Beschaffung in Großbritannien: Länderanalyse für Einkäufer
Gerd MeyringGerdMeyring
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Unter Beschaffung in Großbritannien ist nicht nur Christmas Shopping in London zu sehen. Was Einkaufsprofis wissen sollten.(Bild: Sampajano-Anizza - stock.adobe.com)
Großbritannien fällt nach dem Brexit aus der Liste der beliebtesten Beschaffungsländern deutscher Einkäufer. Wir sagen, was Sie trotzdem beachten müssen.
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Die britische Wirtschaft ist laut IMF (Weltwährungsfonds) die sechstgrößte der Welt - mittlerweile hinter Indien. Seit dem Austritt des Landes aus der Europäischen Union am 29. März 2019 hat sich die wirtschaftliche Situation jedoch nicht zu ihrem Vorteil entwickelt. Hinzu kamen die Coronapandemie sowie die Energiekrise.
Das durchschnittliche Pro-Kopf-BIP hat seit 2007 die 50.000-Dollar-Grenze nicht mehr überschritten. Der IMF verzeichnet allerdings eine Steigerung ab 2023.
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Allerdings verlor das Pfund gegenüber dem Euro seit dem Brexit-Votum stark an Wert. Aktuell liegt er durch die Inflation bei 1,16 Euro (Stand: 30.7.2025). Der Konsum ist neben dem Finanzsektor eine der wichtigsten Triebkräfte des britischen Wirtschaftswachstums. Die Industrie trägt nämlich nur rund 14 Prozent zur Wirtschaftsleistung bei.
Wirtschaftliche Fakten zur Beschaffung in Großbritannien
Offizieller Name
United Kingdom of Great Britain and Northern Ireland / Vereinigtes Königreich Großbritannien und Nordirland
Hauptstadt
London
Amtssprache
Englisch
Bevölkerung 2025
69,6 Millionen
Bruttoinlandsprodukt 2025
3,84 Milliarden US-Dollar (Schätzung IWF)
Bruttoinlandsprodukt pro Kopf 2023
49.463 US-Dollar
Wirtschaftswachstum 2022/2023/2024
+4,8% / +0,3% / +1,1%
Inflationsrate 2022/2023/2024
9,07% / 7,3%/ 2,53%
Importe 2024
906 Mrd. Pfund
Exporte 2021
868 Mrd. Pfund
Deutsche Importe aus Großbritannien 2023
66 Mrd. Euro
Deutsche Exporte nach Großbritannien 2023
76 Mrd. Euro
Freihandelsabkommen
EU-Mitglied (bis 29.3.2019)
Beschaffung in Großbritannien: Die wichtigsten Ausfuhrgüter
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Der mit Abstand wichtigste Handelspartner Großbritanniens ist die USA, dahinter kommt Deutschland. 8,66 Prozent der britischen Exporte gingen 2021 nach Deutschland.
Besonders eng sind die Beziehungen zwischen britischen Zulieferern und deutschen Automobilbauern. Nach Angaben des Verbands der Automobilindustrie hatten deutsche Kfz-Zulieferer rund 100 Fertigungsstätten im Vereinigten Königreich - vor dem Brexit. Britische Maschinenbauer lieferten 2016 Produkte im Wert von 2,4 Milliarden Euro nach Deutschland. Bei britischen Elektronikherstellern beschafften deutsche Einkäufer sogar Waren im Wert von 4,3 Milliarden Euro. Seit dem Brexit sind das jedoch deutlich weniger geworden.
Ausfuhrgüter
Prozentualer Anteil an den britischen Exporten weltweit
Gold
9,22%
Straßenfahrzeuge
8,59%
Kraftmaschinen und - ausrüstungen
7,12%
Erdöl
6,44%
Arzneimittel
6,11%
NE-Metalle
4,68%
Die wichtigsten Rohstoffe bei der Beschaffung in Großbritannien
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Die Erdöl- und Erdgasreserven Großbritanniens sind seit dem Ende der neunziger Jahre weitgehend aufgebraucht, neue Felder wurden nur spärlich erschlossen. Das Gleiche gilt für Rohstoffe wie Eisenerz, Kohle und Zinn, die einst die industrielle Revolution im Vereinigten Königreich befeuerten.
