Gleichstrom statt Wechselstrom: Vorteile für die Industrie
Gerd MischlerGerdMischler
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Schaltbau hat sein neues Werk von Anfang an auf Gleichstrom getrimmt.(Bild: Schaltbau)
Werke mit Gleichstrom statt Wechselstrom zu betreiben senkt nicht nur die Energiekosten. Was Einkäufer über eine Produktion wissen müssen, die auf Gleichstrom basiert.
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Dr. Jürgen Brandes neigt nicht zu Übertreibungen. Doch wenn der Vorstandsvorsitzende der Schaltbau GmbH über den Einsatz von Gleichstrom in Fabriken spricht, tut er dies mit leidenschaftlicher Überzeugung. Im September 2023 hat der Münchner Hersteller von elektromechanischen Komponenten wie Steckern und Schützen für Anwendungen mit hohen Sicherheitsanforderungen im niederbayerischen Velden eine Fabrik in Betrieb genommen, die fast ausschließlich mit Gleichstrom läuft.
„Dadurch senken wir unsere Energiekosten um rund ein Drittel“, erklärt Jürgen Brandes. Den dazu erforderlichen Gleichstrom – abgekürzt „DC“, vom englischen „direct current“ - produziert eine Photovoltaikanlage mit einer Leistung von 1,6 Megawatt peak (MWp) auf den Dächern der Fertigungshalle und der Bürogebäude.
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Da der Strom der Anlage nicht erst wie Wechselstrom aus dem öffentlichen Netz in Gleichstrom umgewandelt werden muss, bevor er die drehzahlgeregelten Motoren der Maschinen in der Werkshalle antreiben kann, spart sich Schaltbau die Energie, die bei Umwandlungsprozessen verloren geht. „Dadurch steigt die Energieeffizienz unserer Gleichstromfabrik um 15 Prozent“, berichtet Jürgen Brandes.
Welche Strategien für die Energiebeschaffung gibt es?
Für die Beschaffung von Energie stehen unterschiedliche Möglichkeiten zur Verfügung. Diese erklären wir im Einzelnen hier:
Das ist jedoch noch nicht alles. „Das große Potenzial der Gleichstromversorgung in der Produktion liegt in der Kopplung aller elektrischen Anlagen der Fabrik in einem intelligenten DC-Netz“, erklärt Dr. Timm Kuhlmann, Leiter der Abteilung Industrielle Energiesysteme am Fraunhofer Institut für Produktionstechnik und Automatisierung (IPA). Dann nämlich können Verbraucher überschüssige Energie untereinander austauschen.
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In einer mit Wechselstrom betriebenen Fertigung geht diese verloren. Dort wandeln Widerstände Bremsenergie, die etwa bei den Bewegungen von Roboterarmen oder durch den Betrieb von Hubsystemen in Hochregallagern entsteht, in Wärme um und verheizen sie. In einer mit Gleichstrom versorgten Anlage wird diese Energie ins Netz der Fabrik zurückgespeist und versorgt andere Verbraucher. Allein durch diese Rekuperation kann ein Unternehmen seinen Strombedarf um bis zu fünf Prozent senken.
Das zentrale Gleichspannungsmanagement mit dem der Betrieb nach wie vor an das öffentliche Netz angeschlossen ist, muss aus diesem dann nur noch den Strom beziehen und umwandeln, den es braucht, um Deckungslücken im Gleichstromnetz zu schließen. Es kann sich diese Energie aber auch aus in das Fabriknetz integrierten Speichern holen. So hat Schaltbau in seinem Werk in Velden Batterien mit einer Speicherkapazität von einer Megawattstunde (MWh) und thermische Speicher installiert, die zehn MWh Energie aufnehmen können.
Was ist der Unterschied zwischen Gleichstrom und Wechselstrom?
Gleichstrom und Wechselstrom sind zwei Arten von elektrischem Strom, die sich in der Bewegungsrichtung der Elektronen unterscheiden. Der Gleichstrom fließt konstant in eine Richtung, während der Wechselstrom seine Bewegungsrichtung periodisch ändert. Der Wechselstrom wird in Deutschland zur Stromversorgung genutzt und fließt durch die Steckdosen in unseren Haushalten. Der Gleichstrom hingegen wird in batteriebetriebenen Geräten wie Taschenlampen oder Fernbedienungen verwendet.
