Schriftzug Smart Contract mit illustrierenden Symbolen drumherum drapiert

Was macht Smart Contracts so smart? (Bild: Tierney/Adobestock)

Viele Verträge existieren nur in Papierform oder bestenfalls als digitalisierte Dokumente in Vertragsarchiven. Das führt angesichts vieler Beteiligter in der Lieferkette zu großen Problemen. Mit Smart Contracts behalten alle den Überblick. Ohne viel Programmieraufwand lassen sich Regeln und Alerts individuell hinterlegen.

Zentrale Plattformen zur digitalen Zusammenarbeit scheinen auf den ersten Blick bequem. Aber: Sie konzentrieren Marktmacht, beeinflussen die Kosten einer Transaktion und haben Zugriff auf fremde Daten. „Dem kann nur dann Einhalt geboten werden, wenn sich die einzelnen Anbieter selbst in die Lage versetzen, ihre Leistungen mit anderen Marktteilnehmern zu vernetzen und kombinierte Angebote anzubieten“, sagt Prof. Michael Henke, Institutsleiter am Fraunhofer IML, Dortmund.

Genau dabei soll die Technologie Blockchain helfen. Sie soll Funktionen und Übereinkünfte abbilden, ohne dass sich die Anwender zentralen Plattformen ausliefern. Als Fundament eignet sich kooperative Ökosysteme wie das Evan Network aus Dresden mit dezentral betriebener Infrastruktur. Ein solches System kennt die Inhalte nicht und verfolgt keine (verborgenen) Eigeninteressen.

Definition: Was sind Smart Contracts?

Smart Contracts, zu Deutsch intelligente Verträge, basieren auf Computerprotokollen. Sie sind also digitale Verträge, bei denen Papier der Vergangenheit angehört. Zwar sind Smart Contracts vergleichbar mit herkömmlichen Verträgen, wie sie zum Beispiel beim Autokauf oder bei einer neuen Arbeitsstelle abgeschlossen werden.

Sie haben jedoch entscheidende Vorteile: Sie kosten weniger Geld und sind effizienter. Menschliche Fehlerquellen sind nahezu ausgeschlossen. Die wohl bekannteste Blockchain-Plattform, die Smart Contracts anbietet, ist Ethereum. Aber auch Ripple und Mastercoin bieten Smart Contracts auf Basis von Blockchain an. Daneben gibt es auch Smarte Verträge über die Cloud.

Smart Contracts mit Blockchain

Die Blockchain-Technologie sorgt dafür, dass Informationen und Unterlagen zu Transaktionen zwischen zwei oder mehreren Geschäftspartnern komplett digital ausgetauscht werden – medienbruchfrei, verschlüsselt, nicht manipulierbar, für alle Beteiligten nachvollziehbar.

Smart Contracts basieren auf Quellcodes. Sie reagieren flexibel auf Änderungen jeweiliger Rahmenbedingungen, und zwar ohne händisches Eingreifen. Algorithmen steuern den Informationsfluss variabel über den Produktlebenszyklus eines Vertrags hinweg.

Abgekoppelte Datensilos und die damit einhergehenden Gefahren (Aktualität, Sicherheit, Recht, Compliance) gehören damit der Vergangenheit an. Die Beteiligten behalten ihre Datenhoheit. Und sie und sparen enorm viel Zeit, was überdies Wettbewerbsvorteile bedeutet.

Beispiel Kapazitäts- und Bedarfsänderungen

Änderungen in den Kapazitäten und Bedarfen werden traditionell via Mail, (Web-)EDI oder oft gar nur telefonisch an den Tier 1 bzw. weitere an die Lieferkette angedockten Lieferanten übermittelt.

Die Nachteile eines solchen ineffizienten analogen „Netzwerks“ liegen auf der Hand. Jede Veränderung des Marktes potenziert Gefahren. Dazu zählen nicht nur Abweichungen in Sachen Qualität und Liefertreue, sondern auch auch Trends, Innovationen, Strategien der Wettbewerber und unvorhersehbare Einflussfaktoren – wie ein weltumspannender Virus.

Durch Smart Contracts werden Einkauf und Lieferpartner in die Lage versetzt, auf gleiche Daten und aktuelle bzw. auch auf angepasste Informationen zuzugreifen. Einzelnen lassen sich individuelle Aufgaben zuweisen. Ob und wann diese erledigt wurden, wird sofort sichtbar. Partiell kann auch „Dritten“ Zugang zu für sie relevanten Infos gegeben werden, etwa Wartungstechnikern oder Dienstleistern wie dem TÜV, der zum Beispiel die Echtheit der von Lieferanten genannten Zertifizierungen bestätigen soll.

Alle (oder berechtigte) Mitarbeiter im Einkauf haben gleichzeitig Überblick über Anfragen, Verträge, Bestellungen und Bestätigungen. Die neutrale Blockchain-Technologie schafft auf horizontaler Ebene für eine Vielzahl Beteiligter Transparenz, Sicherheit und Vertrauen.

