Energieeffizienz stellt den Einkauf vor neue Aufgaben.(Bild: jozsitoreoe - stock.adobe.com)
Maßnahmen für Energieeffizienz plant und setzt idealerweise die Abteilung um, die Energie beschafft. Für den Einkauf entsteht so ein neuer Aufgaben- und Verantwortungsbereich.
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Nein! Sie wolle Donald Trump nicht treffen, als sie Ende September 2019 am Nachhaltigkeitsgipfel der Vereinten Nationen in New York teilnahm, erklärte Greta Thunberg vor ihrer Atlantiküberquerung. Wenn der US-Präsident Wissenschaftlern nicht zuhöre, so die schwedische Klimaaktivistin, warum solle er dann ihr Gehör schenken. Zeitverschwendung also.
VDMA-Präsident: CO2-Abgabe in Höhe von 110 Euro
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Ob die 16-Jährige mit der gleichen Begründung auch ein Gespräch mit dem damaligen Präsident des Verbandes Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA), Carl Martin Welcker, abgelehnt hätte? Immerhin machte er in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung klar, dass Klimaschutz unumgänglich sei - quasi Chefsache. Er forderte bereits vor der Corona-Pandemie eine CO2-Steuer in Höhe von 110 Euro pro Tonne Kohlendioxid. Diese solle jedoch das "bisherige Sammelsurium" an Abgaben und Steuern, wie die Ökostrom-Umlage, aufkommensneutral abschaffen. Das solle „allerdings nur für Sektoren, die nicht dem EU-Emissionshandelssystem unterliegen,“ gelten.
Im Januar 2021 führte die Bundesregierung die CO2-Steuer auf Heizöl und Treibstoffe ein: 25 Euro pro Tonne Kohlenstoffdioxid. Dieser Betrag stiegt 2022 auf 30 Euro, ab Januar 2024 soll die Steuer auf 45 Euro pro Tonne CO2 klettern. Ab 2026 soll es keinen Festpreis mehr geben, stattdessen sollen Emissionszertifikate versteigert werden. Die sonstigen Abgaben und Steuern, wie von Welcke gefordert, sind allerdings nicht abgeschafft worden.
Gerade deutschen Unternehmen stünde es gut an, mehr für den Klimaschutz zu tun, findet die auf Nachhaltigkeit spezialisierte Ratingagentur ISS. Sie bewertet die Klimaschutzpolitik von 24 der 30 DAX-Konzerne als mangelhaft.
Zu einem ähnlichen Ergebnis kommen die Deutsche Unternehmensinitiative Energieeffizienz und das Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung. Sie messen in einem Teilindex ihres „ODYSSEE-MURE-Rankings“ zur Energieeffizienz in den 28 EU-Staaten, welche Fortschritte Unternehmen bei der effizienten Nutzung von Energie machen. Deutschland landete dabei zuletzt auf dem 26. Platz – nach Italien.
Energieeffizienz wächst im Gleichschritt mit der Wertschöpfung
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Zahlen des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWi) bestätigen das schlechte Ergebnis: Sie zeigen, dass die Produktivität der Energienutzung in der deutschen Industrie zwischen 1991 und 2016 im Schnitt nur um 1,1 Prozent pro Jahr und damit im gleichen Maß zulegte wie die Bruttowertschöpfung der Betriebe.
Die Unternehmensberater der Boston Consulting Group (BCG) kommen daher in einer Studie im Auftrag des BMWi zu dem Schluss, dass „in vielen Industriezweigen bislang noch nicht ausgeschöpfte Effizienzpotenziale“ bestehen.
Investitionsbereitschaft in Energieeffizienz schwankt
Dass das so nicht bleiben kann, wissen die Unternehmen. Zu Jahresbeginn 2019 zeigte der Energieeffizienz-Index EEI, mit 2,24 Punkten die seit Start des Indikators größte Bereitschaft deutscher Firmen, in Maßnahmen zur produktiveren Nutzung von Energie zu investieren. Zur Jahresmitte 2023 hat sich das Blatt jedoch wieder gedreht: Obwohl Unternehmen dem Thema Energieeffizienz große Bedeutung für ihre Wirtschaftlichkeit beimessen, wurden in der ersten Jahreshälfte 2023 besonders wenig Investitionen in Energieeffizienzmaßnahmen getätigt. Mögliche Gründe für die niedrige Investitionsbereitschaft der Industrieunternehmen sind Zinswende und Rezession.