Wechselstrom wird durch die Bewegung von Elektromagneten erzeugt, die sich um Spulen bewegen. Die Generatoren von Kraftwerken erzeugen Wechselstrom auf diese Weise. Die Bewegung der Elektromagneten erzeugt eine wechselnde Magnetfeldstärke, die wiederum eine Wechselspannung in den Spulen induziert. Die so erzeugte Wechselspannung hat eine sinusförmige Kurve.
Gleichstrom kann auf verschiedene Arten erzeugt werden. Solarmodule und Windkraftanlagen produzieren beispielsweise Gleichstrom.Eine andere Möglichkeit besteht darin, Gleichstrom aus Wechselstrom zu erzeugen, indem man den Wechselstrom durch einen Gleichrichter leitet. Der Gleichrichter wandelt den Wechselstrom in Gleichstrom um, indem er die negativen Halbwellen des Wechselstroms entfernt. Der Nachteil: Gleichstrom kann nicht so einfach wie Wechselstrom in verschiedene Spannungsebenen umgewandelt werden.
Gleichstrom steigert die Anlagenverfügbarkeit auf bis zu 98 Prozent
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„Dies ermöglicht es, die Verfügbarkeit und Qualität der elektrischen Versorgung vor Ort zu verbessern und so die Zuverlässigkeit der Produktion zu steigern“, erläutert Timm Kuhlmann vom Fraunhofer IPA. Denn die Speicher liefern auch dann zuverlässig Energie, wenn die Spannung im öffentlichen Netz schwankt – etwa weil wetterbedingt weniger Strom aus erneuerbaren Energien eingespeist wird. Die dann meist eintretenden Lastwechsel unterbrechen Produktionsprozesse oft unkontrolliert. Das mindert die Qualität der in diesem Moment gefertigten Werkstücke nicht selten so weit, dass sie im Ausschuss landen.
In mit Gleichstrom betriebenen Fabriken passiert das nicht. Dort liegt die Anlagenverfügbarkeit bei bis zu 98 Prozent, versichert der Verband der Elektro- und Digitalindustrie ZVEI. Dadurch steigt die Produktivität des gesamten Unternehmens. Fabriken, die mit Gleichstrom laufen, brauchen 70 Prozent weniger Spitzenlast Zugleich machen neben dem insgesamt geringeren Strombedarf einer mit Gleichstrom betriebenen Fabrik gerade integrierte Speicher DC-Anlagen aus Sicht von Einkäufern attraktiv. Denn sie liefern dann Strom, wenn besonders energieintensive Prozesse wie Schweißarbeiten diesen kurzfristig benötigen.
„So lässt sich die Anschlussleistung, die Fabriken aus dem öffentlichen Netz trotz Gleichstromversorgung noch benötigen, um 60 bis 70 Prozent senken“, erklärt Schaltbau-Chef, Jürgen Brandes. Allein dadurch amortisiere sich ein Gleichstromnetz. Denn die benötigte Spitzenlast lassen sich Versorger besonders teuer bezahlen.
Roboterhersteller KUKA konnte eigenen Angaben zufolge die aus dem öffentlichen Netz benötigte Spitzenleistung dank Gleichstroms von 50 Kilowatt (kW) auf 20 kW senken. Im Rahmen der zwei vom Bundeswirtschaftsministerium geförderten Forschungsprojekte „DC-Industrie“ und „DC-Industrie 2“ konnte die Anschlussleistung einer Schweißzelle mit Robotern im Automobilbau sogar von 450 kW auf 50 kW gesenkt werden.
Auch BMW installierte im Rahmen des Projektes in seinem Karosserie-Werk in Dingolfing eine mit Gleichstrom betriebene Testanlage. Diese ließ bei dem Autobauer Energieeinsparungen von bis zu 20 Prozent realistisch erscheinen. Außerdem sparte BMW neben Spannungswandlern und anderen in einem Wechselstromnetz nötigen Komponenten 40 Prozent Kupfer ein.
