Andreas Klein und Tomas Van den Abeele (v.l.n.r.) von Flender

Andreas Klein und Tomas Van den Abeele (v.l.n.r.) von Flender sprechen über die Transformation der Lieferketten im Unternehmen. (Bild: Rüdiger J. Vogel)

Mit seinen Windkraftgetrieben der Marke Winergy ist Flender Teil der Energiewende in Deutschland und weltweit. Doch auch die Transformation seiner eigenen Lieferketten bringt das Unternehmen voran. Auf welche Herausforderungen es dort stößt, berichten Tomas Van den Abeele, VP Procurement, und Dr. Andreas Klein, VP Drive Systems & Head of Engineering Gears für den Geschäftsbereich Winergy.

TECHNIK+EINKAUF: Herr Dr. Klein, Sie entwickeln Getriebe für Windkraftanlagen. Was sind die Besonderheiten in diesem Geschäft?

Andreas Klein: Für Windkraftgetriebe ist Flender außerhalb Chinas Weltmarktführer. Den chinesischen Markt bedienen wir auch, aber er wird von lokalen Herstellern dominiert. Wir haben vier Entwicklungsstandorte. Windgetriebe sind keine Katalogprodukte. Wir entwickeln für jeden Kunden, für jede Anwendung ein spezifisches Produkt, das wir quasi lebenslang betreuen, bis bei den Kunden die nächste Produktgeneration zum Einsatz kommt.

Herr Van den Abeele, wie arbeitet der ­Einkauf hier zu?

Tomas Van den Abeele: Der Einkauf agiert zentral, für alle Ländergruppen, wobei nicht alle Einkäufer im Headquarter sitzen, sondern auch in unseren ausländischen Gesellschaften etwa in Tschechien, Finnland oder China. Im Einkauf ist außerdem ein Teil der Lieferantenqualität angesiedelt, das Commodity Engineering, die als technische Funktion mit dem Warengruppenmanagement zusammenarbeitet. Zum Einkauf gehört ferner die globale Inbound-Logistik. Die Zusammenarbeit mit der Technik betrifft die Technologieentwicklung genauso wie die Entwicklung und Betreuung der Produkte in Serie.

Vita Andreas Klein

Andreas Klein von Flender GmbH / winergy
Dr. Andreas Klein. (Bild: Ruediger J. Vogel)

Dr. Andreas Klein studierte und promovierte an der RWTH Aachen. Nach verschiedenen Managementstationen in Entwicklung und Produktmanagement bei Bosch Rexroth und Siemens verantwortet der Maschinenbauingenieur seit 2013 für Flender die Entwicklung der Windkraftgetriebe. Seit 2023 als VP Drive Systems & Head of Engineering Gears Winergy.

Auch Flender steht unter dem Eindruck globaler Lieferengpässe und geopolitischer Krisen. Hat das Ihre Zusammenarbeit verändert?

Van den Abeele: Wir pflegen für die Windkraft schon immer eine sehr intensive Kooperation mit der Technik. Im Industriebereich gab es einige Single-Source-Situationen, die in der Lieferkrise nicht immer das gewünschte Ergebnis brachten. Deshalb haben wir dort den Austausch intensiviert. In der Windkraft war das nicht notwendig, da wir die Versorgung hier nie über Re-Designs sicherstellen mussten, sondern Engpässe über logistische Maßnahmen oder unsere Lieferantenstrategie lösen konnten. Wir fahren minimal ein Dual Sourcing. Sobald es für Kundenprojekte einen Prototypen gibt, qualifizieren wir mindestens zwei Lieferanten. Die Produkt- und Lieferantenqualifizierung machen wir gemeinsam mit der Technik. Dadurch kreieren wir Resilienz, da wir immer die Möglichkeit haben, auf mehrere Lieferanten zuzugehen, die zudem regional verteilt sind. Wir haben ein globales Produktportfolio, wir liefern die gleiche Qualität aus Europa, China, Indien und USA. Alle lokalen Lieferanten müssen die gleiche Qualität liefern. Deshalb haben wir eine ziemlich robuste Lieferkette.

Der Einkauf ist in alle Vorüberlegungen eingebunden?