Smart Contracts über die Cloud

Es geht auch ohne Blockchain: Cloud-basierte Technologien ermöglichen ebenfalls die Umsetzung von Smart Contracts auf Basis regelbasierter Prozesse, die Festlegungen eines Vertrags umsetzen – über den ganzen Lebenszyklus hinweg. Auch hier läuft alles digital von Ausverhandlung über Kontrolle bis Verifikation der Erfüllung der Vertragspflichten.

Bei Dienstleister Fabasoft, Linz, authentifiziert sich jeder Benutzer beim Einloggen. Auch hierbei werden sämtliche (Vertrags-)Dokumente transparent, nachvollziehbar und revisionssicher abgelegt. Vertragsmanagement-Lösungen sollten schnelles Modellieren der Vertragsrechte und -pflichten sowie die automatisierte Überprüfung und Durchsetzung ermöglichen.

Digitalisierungsexpertin Anja Wilde rät generell zu Smart Contracts. Sie bevorzugt bei der Arbeit in Netzwerken tendenziell die Blockchain-Technologie, sieht aber auch bei Cloud-Lösungen angebotsspezifische und prozessabhängige Potenziale. „Jedes Unternehmen sollte grundsätzlich bestrebt sein, Schnittstellen zu harmonisieren und Datensilos zu beseitigen – und das möglichst bald.“ Das zuweilen für viele noch schwer verdauliche Thema „Blockchain“ werde sich nicht durch Abwarten erledigen. Im Gegenteil: „Wer jetzt mitmacht, profitiert früher von Erfahrungen“, so Anja Wilde.

Das bestätigt auch Heiko Hackel, bis Frühjahr 2020 Head of Strategic Sourcing Bioprocess Solutions bei Sartorius Stedim Biotech aus Göttingen und heute Berater in Sachen Blockchain und Risk Management im Einkauf: „In welchen Bereichen Blockchain nachhaltig Sinn macht, muss jedes Unternehmen selbst definieren. Aber wer nichts selbst anpackt, lernt auch nichts.“

Hackel begann im August 2018 mit Unterstützung des Dresdner Start-ups Evan. Im Fokus: Smart Contracts. Im März 2019 arbeitete dann mit Trelleborg Sealing Solutions der erste Tier 1-Lieferant mit den smarten Verträgen. Der Vorbereitungsaufwand lag dort „im Stundenbereich“.

„Inzwischen hat jedes Unternehmen in der Lieferkette eine digitale Identität auf der Blockchain-Plattform angelegt“, berichtete Hackel auf dem Supply-Chain-Gipfel Exchainge 2019. Kosten pro Vorgang: „etwa 0,01 Cent“. Anderer Effekt: Sartorius Bioprocess Solutions erkennt Qualitätsprobleme frühzeitig und kann zeitnah eingreifen.

Smarte Verträge eignen sich auch für KMU

Ein Netzwerk für Smart Contracts lässt sich rasch über die Schnittstellen der ERP-Systeme knüpfen. Der Digitalisierungsgrad einer Firma ist nicht entscheidend. Anja Wilde: „Auch kleine Unternehmen, die noch die meisten Aktionen manuell bearbeiten, können den Einstieg bequem über eine Web- oder App-Anwendung schaffen. Jeder kann so Vorteile wie abgesicherte Prozesse, transparente Kommunikation und Manipulationssicherheit generieren.“

Zudem erfahren Unternehmen, was Kunden von ihnen erwarten, das sind Zusatzinformationen, die auch Vertrieb und Marketing erfreuen. „Spannend wird es in Zukunft, wenn verschiedene Technologien vernetzt werden und sich so intelligent auch Wissen für alle smart aufbereiten lässt“, sagt Anja Wilde. „Das ist die Königsdisziplin, bei der alle gemeinsam lernen.“

Einkauf als Vorreiter in Sachen smarte Verträge

Jan-Henner Theißen, Gründer der Einkaufsberatung TargetP!, sieht den Einkauf als Keimzelle für erste Schritte in Richtung Blockchain und Smart Contracts. Dieser erhalte kostengünstig neue Werkzeuge, „und das relativ schnell, unkompliziert und effizient, verglichen mit oftmals kostspieligen EDI- und ERP-Projekten“.

Theißen: „Das alles bedarf keines großen Projektes. In Summe liegt man bei einfacher Umsetzung im vierstelligen Bereich und bei mittelschwerer Systemintegration via API im mittleren fünfstelligen Bereich.“ Kein Grund, also, das Thema auf die lange Bank zu schieben.

Für wen lohnen sich Smart Contracts?

  • Unternehmen, die in stark regulierten Märkten agieren,
  • sich gegen Risiken (z.B. bei Zertifikaten, Compliance-Themen) absichern wollen (Branchen wie Medizintechnik, Automotive, Luftfahrt, Pharma),
  • hohe Lost Sales durch Lieferausfälle haben (wie Textilindustrie),
  • mehrere hundert bzw. tausend und mehr aktive Tier 1-Lieferanten haben und Standards schaffen wollen.

Für wen lohnen sich Smart Contracts nicht?

  • Bei überschaubarem Lieferantenstamm.
  • Wenn keine branchenspezifischen Regularien (z.B. bei der Herstellung) gefordert sind.
  • Wenn keine Normteile hergestellt werden.

Quelle: Jan-Henner Theißen, TargetP! (Berlin)

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