
Lagerhaltung: Die Einkaufsaktivität geht zurück. (Bild: Pixabay)
Die Einkaufsaktivität in Deutschland ist zum Teil drastisch gesunken. Zwischen 10 und 50 Prozent gingen die Transaktionen zurück. Das besagen Zahlen der Mercateo-Plattform im B2B-Direktgeschäft bezogen auf die erste April-Woche im Vergleich zur ersten März-Woche 2020.
Als Grund nennen viele Beteiligte die Kostensperren, die Unternehmen verfügt haben. Einkaufsabteilungen reduzieren danach großteils Bestellungen auf geschäftskritische Bedarfe. Zudem werden Genehmigungsgrenzen gekürzt, zum Teil auf 10 Prozent des üblichen Budgets.
Dabei weist das Bild der Einkaufsaktivität deutlich regionale Unterschiede auf. Besonders betroffen sind danach Berlin, Brandenburg, Bremen, Hamburg und das Saarland. Hier liegen die Rückgänge zwischen 40 und 50 Prozent. Ebenfalls angeschlagen sind die Einkaufsabteilungen in Bayern, Baden-Württemberg, Hessen und NRW. Das liegt vor allem an deren Industriestruktur: Die Automobilindustrie und ihre Zulieferer fallen komplett aus.
Im Mittelfeld zu finden sind Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen mit 20 bis 30 Prozent Rückgang. Rheinland-Pfalz, Niedersachsen und Schleswig-Holstein dagegen halten sich mit 10 bis 20 Prozent noch weitgehend wacker. Die von Mercateo ausgewerteten Transaktionen bilden im Wesentlichen indirekte Bedarfe ab. Es betrifft also vornehmlich Materialien, die nicht in die Erzeugnisse eingehen.