Klein: Wir sind sehr früh in Simultaneous-Engineering-Teams unterwegs, starten mit einer Lieferantenvorauswahl, für die wir mehr als zwei Lieferanten vorqualifizieren, gehen in den Angebotsprozess und fokussieren uns dann auf zwei Lieferanten. Windprodukte werden ähnlich wie Marineprodukte zertifiziert. Wir testen zwei Konfigurationen gegeneinander. Die Lieferantenkombinationen, die zum Einsatz kommen, wählen wir im Projektteam aus. Dadurch können wir, falls es nötig wird, sehr schnell von einem auf den anderen Lieferanten wechseln.

Flender wurde 2024 mit dem Deutschen Nachhaltigkeitspreis ausgezeichnet. Bei EcoVadis haben Sie Platinstatus. Welche Rolle spielen der CO2-Fußabdruck und ­soziale Themen in der Lieferkette für das Produkt-Design?

Klein: Die CO2-Reduktion für unsere Produkte tragen wir sehr früh in unsere Technologieentwicklung. Für die Getriebe ist die Materialreduktion einer der größten Emissions- und Kostenhebel. Hierfür spielen die Leistungsdichte und Gewichtsreduktion eine große Rolle. Wenn Sie heutige und frühere Getriebe von Flender rein größenmäßig vergleichen, sehen Sie den großen Entwicklungsschritt, den wir gemacht haben.

Van den Abeele: Im Einkauf arbeiten wir mit verschiedenen Ansätzen. Ein Lieferant darf für uns nur anfangen zu liefern, wenn er qualifiziert ist und unseren Code of Conduct unterzeichnet hat. Die Anforderungen überprüfen wir beim Zulieferer mit dem Auditstandard VDA 6.3. Manche Lieferanten lassen wir extern auditieren, das betrifft Firmen aus Hochrisikoländern oder wenn wir generell ein höheres Risiko vermuten.

Energie-Einkauf: Beschaffungsstrategien, Photovoltaik, Industriewärmepumpen

Precision Industrial Flow Meter: Advanced Liquid Measurement Technology for Accurate Control and Engineering Efficiency
(Bild: aicandy - stock.adobe.com)

Energiebeschaffung ist zur Herausforderung für Einkäufer geworden. Welche Strategien für den Einkauf von Strom und Gas gibt es und welche ist für welches Unternehmen geeignet? Welche Vor- und Nachteile die Eigenerzeugung von Strom mit Photovoltaik hat, und warum Wärmepumpen auch für die Industrie eine echte Alternative sind, erfahren Sie in unserem Schwerpunkt zur Energiebeschaffung.

 

Außerdem finden Sie Informationen zu Erdgas, dem nach wie vor wichtigsten Energieträger und Rohstoff der Industrie. Mindestens ebenso wichtig bei der Dekarbonisierung ist ein Energiemanagement, das den Verbrauch der beschafften Energie effizient gestaltet.

 

Halten alle Lieferanten diesen Anforderungen stand?

Van den Abeele: Wir haben eine stabile Lieferantenbasis. Einzig Indien ist eine Herausforderung, weil wir dort enorm wachsen und die lokale Lieferkette noch aufbauen müssen. Andererseits haben wir in Europa Lieferanten, mit denen wir zum Teil seit 20 oder 30 Jahren zusammenarbeiten. Wir pflegen intensive Lieferantenkontakte und langjährige Beziehungen. Die Lieferanten kennen unsere Anforderungen. Nachhaltigkeit ist zunehmend ein Wettbewerbsfaktor und Teil der Lieferantenperformance.

Welchen Vergleichsmaßstab setzen Sie an?

Van den Abeele:  Wir schauen uns zum Beispiel den Strommix an, gehen tief ins Cost-Value-Engineering und berechnen nicht nur die Kosten, sondern auch den CO2-Footprint der Materialien. Aktuell tun wir das auf Basis von Sekundärdaten, vermehrt mit Primärdaten und können Lieferanten so vergleichen. Diese Betrachtungen stärker in Vergabeentscheidungen zu verankern, ist das Ziel.

Nimmt der Einfluss des Einkaufs dadurch eher zu oder ab?

Klein: Unser Innovationsmanagement läuft in Richtung verschiedener Trends, die wir aus der Technik heraus beobachten. Das heißt, wir wählen Technologiealternativen aus, die gegebenfalls auch zu demselben Ergebnis führen. Dann entscheiden wir gemeinsam – im Sinne der Technik und danach, was am Markt in den Mengen, die wir brauchen, verfügbar ist. Es gibt sehr viele spannende Technologien, die man vielleicht in der Formel 1 einsetzen kann, aber nicht für den zweistelligen 1 000-Tonnen-Bereich, den wir brauchen. Deshalb hat das frühe Simultaneous Engineering für uns so einen hohen Stellenwert.