Produktivität, Qualität und Kosten im Beschaffungsland Großbritannien
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Die Löhne britischer Arbeitnehmer steigen derzeit zwar langsamer als die Inflation. Die mittelmäßige Produktivität der Unternehmen im Vereinigten Königreich wird dadurch jedoch nicht besser. Diese leidet neben den niedrigen Forschungs- und Entwicklungsausgaben Großbritanniens an dem außerhalb der Eliteschulen und -universitäten schlechten Schulwesen und der rückständigen Berufsausbildung.
Die Abwertung des Pfunds im Zuge des Brexit verhindert darüber hinaus dringend erforderliche Investitionen. Das IW Köln prognostizierte daher, dass Neuanschaffungen britischer Firmen bis 2020 um 30 Prozent gegenüber der Zeit vor dem Brexit-Votum zurückgehen werden. Zudem erwartet jeder dritte britische Unternehmer, dass er nach dem EU-Austritt Schwierigkeiten haben wird, ausreichend Mitarbeiter zu finden. Denn: Großbritannien werde dann den Zuzug von Arbeitskräften aus EU-Staaten behindern, so eine Umfrage des Meinungsforschungsinstitutes Ipsos Mori.
Dieser Mangel an Fach- ebenso wie niedrigqualifizierten Kräften wird der Wettbewerbsfähigkeit der britischen Wirtschaft genauso schaden, wie die ab 2019 einzuhaltenden Zollverfahren. Denn diese stören die komplexen Lieferketten zwischen Unternehmen in der EU und britischen Zulieferern, denn viele Komponenten überqueren heute drei- oder viermal den Ärmelkanal, bevor sie endgültig verbaut werden.
Durchschnittlicher Monatslohn im verarbeitenden Gewerbe
3.000 US-Dollar
Analphabetenquote
keine Angabe
Durchschnittliche Dauer des Schulbesuchs
13,3 Jahre
Anteil der Bevölkerung mit sekundärer Schulbildung
82,9%
Anteil der Bevölkerung mit Universitätsabschluss
47,8%
Human Development Index 2021
Platz 11 von 188
Global Competitiveness Index 2021
81,2 von 100
Offizielle Arbeitslosenquote 2021
4,5%
Arbeitsproduktivität im EU-Vergleich (Durchschnitt der EU-28 = 100; Deutschland = 105,1)
100,6%
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Beschaffung in Großbritannien: Infrastruktur und Logistik
Das Autobahnnetz des Vereinigten Königreiches kann da nicht mithalten. Mit nur 3.500 Kilometern müssen sich die Motorways der zweitgrößten Volkswirtschaft der EU dem deutschen Autobahnnetz um knapp gut tausend Kilometer geschlagen geben. Auch das Schienennetz auf der britischen Hauptinsel ist mit gut 16.500 Kilometern erheblich kürzer als das deutsche mit gut 43.000 Kilometern. Außerdem sind wichtige Strecken wie die Great Western Main Line zwischen Bristol und London nicht elektrifiziert.
Das größte Risiko auf dem Beschaffungsmarkt Großbritannien war der EU-Austritt am 1. Februar 2020. Die Übergangsphase endete am 31. Dezember 2020. Ein Handels- und Kooperationsabkommen wurde seit Anfang Januar 2021 vorläufig angewandt und am 28. April 2021 durch die EU-27 ratifiziert.
Seit dem 1. Januar 2021 gilt es trotz des Freihandelsabkommens zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich jedoch etliches zu beachten. Immerhin: Mit dem Abkommen wird abgewendet, dass für EU-Waren die Zollsätze der Welthandelsorganisation angewendet werden müssen. Für Waren, die in der EU hergestellt werden, besteht Zollfreiheit. Auf der anderen Seite werden auch Ursprungswaren des Vereinigten Königreichs zollfrei in die EU importiert werden können.
Für Waren, die nicht in der EU oder im Vereinigten Königreich hergestellt werden, gelten allerdings andere Regeln. Wird also eine Ware aus Ländern wie China oder den Vereinigten Arabischen Emiraten bezogen und von Deutschland nach Großbritannien verschickt, so ist hier mit Zollabgaben zu rechnen. Den dann geltenden Zolltarif hat das Vereinigte Königreich am 19. Mai 2020 veröffentlicht. Er entspricht weitgehend dem EU-Zolltarif, sieht jedoch in einigen Bereichen Änderungen vor.
Quellen: gtai, Auswärtiges Amt, UNESCO, UNDP, WEF, IMF
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