BME-Umfrage: Einkauf fährt auf Sicht
Aktuelle Umfrage-Ergebnisse des Einkäuferverbands BME zeigen aber auch, dass die Industriebranchen unterschiedlich stark von der Pandemie betroffen sind und sich einzelne Zweige robuster als andere erweisen. „Die Kernherausforderung für den Einkauf und die Lieferketten ist die anhaltend hohe Dynamik von Covid-19, sodass „Fahren auf Sicht“ immer noch das Gebot der Stunde ist. Allerdings weist unsere Umfrage auch aus, dass die mit Corona einhergehenden Beeinträchtigungen der Lieferketten teilweise abflachen“, sagt Olaf Holzgrefe, Leiter International des BME. Wenn allerdings ein Systemlieferant ausfalle, könne schnell die gesamte Produktion in Gefahr geraten.
Die Krise in Einkauf und Lieferkette weitet sich weiter aus – wenn auch langsamer als im Rahmen der ersten BME-Umfrage Anfang April erwartet. Während die Zahl der Unternehmen, die starke Auswirkungen der Pandemie auf ihre Geschäftsaktivitäten wahrnehmen, mit insgesamt 22 Prozent fast unverändert bleibt, hat sich die Verteilung im Vergleich zur ersten Umfrage geändert.
Mehr Einkäufer von der Krise erfasst
So ist der Anteil der kritischen Beeinträchtigungen deutlich gewachsen. Und während vor drei Wochen noch 15 Prozent der Unternehmen keine negativen Effekte verspürt haben, sind es jetzt nur noch sieben Prozent. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Lieferketten von 53 Prozent der vom BME befragten Einkäufer inzwischen spürbar bis kritisch von der Krise erfasst worden sind. Als problematisch wird in diesem Zusammenhang insbesondere die Beschaffung von Schutzausrüstung für das eigene Unternehmen eingestuft.
Beim genaueren Blick auf die Lieferketten zeigt sich, dass 63 Prozent der befragten Einkäufer mit Lieferverzögerungen zu kämpfen haben – zum Vergleich: Anfang April waren es 70 Prozent. Der Anteil an Lieferausfällen hat jedoch zugenommen und liegt nun bei 22 Prozent Auffallend sei aber, dass inzwischen 28 Prozent der Einkaufsorganisationen sogenannte Back-up-Lieferanten aktiviert haben, um die Materialversorgung sicherzustellen.
Immer bedeutender wird auch das Thema „Liquidität“. Durch den Produktionsstopp in der Automobilindustrie sind für die Zuliefererindustrie zahlreiche Kunden weggebrochen. Viele Unternehmen produzieren allerdings weiter und erhöhen ihre Lagerbestände, um beim Wiederanlaufen der Fertigung die Nachfrage bedienen zu können und lieferfähig zu sein.
International sieht es düster aus
Der Blick des BME über Deutschlands Ländergrenzen hinweg zeigt ein nicht ganz eindeutiges Bild. So ist Italien weiterhin das Sorgenkind der Einkäufer. Einzig Unternehmen mit Systemrelevanz haben hier noch Optionen. Als Herausforderung sehen die Einkäufer darüber hinaus neben Frankreich auch Spanien; allerdings dürfte sich dort die Lage durch das Wiedereröffnen vieler Produktionsstätten auf der iberischen Halbinsel bald etwas entspannen.
Abgesehen von Lieferverzögerungen normalisiert sich die Situation auch auf dem chinesischen Beschaffungsmarkt wieder langsam. Die Lage im Beschaffungsmarkt Indien sowie im Absatzmarkt USA verschärft sich hingegen zunehmend. Gerade im internationalen Lieferverkehr sind neben den Produktionskapazitäten in der Region die Fracht- und Transportkapazitäten das dominierende Thema.
Transportkapazitäten in der Luftfracht sind knapp. Die Preise haben massiv angezogen“, berichtet Carsten Knauer, Leiter Logistik und Supply Chain Management des BME. Im Bereich der Europaverkehre sind seiner Einschätzung nach die Herausforderungen eher im Bereich von Grenzkontrollen und Quarantäne-Vorschriften für Lkw-Fahrer zu sehen. Lieferverzögerungen seien daher eine mögliche Folge. In einigen Bereichen hätten sich Bahntransporte als gute Alternative zum Lkw erwiesen.
Am Ende wagt der BME wieder einen Blick in die Glaskugel. Die Frage, wie es nach der Krise weitergeht, wird von einem Großteil der Einkäufer mit nur einem Wort beantwortet: „Digitalisierung“. Holzgrefe: „Hier werden künftig Begriffe wie Transparenz in der Lieferkette oder proaktives, digitales Risikomanagement eine größere Rolle spielen. Der BME beobachtet zudem einen Trend hin zur regionalen Beschaffung, um die Lieferantenbasis in Europa zu stärken.
Vom Stillstand zur Produktion: Die größten Turnarounds der deutschen Prozessindustrie

Im Werk Böhlen produziert Dow chemische Grundstoffe wie Ethylen und Propylen. Sie werden dort zum Beispiel zu Ausgangsstoffen für Hygieneartikel oder Produkte im Bauwesen weiterverarbeitet. Herzstück der Anlage ist ein Cracker, der über eine Pipeline vom Seehafen Rostock aus direkt mit Rohbenzin beliefert wird. Am Turnaround im Jahr 2016 waren rund 1.200 Mitarbeiter aus unterschiedlichen Fremdfirmen beteiligt, berichtet der TÜV Süd (klicken Sie auf das Bild. um zum zugehörigen Artikel zu gelangen). Erledigen mussten sie rund 25.000 einzelne Tätigkeiten. – (Bild: Dow – Horst Fechner)

Die geplanten 50 Tage Stillstand kosteten Dow laut Angaben von TÜV Süd rund 50 Millionen Euro. Weitere Kosten des Turnarounds beliefen sich dem Servicedienstleister zu Folge auf 45 Millionen Euro. Es handelt sich dabei um Instandhaltungskosten und Kosten für technische Innovationen. Auf diesem Bild zu sehen ist der Dow-Standort Schkopau, der vom Werk Böhlen mit Rohstoffen versorgt wird und deshalb auch vom Großstillstand betroffen war. – (Bild: Dow – Horst Fechner)