Vita Tomas Van denn Abeele

Tomas van den Abeele von Flender im Portrait
Tomas van den Abeele. (Bild: Ruediger J. Vogel)

Tomas Van den Abeele studierte Procurement & SCM in Washington und Antwerpen. Er war viele Jahre für Siemens in verschiedenen Managementpositionen im Einkauf tätig. Seit 2015 leitet Van den Abeele für Flender als VP das globale Procurement (bis 2017 unter dem Dach von Siemens). Van den Abeele ist Ambassador der Initiative Sustainable Procurement Pledge.

Sie verbauen sehr viel Stahl. Welche Rolle spielen der Rückbau der Getriebe und ­Materialkreisläufe?

Klein: Da wir sehr stahllastig sind, ist für unsere Getriebe die Recyclingquote schon hoch. Bei Windenergieanlagen sprechen wir jedoch über Produkte, die 25 bis 30 Jahre Service aushalten müssen. Wir müssen also nicht nur sicherstellen, dass die Produkte reparierbar sind, sondern auch so reparierbar, dass vor Ort möglichst wenig Aufwand entsteht. Die meisten unserer Komponenten lassen sich deshalb nacharbeiten und man muss sie nicht unbedingt austauschen. Es gibt ein modulares Konzept, die Techniker kommen praktisch überall dran. Ein wesentlicher Aspekt ist zudem die Frage, ob das Getriebe vor Ort repariert werden kann oder ob ich einen Kran brauche und die 30 bis 40 Tonnen über die Welt zurück nach Hause bringen muss.

Was bedeuten die langen Servicezyklen für die Ersatzteilversorgung?

Van den Abeele: Wir brauchen eine sehr stabile Lieferantenbasis und müssen Komponenten, etwa aus Guss, für eine gewisse Zeit vorhalten, weil wir sie, da sie technisch abgestimmt sind, nicht beliebig wechseln können.

Was sind Scope 3-Emissionen?

Scope 3 umfasst alle indirekten Treibhausgasemissionen, die in der Wertschöpfungskette eines Unternehmens entstehen, aber nicht unter dessen direkter Kontrolle stehen. Diese Emissionen machen oft den Großteil des Emissionsinventars eines Unternehmens aus, können aber aufgrund der vielen beteiligten Akteure und Prozesse komplex zu erfassen und zu berechnen sein. Das Greenhouse Gas (GHG) Protocol unterteilt Scope 3-Emissionen in 15 Kategorien, die sowohl vor- als auch nachgelagerte Aktivitäten umfassen. Einige Beispiele für Scope 3-Emissionen sind:

  • Emissionen aus eingekauften Gütern und Dienstleistungen
  • Geschäftsreisen und Pendeln von Mitarbeitern
  • Transport und Vertrieb von Produkten
  • Nutzung und Entsorgung verkaufter Produkte
  • Investitionen

Im Gegensatz zu Scope 1 (direkte Emissionen aus eigenen oder kontrollierten Quellen) und Scope 2 (indirekte Emissionen aus bezogener Energie), ist die Bilanzierung von Scope 3-Emissionen nach dem GHG Protocol in den meisten Fällen optional. Allerdings entscheiden sich viele Unternehmen freiwillig dafür, diese Emissionen zu erfassen und zu berichten, da sie oft mehr als 70 Prozent des gesamten CO2-Fußabdrucks ausmachen.

Flender will seinen Scope 3 bis 2030 um 30 Prozent reduzieren. Das betrifft im Wesent­lichen rund 180 Lieferanten, die für 80 Prozent des CO2-Fußabdrucks in der Lieferkette stehen. Es geht vor allem um die Stahlschmelzen und Gießereien. Ist das Ziel realistisch?

