
Energieeffizienz stellt den Einkauf vor neue Aufgaben. (Bild: jozsitoreoe/AdobeStock)
Nein! Sie wolle Donald Trump nicht treffen, wenn sie Ende September am Nachhaltigkeitsgipfel der Vereinten Nationen in New York teilnimmt, erklärte Greta Thunberg vor ihrer Atlantiküberquerung Mitte August. Wenn der US-Präsident Wissenschaftlern nicht zuhöre, so die schwedische Klimaaktivistin, warum solle er dann ihr Gehör schenken. Zeitverschwendung also.
VDMA-Präsident fordert Co2-Abgabe in Höhe von 110 Euro
Ob die 16-Jährige mit der gleichen Begründung auch ein Gespräch mit dem Präsident des Verbandes Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA), Carl Martin Welcker, ablehnen würde? Immerhin erklärte der kürzlich in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung, dass sich zunächst andere um den Klimaschutz kümmern sollen – nicht die deutsche Industrie.
Welcker fordert eine Co2-Steuer in Höhe von 110 Euro pro Tonne Kohlendioxid, „allerdings nur für Sektoren, die nicht dem EU-Emissionshandelssystem unterliegen“. Verschmutzungsrechte wären damit über vier Mal so teuer wie heute an der Börse gehandelte Co2-Zertifikate. Zu deren Erwerb sind der Europäischen Kommission zufolge Stromerzeuger, Airlines und Betriebe der chemischen sowie verarbeitenden Industrie verpflichtet.
Kaum Fortschritte bei der Energieeffizienz
Gerade deutschen Unternehmen stünde es gut an, mehr für den Klimaschutz zu tun, findet die auf Nachhaltigkeit spezialisierte Ratingagentur ISS. Sie bewertet die Klimaschutzpolitik von 24 der 30 DAX-Konzerne als mangelhaft.
Zu einem ähnlichen Ergebnis kommen die Deutsche Unternehmensinitiative Energieeffizienz und das Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung. Sie messen in einem Teilindex ihres „ODYSSEE-MURE-Rankings“ zur Energieeffizienz in den 28 EU-Staaten, welche Fortschritte Unternehmen bei der effizienten Nutzung von Energie machen. Deutschland landete dabei zuletzt auf dem 26. Platz – nach Italien.
Energieeffizienz wächst im Gleichschritt mit der Wertschöpfung
Zahlen des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWi) bestätigen das schlechte Ergebnis: Sie zeigen, dass die Produktivität der Energienutzung in der deutschen Industrie zwischen 1991 und 2016 im Schnitt nur um 1,1 Prozent pro Jahr und damit im gleichen Maß zulegte wie die Bruttowertschöpfung der Betriebe.
Die Unternehmensberater der Boston Consulting Group (BCG) kommen daher in einer Studie im Auftrag des BMWi zu dem Schluss, dass „in vielen Industriezweigen bislang noch nicht ausgeschöpfte Effizienzpotenziale“ bestehen.
Investitionsbereitschaft so groß wie noch nie
Dass das so nicht bleiben kann, wissen die Unternehmen. Zu Jahresbeginn zeigte der Energieeffizienz-Index EEI, mit 2,24 Punkten die seit Start des Indikators größte Bereitschaft deutscher Firmen, in Maßnahmen zur produktiveren Nutzung von Energie zu investieren.
Den Index erstellt die Deutsche Energie-Agentur (DENA) gemeinsam mit dem Bundesverband der Deutschen Industrie, dem Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung, der Uni Stuttgart sowie dem TÜV Rheinland.
Energieeffiziente Unternehmen sind wettbewerbsfähiger
Die Unternehmen haben verstanden, dass sie nur wettbewerbsfähig bleiben, wenn sie ihre Energieeffizienz verbessern. Immerhin sind die Preise für Strom, Erdgas und Heizöl für die Industrie in den vergangenen Jahren um bis zu 490 Prozent gestiegen, berichtet die DENA.
Zugleich kostet das Recht, eine Tonne Kohlendioxid zu emittieren, heute 26 Euro – mehr als fünf Mal so viel wie noch 2016. Künftig werden die Verschmutzungsrechte sogar noch teurer. Denn die EU verringert die Zahl der verfügbaren Zertifikate bis 2030 deutlich.
Industrie trägt noch nicht ausreichend zum Klimaschutz bei
Hinzu kommt in Deutschland unter Umständen eine nationale Kohlendioxidabgabe. Diese dürfte anders als von VDMA-Chef Welcker gefordert auch die Industrie treffen. Wenn die Bundesregierung den Ausstoß von Treibhausgasen in Deutschland bis 2050 um rund die Hälfte gegenüber dem Wert von 1990 reduzieren will, müssen dazu auch Industriebetriebe beitragen. Sie stoßen bislang erst ein Drittel weniger Klimagase aus als 1990.
Investitionen bringen Renditen von über 180 Prozent
Unternehmen, die ihrer Verantwortung für die Erdatmosphäre nachkommen wollen, können Strom und fossile Brennstoffe einsparen, oder die Energie effizienter nutzen, die sie verbrauchen. Idealerweise investieren sie in Anlagen, Komponenten und Prozesse, mit denen sie beide Ziele zugleich erreichen.
Wie das geht, hat Volkswagen in seinem Werk in Emden gezeigt. Seit der Erneuerung von 20 Lüftungsanlagen braucht der Autobauer 7119 Megawattstunden Strom pro Jahr weniger als vor der Investition. Die Stromkosten sanken um 80 Prozent. Das entspricht einer Kapitalrendite von 71 Prozent. VW schaffte dazu energieeffiziente Motoren und Ventilatoren mit Direktantrieb sowie Mess-, Steuer- und Regelungstechnik an, die die Leistung der Anlage an die Belüftungsbedürfnisse der Halle anpasst.