Da DC-Anlagen mit 650 Volt und nicht wie Wechselstromnetze mit 400 Volt arbeiten, ist der Leiterstrom in ihren Kabeln geringer. Deshalb funktionieren diese mit geringeren Querschnitten, ohne durchzuschmoren. Auch sind in DC-Anlagen anders als bei einem Wechselromsystem statt fünf Leitern nur drei nötig.
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„Zudem werden bis zur 25 Prozent weniger Isoliermaterial benötigt“, erklären die 33 Unternehmen und fünf Forschungsinstitute, die an dem Projekt „DC-Industrie 2“ teilgenommen haben, in ihrem Abschlussbericht.
Vor dem Hintergrund der seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine sowie die Verwerfungen der globalen Beschaffungsmärkte im Zuge der Corona-Pandemie massiv gestiegenen Preise für Rohstoffe und Kabel ist das für Einkäufer ein gewichtiges Argument. Ebenso wie die Tatsache, dass sie viele Komponenten, die sie einkaufen müssen, wenn ihr Betrieb auf Wechselstrom setzt, bei einer Gleichstromversorgung gar nicht mehr beschaffen müssen.
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Allerdings entstehen im Gegenzug überall dort, wo es um die Sicherheit des DC-Netzes geht, höhere Kosten und mehr Aufwand bei der Suche nach geeigneten Anbietern und Komponenten. Denn zum einen entsteht beim Abschalten von Gleichstrom ein Lichtbogen. „Zum anderen müssen Betreiber in einem Gleichstromnetz im Fall eines Kurzschlusses binnen Millisekunden eine Schaltung vornehmen, ohne einen Nulldurchgang zu haben. Es gibt also keinen Zeitpunkt, zu dem Sie schalten können, ohne dass gerade Strom fließt“, ergänzt Schaltbau-CEO Jürgen Brandes.
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Kaum Normen und Standards für Gleichstromnetze in der Industrie
Herkömmliche Schalter, Stecker oder Schienen lassen sich in einem DC-Netz daher nicht überall verwenden. Zwar haben Ausrüster wie Vahle, Lapp, Schaltbau oder Phoenix Contact entsprechende Komponenten in ihren Katalogen. Allerdings müssen sich Einkäufer mit Gleichstrom auskennen und bei der Beschaffung mit Fachkollegen im Unternehmen sehr genau abstimmen.
Der Aufwand für sie steigt auch, weil zwar bekannt ist, dass beispielsweise Isoliermaterialien in einer Gleichstromumgebung anders altern, als unter dem Einfluss von Wechselstrom. Wie schnell und weshalb genau erforschen Wissenschaftler jedoch noch.
Deshalb gibt es auch noch nicht für alle mit der Gleichstromtechnologie verbundenen technischen Fragen Normen und Standards, an denen sich Einkäufer, Anlagenplaner und Ingenieure orientieren könnten. Diese Normen entstehen gerade erst.
Mit Gleichstrom bleiben Unternehmen in Deutschland wettbewerbsfähig
Trotzdem steht fest: Wenn Unternehmen Fertigungsstätten auf Gleichstrom umstellen, profitieren sie davon in Form einer höheren Anlagenverfügbarkeit und Produktivität bei gleichzeitig erheblich niedrigeren Stromrechnungen. So bleiben sie am Standort Deutschland wettbewerbsfähig, auch wenn die Kosten für Energie nie wieder auf das Niveau vor dem Krieg in der Ukraine sinken werden, wie die Wirtschaftsweise Professorin Monika Schnitzer annimmt.
Doch statt ihre Betriebe energieeffizienter zu machen, überlegen sich derzeit viele Unternehmer Teile ihrer Fertigung in die USA oder nach Asien zu verlagern. Damit verzichten sie auf Standortvorteile, die sie so nur in Deutschland haben – etwa ein besonders hohes Maß an Rechtssicherheit, dual ausgebildete Fachkräfte oder die Nähe zu erstklassigen Forschungseinrichtungen.
Das muss nicht sein, mahnt Schaltbau-Chef Jürgen Brandes nüchtern: „Wir zeigen mit unserer Fabrik in Velden, dass sich Investitionen auch am Standort Deutschland nach wie vor rechnen, wenn Digitalisierung und hohe Automatisierung mit einem progressiven, dezentralen Energiekonzept auf Basis von Gleichstrom kombiniert werden“.
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