantenstamm, erarbeiten Messkriterien für eine globale Bewertung und führen unsere lokalen Erfahrungen zusammen. Viel Input kommt aus der Technik, die Alternativen empfiehlt, die wir systematisch prüfen. Gerade im technischen Bereich klopfen immer wieder Start-ups an, die oft aber die Vorgaben unseres Risikomanagements nicht erreichen. Für diese Fälle haben wir ein Sourcing Decision Board implementiert, über das wir mit dem Produktmanagement, der Technik, gegebenenfalls auch mit dem C-Level das Risiko bewerten und entscheiden. Diese systematisierten Meetings sind eine große Hilfe, da ein Start-up schließlich mit uns wachsen kann.

Ein alternatives Onboarding für Start-ups. Welche Erfahrungen haben Sie damit ­gemacht?

Maygraber: Wir wollen den Bewerbungsprozess für Lieferanten grundsätzlich weiter optimieren, unter anderem mit einem Onlineportal, das gerade in der Umsetzung ist. Würden wir von vornherein Start-ups ausschließen, würde es viele großartige Lösungen nicht geben und wir würden uns die Möglichkeiten entgehen lassen, diese bei uns umzusetzen.

Empfinden Sie Ihre Lieferkette als ­transparent genug?

Maygraber: Sie wird transparenter. Wir haben im Einkauf Ressourcen geschaffen, die nichts anderes machen, als sich mit der Liefer-Performance der Lieferanten zu beschäftigen. Durch dieses proaktive Nachfassen bei unseren Schlüssellieferanten erkennen wir, wer auf die falschen Pferde gesetzt hat. Das trifft auch die großen Player der Branche, die uns in Gesprächen signalisieren, dass ihre Strategie für die Vorlieferanten oder auch die Vertragsgestaltung für wesentliche Schlüsselkomponenten nicht optimal war. Hier werden wir Empfehlungen abgeben hinsichtlich der Optimierung der Lieferkette. Wir sind als SSI Schäfer ein gewichtiger Kunde und können bei den Vorgaben proaktiv mitwirken.

Steigerwald: Was wir erkennen ist, dass die große Risikoanalyse, bevor man in eine Partnerschaft geht, plus die jährlichen Gespräche extrem wichtig und sinnvoll sind für eine beidseitige Transparenz. Elektro­nische Schnittstellen von der Bestellung bis zur Abwicklung unterstützen hier zusätzlich einen sehr viel dichteren Bezug und erlauben, die Performance zu halten. Hinzu kommen die Warengruppenmanager, die Beziehungen zu Lieferanten aufbauen, da kommt man in eine Nähe, die eine ganz andere Transparenz ermöglicht.

Stichwort Lieferkettengesetz. Bekommen Sie ein Open Book für Ihre Lieferkette?

Maygraber: Wir haben seit Anfang 2021 einen Fachbereich Global Sustainability und implementieren hinsichtlich Nachhaltigkeit ein Audit Team. Da werden die Lieferanten mitgehen müssen. Oder wir müssen Konsequenzen ziehen, das ist eine klare Vorgabe. Auch unsere Kunden erwarten das von uns als SSI Schäfer. Uns ist die Einhaltung der Gesetze, der Arbeitssicherheit schon immer wichtig und wir haben auch in der Vergangenheit einzelne Lieferanten ausgelistet, die die Prinzipien nicht eingehalten haben. Durch das Gesetz und die spezifischen Audits bekommen wir als Einkauf nun die Tools und Möglichkeit in die Hand, dies flächendeckend umzusetzen, was ich durchaus begrüße.

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