Gigantische Anlagen gibt es auch in der Stahlindustrie. Der größte Hochofen Europas befindet sich beispielsweise im Thyssenkrupp-Werk in Duisburg-Schwelgern. Während dem Großstillstand dort im Jahr 2014 entstand dieses seltene Bild. Es zeigt das Innere des Hochofens und kann so nur alle 20 Jahre aufgenommen werden – wenn wieder ein Turnaround ansteht. Denn im Betrieb kann der Hochofen nicht betreten werden und somit auch nicht von innen fotografiert werden. – (Bild: Thyssenkrupp)

Bis zum Turnaround im Jahr 2014 hatte der Hochofen ‚Schwelgern 2‘ bereits 21 Jahre seinen Dienst verrichtet und insgesamt etwa 78 Millionen Tonnen Roheisen erschmolzen. Während den umfassenden Modernisierungsarbeiten wurde unter anderem die etwa zwei Meter dicke, feuerfeste Ausmauerung des Hochofengefäßes erneuert. Allein dafür waren mehr als 7.000 Tonnen Feuerfestmaterial notwendig. Überarbeitet wurde außerdem die Kühlung des Ofengeräts. Auch die Gießhalle wurde während des Großstillstands renoviert. Repariert wurden weiterhin der Winderhitzer, die Gasreinigung, die Schlackengranulation sowie die Entspannungsturbine. – (Bild: Thyssenkrupp)

Die Investitionen für die sogenannte Neuzustellung des Hochofen 2 im Jahr 2014 beliefen sich auf rund 200 Millionen Euro. Der komplette Turnaround fand zwischen Juni und September statt. Der Hochofen 2 steht auf dem Werksgelände von Thyssenkrupp Steel in Duisburg und produziert Roheisen für die Stahlherstellung. – (Bild: Thyssenkrupp)

Insgesamt waren bis zu 1.200 Personen an dem Turnaround-Projekt am Hochofen 2 von Thyssenkrupp in Duisburg beteiligt. Die Mitarbeiter kamen sowohl vom Unternehmen selbst als auch von Fremdfirmen. – (Bild: Thyssenkrupp)

Gleichzeitig mit dem Hochofen in Schwelgern wurde auch die Stranggießanlage 1 in Duisburg-Beeckerwerth für rund 90 Millionen Euro modernisiert. Dieses Projekt konnte nur zeitgleich während der Stillstandzeit eines Hochofens umgesetzt werden, da sonst die Produktionsausfälle zu groß wären. Denn in der Stranggießanlage wird das anfangs im Hochofen erschmolzene Roheisen zu rechteckförmigen Strängen im Endlosverfahren gegossen und dann weiterverarbeitet. – (Bild: Thyssenkrupp)

Auch bei Shell werden regelmäßig Großstillstände durchgeführt. An dem von Anfang September bis Mitte Oktober 2019 dauernden Turnaround im Godorfer Werksteil der Rheinland Raffinerie waren in der Spitze rund 3.000 Personen beteiligt. Im Zentrum standen dabei die sogenannte Konversionsanlage sowie ein neuer Entsalzer, die zum Ende des Großstillstandes zusammen mit den anderen Anlagenteilen sukzessive wieder in Betrieb genommen werden. – (Bild: Shell)

Die Konversionsanlage sorgt dafür, dass bei der Rohölverarbeitung am Ende mehr hochwertige Mineralölprodukte, sogenannte Mitteldestillate, anfallen. Nach den nun durchgeführten Optimierungen kann die Aufarbeitung des Rohöls flexibler gestaltet und die Produktpalette je nach Anforderung des Marktes besser gesteuert werden. Dafür wurden im Rahmen des Turnarounds unter anderem eine neue Kolonne, neue Wärmetauscher, Luftkühler und Behälter installiert und in modernste Sicherheitstechnik investiert. – (Bild: Shell)
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