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Den Index erstellt die Deutsche Energie-Agentur (DENA) gemeinsam mit dem Bundesverband der Deutschen Industrie, dem Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung, dem Institut für Energieeffizienz in der Produktion EEP der Uni Stuttgart sowie dem TÜV Rheinland. Die Erhebung mit über 850 Teilnehmenden zeigt 2023 jedoch auch, dass der digitale Wandel in Unternehmen voranschreitet: Energiemanagementsysteme sind von der Hälfte der befragten Unternehmen geplant oder bereits im Einsatz. „Der Vorteil von Energiemanagementsystemen ist der hohe Grad der Datenerkennung. Damit können zum Beispiel Störungen in den Produktionsprozessen erkannt werden“, so Prof. Alexander Sauer, Leiter des EEP.
Grundsätzlich haben die Unternehmen aber verstanden, dass sie nur wettbewerbsfähig bleiben, wenn sie ihre Energieeffizienz verbessern. Immerhin sind die Preise für Strom, Erdgas und Heizöl für die Industrie in den vergangenen Jahren um mehr als 490 Prozent gestiegen, berichtet die DENA.
Investitionen bringen Renditen von über 180 Prozent
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Unternehmen, die ihrer Verantwortung für die Erdatmosphäre nachkommen wollen, können Strom und fossile Brennstoffe einsparen, oder die Energie effizienter nutzen, die sie verbrauchen. Idealerweise investieren sie in Anlagen, Komponenten und Prozesse, mit denen sie beide Ziele zugleich erreichen.
Wie das geht, hat Volkswagen in seinem Werk in Emden gezeigt. Seit der Erneuerung von 20 Lüftungsanlagen braucht der Autobauer 7.119 Megawattstunden Strom pro Jahr weniger als vor der Investition. Die Stromkosten sanken um 80 Prozent. Das entspricht einer Kapitalrendite von 71 Prozent. VW schaffte dazu energieeffiziente Motoren und Ventilatoren mit Direktantrieb sowie Mess-, Steuer- und Regelungstechnik an, die die Leistung der Anlage an die Belüftungsbedürfnisse der Halle anpasst.
Die Mühlheim Pipecoatings GmbH, Weltmarktführer für längs- und spiralnahtgeschweißte Großrohre erzielte mit einer Investition von gut 60.000 Euro sogar eine Kapitalrendite von 185 Prozent. Der Mittelständler beschaffte eine neue Absorptions- und Kältetrocknung. Diese nutzt einen Luft-Luft-Wärmeüberträger, der die bei der Beschichtung der Rohre benötigte Druckluft mit Hilfe der Umgebungsluft kühlt. Das spart den Mühlheimern im Jahr fast 113.000 Euro Betriebskosten.
Effiziente Elektromotoren sparen fünf Milliarden Euro Stromkosten
Im Schnitt können Unternehmen mit sparsameren Druckluftanlagen der DENA zufolge rund die Hälfte ihrer Betriebskosten sparen. Drehzahlgeregelte Pumpen sowie die Anpassung von deren Förderhöhe und –menge senken die Kosten um ein Drittel, energieeffiziente Lüftungsanlagen durchschnittlich um immerhin ein Viertel.
Würden deutsche Betriebe alle veralteten Elektromotoren durch Antriebe der Effizienzklasse IE3 mit Drive Controllern zur Drehzahlregelung ersetzen, könnten sie 33 Terawattstunden Strom im Jahr einsparen, rechnet der Zentralverband Elektrotechnik- und Elektronikindustrie vor.
Effiziente Beleuchtung, Heizung und Dämmung senken Kosten um bis zu 70 Prozent
Würden Betriebe außerdem in die Jahre gekommene Beleuchtungsanlagen in ihren Hallen abnehmen und LED-Lampen mit elektrischen Vorschaltgeräten und Bewegungsmeldern installieren, sänken ihre Beleuchtungskosten um 70 Prozent.
Würden sie dann noch Fabrik- und Bürogebäude dämmen, wärmeisolierende Fenster einbauen und alte Heizkessel durch Blockheizkraftwerke austauschen, würden auch ihre Immobilien bis zu 60 Prozent weniger Energiekosten verursachen.
Energiesparlampen sorgen für hohe Kosteneinsparungen.(Bild: Pixabay)
Energiebeschaffung und Effizienz gehören in eine Hand
All diese Maßnahmen können Facility Manager und Produktionsleiter ohne die Einkaufsabteilung umsetzen. Zwei Drittel der für den aktuellen EEI befragten Verantwortlichen halten es jedoch für erfolgsentscheidend, dass die Planung und Durchführung von Investitionen in die Energieeffizienz und die Energiebeschaffung (Strom und fossile Brennstoffen) in einer Hand liegen.