Van den Abeele: Es gibt grünen Stahl am Markt, wenngleich die Definitionen unterschiedlich sind. Unsere ist sehr ambitioniert. Das schaffen viele Lieferanten noch nicht, weil sie keine Elektrolichtbogenöfen haben. Wenn wir denen aber heute sagen, ab morgen nur noch grünen Stahl, dann können wir dort nicht mehr bestellen. Also diskutieren wir mit den Firmen, wieviel und welche Technologien sie zur Anwendung bringen können. Wir wollen die Reduktion gemeinsam hinbekommen. Dafür brauchen wir ein ambitioniertes Ziel. Um Transparenz zu schaffen, haben wir einen eigenen Standard entwickelt, mit dem wir die Primärdaten erheben. Aktuell basieren unsere Berechnungen vor allem auf Sekundärdaten. Es geht zunächst um den CO2-Fußabdruck der Unternehmen (Corporate Carbon Footprint). Im nächsten Schritt dann um den Product Carbon Footprint, das heißt, auf welchen Aggregaten ist das Produkt gelaufen, was war der Energiemix, welche Stahlgüte, welches Gussmaterial wurden verarbeitet. Wir vereinbaren mit unseren Lieferanten ein Fahrplan für CO2-Transparenz und Reduzierung. Das heißt, wann bringt er seinen Corporate Carbon Footprint, wann den Product Carbon Footprint und ab wann die Reduzierungen.

Müssen Sie auch in der Materialauswahl umdenken?

Van den Abeele: Stahlwerke müssen ihren Schmelzplan offenlegen. Auf dieser Basis qualifizieren wir den Stahl und geben ihn frei. Die Materialgüten stehen fest und müssen zertifiziert werden. Das muss auch beim grünen Stahl berücksichtigt werden.

Wie sieht die Situation beim Stahlschrott aus?

Klein: Wir investieren einen erheblichen Aufwand in die Lieferanten-Auditierung, um sicherzustellen, dass wenn wir die Schrottraten erhöhen, die Prozesse so aufgestellt sind, dass das kompensiert wird. Zur Veranschaulichung: Wir prüfen Bauteile, die eine Tonne wiegen, auf Materialeinschlüsse in der Größenordnung von 0,5 oder 0,6 Millimetern. Verwendet man viel Stahlschrott, muss man die Schlacke abscheiden und die Fremdstoffe herauskriegen. Je höher die Leistungsdichte unserer Getriebe, desto weniger Bauteile haben wir, wo man solche Fehler tolerieren könnte.

Sie setzen auch Konfliktmineralien ein. Wie gut kennen Sie Ihre Lieferkette? Lassen sich die kritischen Rohstoffe ersetzen?

Klein: Wir reduzieren den Anteil in den Spezifikationen soweit es geht, das ist aber nicht überall möglich. Teilweise brauchen wir diese Inhaltsstoffe, damit der Stahl die Leistungsfähigkeit erreicht. Dann müssen wir andere Wege gehen.

Van den Abeele: Konfliktmineralien verfolgen wir über ein enges Monitoring und sind Mitglied in der Responsible Mineral Initiative (RMI). Ansonsten reicht unser Risikomanagement bis zum Tier-3. Das heißt, wir erhalten automatisch Benachrichtigungen, auch wenn es in den tieferen Stufen unserer Lieferkette Vorfälle gibt. Außerdem erstellen wir ein jährliches Risiko-Assessment auf Länder- und Materialbasis. All diese Daten laufen in unser SRM-System. Dort haben wir die Rundumsicht auf unsere Lieferanten. Konfliktmineralien verfolgen wir über ein enges Monitoring und sind Mitglied in der Responsible Mineral Initiative (RMI). Ansonsten reicht unser Risikomanagement bis zum Tier-3. Das heißt, wir erhalten automatisch Benachrichtigungen, auch wenn es in den tieferen Stufen unserer Lieferkette Vorfälle gibt. Außerdem erstellen wir ein jähr­liches Risiko-Assessment auf Länder- und Materialbasis. All diese Daten laufen in unser SRM-System. Dort haben wir die Rundumsicht auf unsere Lieferanten.

Das Unternehmen: Flender

Flender mit Hauptsitz in Bocholt produziert u.a. Antriebssysteme für Windkraftanalagen unter der Marke Winergy. Flender-Getriebe und Kupplungen kommen auch in der Zement-, Rohstoff-, Öl- und Gasindustrie, Energieerzeugung, im Bereich Wasser/Abwasser, in der Marine und Fördertechnik zum Einsatz. Das Unternehmen hat circa 9 000 Beschäftigte. 2024 erhielt Flender den Deutschen Nachhaltigkeitspreis. Bei EcoVadis gehört Flender mit der Platin-Medaille zu den besten ein Prozent der bewerteten Firmen.

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