Die Mühlheim Pipecoatings GmbH, Weltmarktführer für längs- und spiralnahtgeschweißte Großrohre erzielte mit einer Investition von gut 60.000 Euro sogar eine Kapitalrendite von 185 Prozent. Der Mittelständler beschaffte eine neue Absorptions- und Kältetrocknung. Diese nutzt einen Luft-Luft-Wärmeüberträger, der die bei der Beschichtung der Rohre benötigte Druckluft mit Hilfe der Umgebungsluft kühlt. Das spart den Mühlheimern im Jahr fast 113.000 Euro Betriebskosten.
Effiziente Elektromotoren sparen fünf Milliarden Euro Stromkosten
Im Schnitt können Unternehmen mit sparsameren Druckluftanlagen der DENA zufolge rund die Hälfte ihrer Betriebskosten sparen. Drehzahlgeregelte Pumpen sowie die Anpassung von deren Förderhöhe und –menge senken die Kosten um ein Drittel, energieeffiziente Lüftungsanlagen durchschnittlich um immerhin ein Viertel.
Würden deutsche Betriebe alle veralteten Elektromotoren durch Antriebe der Effizienzklasse IE3 mit Drive Controllern zur Drehzahlregelung ersetzen, könnten sie 33 Terrawattstunden Strom oder fünf Milliarden Euro im Jahr einsparen, rechnet der Zentralverband Elektrotechnik- und Elektronikindustrie vor.
Effiziente Beleuchtung, Heizung und Gebäudedämmung senken Kosten um bis zu 70 Prozent
Würden Betriebe außerdem in die Jahre gekommene Beleuchtungsanlagen in ihren Hallen abnehmen und LED-Lampen mit elektrischen Vorschaltgeräten und Bewegungsmeldern installieren, sänken ihre Beleuchtungskosten um 70 Prozent.
Würden sie dann noch Fabrik- und Bürogebäude dämmen, wärmeisolierende Fenster einbauen und alte Heizkessel durch Blockheizkraftwerke austauschen, würden auch ihre Immobilien bis zu 60 Prozent weniger Energiekosten verursachen.

Energiebeschaffung und Effizienz gehören in eine Hand
All diese Maßnahmen können Facility Manager und Produktionsleiter ohne die Einkaufsabteilung umsetzen. Zwei Drittel der für den aktuellen EEI befragten Verantwortlichen halten es jedoch für erfolgsentscheidend, dass die Planung und Durchführung von Investitionen in die Energieeffizienz und die Energiebeschaffung (Strom und fossile Brennstoffen) in einer Hand liegen.
Für den Einkauf entsteht durch die Notwendigkeit, den Energieverbrauch zu optimieren, also ein neuer Aufgaben- und Verantwortungsbereich.
Überblick erleichtert Verhandlungen mit Versorgern
Die Forderung der Umfrageteilnehmer kommt nicht von ungefähr. Wenn der Einkauf zur Energiesteuerzentrale im Unternehmen wird, hat er mehr Überblick über den Strom- und Gasbedarf.
Diese Informationen sind für die Beschaffung unerlässlich für Verhandlungen mit Lieferanten. Je genauer diese wissen, wann ein Kunde, welche Energiemenge benötigt, desto genauer können sie abschätzen, wie gut der Abnehmer mit seinem Versorgungsprofil in ihren Bilanzkreis passt.
Auf diesem virtuellen Energiemengenkonto gleichen sie den Bedarf ihrer Kunden mit der von ihnen erzeugten oder zugekauften Menge Gas oder Strom ab. Je näher der Saldo bei Null liegt, desto günstiger können sie Energie anbieten.
Lastmanagement vermeidet teure Bedarfsspitzen
Einkäufer berücksichtigen dies und tauschen nicht nur alte Druckluft- und Antriebssysteme aus, sondern führen parallel dazu ein Lastmanagement ein. Dieses vermeidet Verbrauchsspitzen, indem es vorgibt, welche Menge Strom oder Gas der Betrieb maximal verbrauchen darf.
Wird der Wert für eine festgelegte Zeit überschritten, schaltet das Lastmanagement vorab definierte Verbraucher ab. Das spart nach Angaben des RKW Rationalisierungs- und Innovationszentrums der Deutschen Wirtschaft zwischen fünf und 20 Prozent Energie. Zugleich sinken deren Kosten. Denn Versorger verlangen deutlich höhere Preise für Bedarfe, die über vereinbarte Abnahmemengen hinausgehen.
Künstliche Intelligenz steigert Energieeffizienz von Anlagen und Prozessen
Noch mehr spart der Einkauf, wenn er nicht nur die Energieeffizienz der Anlagen auf Vordermann bringt, sondern diese im Zuge einer Modernisierung auch an ein Energiemanagementsystem anschließt. Diese überwachen und regeln Maschinen und Prozesse mit Hilfe Künstlicher Intelligenz. Zugleich kommunizieren sie über die Cloud mit dem Energieversorger.
Algorithmen steuern Anlagen dabei so, dass diese möglichst wenig Energie verbrauchen. Sie erkennen stromfressende Fehlfunktionen und prognostizieren ausgehend von der Auftragslage und Produktionsplanung den künftigen Energiebedarf. Da sie Fertigung, Energieverbrauch und –bezug optimal aufeinander abstimmen, können sie Produktionsspitzen in Zeiten verlagern, in denen die Nachfrage beim Stromlieferanten und damit dessen Preise niedrig sind.
Einkäufer machen ihre Unternehmen so wettbewerbsfähiger und verringern deren Co2-Footprint. Für Great Thunberg wären sie damit hochinteressante Gesprächspartner.