Für den Einkauf entsteht durch die Notwendigkeit, den Energieverbrauch zu optimieren, also ein neuer Aufgaben- und Verantwortungsbereich.
Überblick erleichtert Verhandlungen mit Versorgern
Die Forderung der Umfrageteilnehmer kommt nicht von ungefähr. Wenn der Einkauf zur Energiesteuerzentrale im Unternehmen wird, hat er mehr Überblick über den Strom- und Gasbedarf.
Diese Informationen sind für die Beschaffung unerlässlich für Verhandlungen mit Lieferanten. Je genauer diese wissen, wann ein Kunde, welche Energiemenge benötigt, desto genauer können sie abschätzen, wie gut der Abnehmer mit seinem Versorgungsprofil in ihren Bilanzkreis passt.
Auf diesem virtuellen Energiemengenkonto gleichen sie den Bedarf ihrer Kunden mit der von ihnen erzeugten oder zugekauften Menge Gas oder Strom ab. Je näher der Saldo bei Null liegt, desto günstiger können sie Energie anbieten.
Einkäufer berücksichtigen dies und tauschen nicht nur alte Druckluft- und Antriebssysteme aus, sondern führen parallel dazu ein Lastmanagement ein. Dieses vermeidet Verbrauchsspitzen, indem es vorgibt, welche Menge Strom oder Gas der Betrieb maximal verbrauchen darf.
Wird der Wert für eine festgelegte Zeit überschritten, schaltet das Lastmanagement vorab definierte Verbraucher ab. Das spart nach Angaben des RKW Rationalisierungs- und Innovationszentrums der Deutschen Wirtschaft zwischen fünf und 20 Prozent Energie. Zugleich sinken deren Kosten. Denn Versorger verlangen deutlich höhere Preise für Bedarfe, die über vereinbarte Abnahmemengen hinausgehen.
Künstliche Intelligenz steigert Energieeffizienz von Anlagen und Prozessen
Noch mehr spart der Einkauf, wenn er nicht nur die Energieeffizienz der Anlagen auf Vordermann bringt, sondern diese im Zuge einer Modernisierung auch an ein Energiemanagementsystem anschließt. Diese überwachen und regeln Maschinen und Prozesse mit Hilfe Künstlicher Intelligenz. Zugleich kommunizieren sie über die Cloud mit dem Energieversorger.
Algorithmen steuern Anlagen dabei so, dass diese möglichst wenig Energie verbrauchen. Sie erkennen stromfressende Fehlfunktionen und prognostizieren ausgehend von der Auftragslage und Produktionsplanung den künftigen Energiebedarf. Da sie Fertigung, Energieverbrauch und -bezug optimal aufeinander abstimmen, können sie Produktionsspitzen in Zeiten verlagern, in denen die Nachfrage beim Stromlieferanten und damit dessen Preise niedrig sind.
Einkäufer machen ihre Unternehmen so wettbewerbsfähiger und verringern deren CO2-Footprint. Für Great Thunberg wären sie damit hochinteressante Gesprächspartner.
Welche Strategien für die Energiebeschaffung gibt es?
Für die Beschaffung von Energie stehen unterschiedliche Möglichkeiten zur Verfügung. Diese erklären wir im Einzelnen hier:
Biogas soll auch die Lücke für fehlendes russisches Erdgas schließen. Das scheint naheliegend, doch in der Realität sind einige Hürden zu überwinden.(Bild: Guntar Feldmann - stock.adobe.com)
Energiebeschaffung: Erdgas, LNG und Biogas
Erdgas ist für die Industrie nicht nur Rohstoff, sondern auch Energieträger für Prozesswärme, denn Erdgas ermöglicht hohe Temperaturen. Welche Arten von Erdgas gibt es und wie verwenden Unternehmen Erdgas? Ist Biogas eine Alternative? Welche Rolle spielt LNG dabei? Alle Infos über Erdgas für Einkäufer finden Sie hier.
Die Herstellung von Solarzellen soll auch hierzulande für die Unternehmen wieder finanziell attraktiv werden. Es gibt einige Gründe. die dafür sprechen.(Bild: SweetBunFactory - stock.adobe.com)
Energiebeschaffung: PV-Anlagen für die Industrie
Strom einkaufen oder selbst erzeugen? Die Frage stellen sich immer mehr Industriebetriebe. Am einfachsten geht das mit einer Photovoltaikanlage auf dem Hallendach.
Außerdem: PV-Module werden immer leistungsfähiger. Welche Solarzellen spielen neben den "klassischen" Siliziumzellen noch eine Rolle? Ein Beispiel für noch eine völlig neue Art sind Perowskit-Solarzellen. Was macht sie aus?