Mann mit Tablet im Lager

Inventuren lassen sich digitalisieren. Wir sagen, wie es funktioniert. (Bild: Pressmaster - Shutterstock (via Inform))

Vollinventuren, bei denen jeder einzelne Artikel gezählt wird, sind längst nicht mehr zeitgemäß. Sie verursachen hohe Kosten, beeinträchtigen die Produktion und lassen sich nur schwer unter Corona-Bedingungen durchführen. Mit digitalen Lösungen und der Umstellung auf Stichprobeninventur sinken der Zählaufwand und die Kosten massiv.

Für Unternehmen sind Inventuren eine lästige Pflicht. Mindestens einmal pro Jahr müssen sie ihre gesamten Bestände erfassen und mit dem Warenwirtschaftssystem abgleichen – so will es das Gesetz. Der Zeit- und Arbeitsaufwand dafür ist enorm, weshalb sie häufig Mitarbeiter aus anderen Abteilungen abstellen oder externe Helfer anheuern, die dann in mühsamer Handarbeit tausende Teile zählen. Diese leisten oft Überstunden, damit der Inventurvorgang möglichst schnell abgeschlossen werden kann und die Auswirkungen auf den regulären Geschäftsbetrieb minimal bleiben. Dennoch lassen sich Lagerschließungen und Produktionsausfälle bei einer Vollinventur nicht vollständig vermeiden, wodurch zu den hohen Personalkosten auch Umsatzausfälle kommen.

Überdies stehen Unternehmen seit dem vergangenen Jahr vor der Herausforderung, ihre Mitarbeiter vor Corona zu schützen – allerdings sind Kontaktbeschränkungen nur schlecht mit dem dichten Personaleinsatz während einer Inventur vereinbar. Um den neuen Anforderungen gerecht zu werden, müssen Unternehmen die Zahl der Mitarbeiter im Lager reduzieren, auf Mindestabstände achten und zusätzliche Zeiten für das Desinfizieren einplanen, was den Erfassungsprozess deutlich verlängert. Spätestens jetzt, wo klar ist, dass uns Corona auch durch diese Inventursaison begleiten wird, sollten sie sich daher nach Alternativen zur stichtagsbezogenen Vollinventur umschauen.

Bereits seit 1977 ist mit der Stichprobeninventur ein vereinfachtes Verfahren handels- und steuerrechtlich zulässig, bei dem nicht sämtliche Artikel, sondern nur noch einzelne, zufällig gewählte Lagerpositionen ausgezählt werden. Dadurch sinkt die Inventurzeit um bis zu 90 Prozent und je nach Lager fällt die Menge der zu zählenden Teile um bis zu 95 Prozent geringer aus. Im Idealfall sind nur noch 31 Lagerpositionen zu zählen, sodass sich eine Inventur mit überschaubarem Personalaufwand in wenigen Stunden durchführen lässt.

Ohne genaue Bestandsführung geht es nicht

Ein Wechsel von der Voll- auf die Stichprobeninventur kann jederzeit erfolgen, allerdings ist die Stichprobeninventur an einige Voraussetzungen geknüpft. Das Lager muss mindestens 1.000 Positionen umfassen, womit sich das Verfahren vor allem für Industrie- und Großhandelsunternehmen sowie die zentralen Läger von Einzelhändlern eignet. Zudem sollte der Lagerbestand dem Pareto-Prinzip gehorchen, nach dem 20 Prozent der

Artikel etwa 80 Prozent des gesamten Lagerwertes ausmachen. In den meisten Lägern ist das der Fall, weshalb man auch vom „Lagerphänomen“ spricht. Üblicherweise werden die wenigen besonders wertvollen Positionen im Rahmen einer Vollaufnahme komplett gezählt und nur aus den restlichen Positionen, die hohe Stückzahlen und geringe Werte aufweisen, Stichproben gezogen.

Schließlich benötigen Unternehmen für eine Stichprobeninventur auch eine IT-gestützte, zuverlässige Bestandsführung. Diese stellt sicher, dass es nur geringe Abweichungen zwischen Soll- und Ist-Beständen gibt und mathematisch-statistische Schätz- oder Testverfahren zum Einsatz kommen können. Bei einer sehr genauen Bestandsführung, bei der maximal 1 Prozent der Lagerpositionen eine Differenz aufweisen, ist das der sogenannte Sequentialtest. Mit ihm wird die Genauigkeit der Lagerbestandsführung getestet. Dabei werden die gezählten Stichproben auf eine Differenz zwischen Soll- und Ist-Beständen hin überprüft. Das ist hocheffizient, weil nur wenige Stichproben benötigt werden, um die Genauigkeit der Bestandsführung zu bestätigen.

Sind die Inventurdifferenzen größer, liegen aber saldiert unter 2 Prozent des Lagerwerts, empfiehlt sich dagegen eine Differenzenschätzung, bei der die Abweichungen aus den Soll- und Ist-Beständen der Stichproben auf das gesamte Lager hochgerechnet werden.

Diese Hochrechnung ist genauer als das Ergebnis einer Vollinventur, weil sich beim händischen Zählen unweigerlich Fehler einschleichen – je mehr Teile zu zählen sind und je mehr Mitarbeiter involviert sind, desto mehr Zählfehler gibt es. Das Zählen der Stichproben für eine Differenzschätzung kann wahlweise zum Bilanzstichtag oder als permanente Stichprobeninventur durchgeführt werden. In dem Fall zählen die Mitarbeiter, die ohnehin im Lager arbeiten, die ausgewählten Lagerpositionen während ihrer normalen Arbeit.

Schlanke Inventurprozesse erfordern digitale Lösungen

Ob sich ein Lager für die Stichprobeninventur eignet und welches Schätz- oder Testverfahren eingesetzt wird, lässt sich im Vorfeld sehr zuverlässig mit einer geeigneten Software beziehungsweise in Zusammenarbeit mit erfahrenen Dienstleistern bestimmen. Basierend auf den Daten der letzten Vollinventur wird die Ordnungsmäßigkeit der Bestandsführung geprüft und die gesamte Stichprobeninventur simuliert. Parallel dazu sollten Unternehmen aber auch das Gespräch mit ihrem Wirtschaftsprüfer suchen, um den Umstieg auf Stichprobeninventur zu besprechen und sich das neue Verfahren bestätigen zu lassen.

Ist das Lager aufgrund zu großer Abweichungen zwischen den Buch- und Bestandsdaten nicht für eine Stichprobeninventur geeignet, beseitigen Unternehmen die Differenzen zunächst durch eine Vollinventur. Zudem können sie durch digitale Lösungen und Prozesse ihre Bestandsführung verbessern und Inventuren insgesamt effizienter und stressfreier gestalten.

Barcode-Scanner und andere tragbare Handgeräte helfen beispielsweise, sämtliche Ein- und Ausgänge im Lageralltag schnell und fehlerfrei zu erfassen sowie Artikel bei einer Inventur zügig und korrekt zu zählen. Mitarbeiter brauchen keine langen Artikel- oder Chargennummern mehr abzugleichen und berühren dank der kontaktlosen Scans seltener Waren oder Gegenstände. Dadurch lassen sich Hygienevorgaben leichter umsetzen, denn nach Schichtende müssen lediglich die Scanner desinfiziert werden.

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Wichtig ist, dass die Ein- und Ausgänge an Waren ohne Medienbrüche und manuelle Datenübertragungen im Lagerverwaltungs- oder ERP-System landen. Von dort bezieht die Inventursoftware über Add-ons oder Schnittstellen die Bestandsdaten, um sie vor der Umstellung auf Stichprobeninventur zu evaluieren beziehungsweise nach erfolgter Umstellung die zu zählenden Stichproben zu berechnen. Nach deren Zählung bereitet die Software das Inventurergebnis virtuell auf und stellt die Ergebnisse inklusive Berichten für die Wirtschaftsprüfer zur Verfügung.

In Kanallägern und Hochregallägern werden die als Stichprobe ausgewählten Lagerpositionen vorübergehend auf einen Kommissionierungsplatz verlegt, wo Mitarbeiter sie zählen können. Auch hier hilft Software bei der Planung und sorgt für eine automatische Umlagerung der Artikel im Nachtlauf, sodass sie am nächsten Tag für eine zügige Aus- und Einlagerung bereitstehen.

Fazit: Digitale Inventur senkt Kosten enorm

Zahlen aus der Praxis belegen, dass Unternehmen durch die Stichprobeninventur ihre Inventurkosten um bis zu 95 Prozent reduzieren und den Zählaufwand um bis zu 99 Prozent verringern. Die Zählungen sind oft sogar parallel zum Tagesgeschäft möglich, wodurch sich Lagerschließzeiten und Produktionsausfälle vermeiden lassen. Da sich durch den geringen Personaleinsatz auch Corona-Schutzmaßnahmen gut umsetzen lassen, gibt es eigentlich keinen Grund mehr, weiterhin auf teure und aufwändige Vollinventuren zu setzen.

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